Änderungen im Infektionsschutzgesetz (Entwurf): Der neue § 28a und die Einschränkung der Grundrechte

Das Infektionsschutzgesetz wird erweitert, um "gerichtsfester" zu sein. Im Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes wurde ein Paragraf neu hinzugefügt, der § 28a. Darin wurden sehr konkrete Maßnahmen aufgenommen - von Ausgangsbeschränkungen, über die Maskenpflicht bis zu Reisebeschränkungen. Um diese Eingriffe in die Grundrechte abzusichern, soll das Gesetz um Artikel 7 ergänzt werden. Darin heißt es: "die Grundrechte der Freiheit der Person ..., der Versammlungsfreiheit ..., der Freizügigkeit ... und der Unverletzlichkeit der Wohnung ... [werden] eingeschränkt."
Von 4. November 2020

Am 3. November 2020 legten CDU/CSU und SPD den „Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ vor. Hier einige Auszüge aus der Vorabfassung, die in der Drucksache 19/23944 veröffentlicht wurden.

Im Vorwort heißt es: „Um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Parlamentsvorbehalts aus Artikel 80 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 des Grundgesetzes angesichts der länger andauernden Pandemielage und fortgesetzt erforderlichen eingriffsintensiven Maßnahmen zu entsprechen, ist eine gesetzliche Präzisierung im Hinblick auf Dauer, Reichweite und Intensität möglicher Maßnahmen angezeigt. Der Gesetzgeber nimmt vorliegend die Abwägung der zur Bekämpfung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite erforderlichen Maßnahmen und den betroffenen grundrechtlichen Schutzgütern vor und regelt somit die wesentlichen Entscheidungen.“

Um den neu hinzugefügten § 28a abzusichern, der deutliche Einschränkungen beinhaltet, wurde der Artikel 7 neu aufgenommen. Dieser lautet:

Durch Artikel 1 Nummer 16 und 17 werden die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes), der Freizügigkeit (Artikel 11 Absatz 1 des Grundgesetzes) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Absatz 1 des Grundgesetzes) eingeschränkt.

Die hier genannten Artikel Nr 16 und 17 beziehen sich genau auf den im folgenden dargestellten § 28 a.

Neu hinzugefügt wurde § 28a: „Besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des #Coronavirus SARS-CoV-2“

Zitat Artikel 1 bis 3

(1) Notwendige #Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 können im Rahmen der Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag neben den in § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 genannten insbesondere auch sein

1. Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum,
2. Anordnung eines Abstandsgebots im öffentlichen Raum,
3. Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht),
4. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von Einrichtungen, die der Kultur- oder Freizeitgestaltung zuzurechnen sind,
5. Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Kultur- und ähnlichen Veranstaltungen,
6. Untersagung oder Beschränkung von Sportveranstaltungen,

7. Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von § 33 oder ähnlicher Einrichtungen sowie Erteilung von Auflagen für die Fortführung ihres Betriebs,
8. Untersagung oder Beschränkung von Übernachtungsangeboten,
9. Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen oder Schließung von Einzel- oder Großhandel oder Beschränkungen und Auflagen für Betriebe, Gewerbe, Einzel- und Großhandel,
10. Untersagung oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Veranstaltungen,
11. Untersagung sowie dies zwingend erforderlich ist oder Erteilung von Auflagen für das Abhalten von Versammlungen oder religiösen Zusammenkünften,
12. Verbot der Alkoholabgabe oder des Alkoholkonsums auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu bestimmten Zeiten,
13. Untersagung oder Beschränkung des Betriebs von gastronomischen Einrichtungen,
14. Anordnung der Verarbeitung der Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern, um nach Auftreten eines Infektionsfalls mögliche Infektionsketten nachverfolgen und unterbrechen zu können,
15. Reisebeschränkungen.
Die Anordnung der Schutzmaßnahmen muss ihrerseits verhältnismäßig sein.

(2) Die Schutzmaßnahmen sollen unter Berücksichtigung des jeweiligen Infektionsgeschehens regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte an Schwellenwerten ausge-richtet werden, soweit Infektionsgeschehen innerhalb eines Landes nicht regional übergreifend oder gleich-gelagert sind. Schwerwiegende Schutzmaßnahmen kommen insbesondere bei Überschreitung eines Schwel-lenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen in Betracht. Stark einschränkende Schutzmaßnahmen kommen insbesondere bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben in Betracht. Unterhalb eines Schwellen wertes von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen kommen insbesondere einfache Schutzmaßnahmen in Betracht. Vor dem Überschreiten eines Schwellenwertes sind entsprechende Maßnahmen insbesondere dann angezeigt, wenn die Infektionsdynamik eine Überschreitung des Schwellenwertes in absehbarer Zeit wahrscheinlich macht. Bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind bundesweit einheitliche schwerwiegende Maßnahmen anzustreben. Bei einer landesweiten Überschreitung eines Schwel-lenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind landesweit einheitliche schwerwiegende Maßnahmen anzustreben. Die in den Landkreisen, Bezirken oder kreisfreien Städten auftretenden Inzidenzen werden zur Bestimmung des jeweils maßgeblichen Schwellenwerts durch das Robert Koch-Institut wöchentlich festgestellt und veröffentlicht.

(3) Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des Absatz 1 und der §§ 28 Absatz 1 Satz 1 und 2, 29 bis 31 können, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 erforderlich ist, einzeln oder kumulativ angeordnet werden. Weitere zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 erforderliche Schutzmaßnahmen bleiben unberührt.

Erklärungen und Konkretisierungen zu § 28a

Im folgenden Teil des Entwurfs werden die oben aufgelisteten 15 Maßnahmen näher erläutert. Hier wiederum Auszüge aus dem Text (S. 27 ff):

Zu 2. Abstandsgebot

Insbesondere steigt die Aerosolausscheidung bei lautem Sprechen, Singen oder Lachen stark an. In Innenräumen steigt hierdurch das Risiko einer Übertragung deutlich, auch über einen größeren Abstand als 1,5 m. Wenn der Mindestabstand von 1,5 m ohne Mund-Nasen-Bedeckung unterschritten wird, z. B. bei größeren Menschenansammlungen, besteht auch im Freien ein erhöhtes Übertragungsrisiko. Bei einer Ausbreitung der Pandemie kann es daher erforderlich sein, Abstandsgebote konsequent auch in öffentlichen Innenräumen wie auch im Freien einzuhalten und Menschenansammlungen – besonders in Innenräumen – zu vermeiden.

Personen, die kein aufgrund der Rechtsverordnung erforderliches ärztliches Zeugnis oder keinen sonstigen Nachweis vorlegen sind verpflichtet, eine Untersuchung auf Ausschluss der bedrohlichen übertragbaren Krankheit nach Absatz 8 zu dulden (Satz 2).

Zu 3. Maskenpflicht

Die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (Maskenpflicht) nach Nummer 3 ist ein zentraler Baustein zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2. Sie stellt eine notwendige und einfache Schutzmaßnahme dar.

Zu 7. Schließung von Kitas und Schulen

Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne des § 33 des Infektionsschutzgesetzes (bspw. Kindertagesstätten und Schulen) oder ähnliche Einrichtungen sind wegen des dortigen Zusammentreffens vieler Personen in engen räumlichen Verhältnissen risikogeneigt. Insbesondere der Umstand, dass in diesen Einrichtungen häufig Säuglinge, Kinder und Jugendliche teilweise täglich miteinander und mit dem betreuenden Personal in engen Kontakt kommen, kann Infektionsgefährdungen begründen, da diese engen Kontakte die Übertragung des Coronavirus begünstigen. Die Beschränkung oder auch die Untersagung des Betriebs von Gemeinschaftseinrichtungen trägt dazu bei, das Infektionsrisiko erheblich zu reduzieren und dient damit zugleich der Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus. Dabei muss der Bildungsauftrag in der Abwägung berücksichtigt werden.

Zu 8. Beherbergungsverbot

Als notwendige Schutzmaßnahmen kommt auch eine Beschränkung von Übernachtungsangeboten in Betracht. … Notwendige Übernachtungen, insbesondere für berufliche und geschäftliche Zwecke, können in Abwägung der betroffenen Schutzgüter ausgenommen sein. Berufliche Zwecke können etwa auch für Personen vorliegen, die zum Zweck einer mindestens dreiwöchigen Arbeitsaufnahme in das Bundesgebiet einreisen, um einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen (bspw. Saisonarbeiter).

Zu 9. Betriebe, Gewerbe, Einzel- und Großhandel

Für eine Kontaktreduzierung oder ggf. eine Kontaktvermeidung kommen nicht nur die in einem Betrieb arbeitenden Personen in Betracht. Sofern die Erwerbstätigkeit auch Kunden- oder Besucherverkehr beinhalten, sind gerade die Kontakte von besonderer Relevanz, da es sich hier häufig um Wechselkontakte handeln dürfte, die eine Weiterverbreitung des Virus an weitere Personengruppen besonders begünstigen und die Kontaktnachverfolgung erschweren. Daher sind gerade Maßnahmen im Kontext von Kunden- und Besucherverkehr angezeigt.

Je nach Art der bei Arbeitsprozessen in Betrieben zu erwartenden Kontakten sind angemessene Schutz- und Hygienekonzepte vorzusehen. Hierzu gehört insbesondere, mit geeigneten Maßnahmen sicherzustellen, dass Mindestabstände zwischen Mitarbeitenden, Kunden oder Besuchern eingehalten werden können. Ein geeignetes Mittel zur Kontaktreduzierung ist z. B. eine Beschränkung der Zahl von gleichzeitig in einem Ladengeschäft anwesenden Kunden bezogen auf die Verkaufsfläche.

Dienstleistungen sind ggf. zu verbieten, wenn es typischerweise zu einem engen körperlichen Kontakt während einer nicht unerheblichen Zeitspanne zwischen dem Dienstleistenden und dem Kunden bzw. der Kundin kommt. Das gilt beispielsweise für Kosmetikstudios, Massagepraxen, Tattoo- oder Piercing-Studios und ähnliche Betriebe. Gerade bei körpernahen Dienstleistungen besteht ein erhöhtes Infektionsrisiko, das minimiert werden sollte. Soweit jedoch andere hochrangige Schutzgüter, wie die Gesunderhaltung oder Rehabilitation z. B. bei Physio-, Ergo- und Logotherapien, bei der Dienstleistung im Vordergrund stehen, sind strenge Schutz- und Hygienekonzepte vorzugswürdig.

Besonders wichtig sind Kontakte über eine nicht unerhebliche Zeitspanne zwischen dem Dienstleistenden und dem Kunden bzw. der Kundin. Flüchtige Berührungen – wie sie etwa beim Bezahlvorgang vorkommen können – stellen dagegen ein wesentlich geringeres Risiko dar, die nur in Ausnahmefällen eine Untersagung rechtfertigen dürften, aber auch Schutz- und Hygienevorsorge erforderlich machen können.

Zu 10: Veranstaltungen

Die Beschränkung von Personenansammlungen ist im Hinblick auf das Ziel der Kontaktreduzierung zwingend erforderlich.

Zu 11: Religions- und Versammlungsfreiheit

Die Beschränkung von Versammlungen wie auch von religiösen Zusammenkünften führen zu tiefgreifenden Grundrechtseingriffen. Bei Beschränkungen der Religionsausübung und von Versammlungen muss dem hohen Schutzgut der Religionsfreiheit und der Versammlungsfreiheit Rechnung getragen werden. Eine zeitweise Beschränkung der Versammlungs- wie auch Glaubensfreiheit ist unter Berücksichtigung der derzeitigen Infektionslage in Abwägung mit dem Ziel einer Reduzierung von Infektionszahlen in einer volatilen Pandemielage unter erhöhten Rechtfertigungsanforderungen zulässig, um dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit angemessen gewährleisten zu können. Angemessene Schutz- und Hygienekonzepte haben Vorrang vor Untersagungen, sofern deren Einhaltung erwartet werden kann. Sofern jedoch Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung vorliegen, kommen Verbote in Betracht. …

Gleichwohl können auch Versammlungen unter freiem Himmel durch eine begrenzte Aufstellfläche oder die schiere Vielzahl von Teilnehmern die durchgehende Einhaltung von Mi-destabständen erschweren oder verunmöglichen, so dass Auflagen bis zu Verboten sachgerecht sein können

Zu 12: Alkoholverbot

Die erhöhte Attraktivität des öffentlichen Raums bei geschlossenen gastronomischen Einrichtungen ist ferner einzukalkulieren. Hierdurch werden bestimmte öffentliche Plätze besonders attraktiv, um Partys o. ä. zu feiern. Des Weiteren dient ein Alkoholausgabeverbot dazu, spontanen gemeinschaftlichen (weiteren) Alkoholkonsum zu reduzieren, da eine zunehmende Alkoholisierung der Einhaltung der hier gesetzlich im Zentrum stehenden Kontaktminimierung entgegensteht. Das gilt insbesondere zur Nachtzeit.

Zu 13: Gastronomie

Der Betrieb von Schank- und Speiseräumen kann bei entsprechendem Infektionsgeschehen vollständig untersagt werden. Alternativ kommen auch Sperrstunden in Betracht, da insbesondere ein längeres oder nächtliches Verweilen zu stär-kerem Alkoholkonsum anregt und damit vermehrt unmittelbare Kontakte zu erwarten sind.

Zu 14: Kontaktdaten

Kontakte, die potentiell zu einer Infektion führen, [müssen] auch ermittelt werden können. Eine wirksame Kontaktnachverfolgung bedingt, dass auch Informationen über Begegnungen erhoben werden. Allein die Befragung von Betroffenen kann das nicht sicherstellen, zumal die Erinnerung oftmals nur bedingt taugliche oder vollständige Informationen liefert. Erforderlich ist vielmehr, dass von Kunden, Gästen oder Veranstaltungsteilnehmern systematisch die Daten erfasst werden, damit im Infektionsfall bei zeitlichem und räumlichem Zusammenhang eine möglichst große Zahl von Betroffenen ermittelt und kontaktiert werden kann.

6. November: Erste Lesung im Bundestag

Am Freitag dem 6. November erfolgt die erste Lesung des Gesetzes im Bundestag. Der gesamte Gesetzesentwurf ist hier zu lesen: https://dserver.bundestag.de/btd/19/239/1923944.pdf.

Der Bundestag entscheidet Mitte November über das neue Gesetz. Danach hat das Parlament keine Mitsprachemöglichkeit mehr, was die einzelnen Maßnahmen betrifft. Eine Mitwirkung der Landesparlamente ist nicht vorgesehen.

Das Infektionsschutzgesetz wird erweitert, um „gerichtsfester“ zu sein, wie zuvor berichtet. Auf de-jure.org sind bereits 1.539 Entscheidungen (Urteile/Beschlüsse/Verfügungen) in Bezug zu den Maßnahmen zu SARS-CoV-2 aufgeführt.

 

 



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