AfD-Parteitag: „Flügel“ wird obsolet – aber ebenso seine lautstärksten Gegner

Die Ergebnisse des AfD-Parteitages vom Wochenende sind ein klares Signal dahingehend, dass innerparteiliche Grabenkämpfe nicht mehr erwünscht sind. Allzu hitzige Gegner Björn Höckes wurden abgestraft, ohne dass die Parteirechte gestärkt worden wäre.
Titelbild
Auf dem AfD-Parteitag in Braunschweig - Jörg Meuthen bei seiner Rede.Foto: Jens Schlueter/Getty Images
Von 2. Dezember 2019

Der Bundesparteitag der AfD in Braunschweig war kaum zu Ende, da schrieben erste Leitmedien schon von einem „Rechtsruck“. Wertet man die Teilnahme von mehreren zehntausend Personen an den deutschlandweiten „Fridays for Future“-Kundgebungen am Freitag davor (29.11.) und das am Samstag bekanntgegebene Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids als Ausdruck eines gleichzeitigen weiteren gesamtgesellschaftlichen Linksrucks, mag dies zumindest relativ gesehen auch zutreffen. Denn für einen „Rechtsruck“ würde es dann schon reichen, unverändert auf der eigenen Position zu verharren.

Tatsächlich hat die Partei inhaltlich keinerlei Veränderungen vorgenommen, sondern sich vorwiegend auf die Wahl des neuen Bundesvorstandes sowie des Bundesschiedsgerichts beschränkt. Mit Anträgen wie jenem auf Abschaffung oder Veränderung der Unvereinbarkeitsliste gegenüber extremistischen Organisationen wollte sich der Parteitag gar nicht erst befassen.

Die personellen Weichenstellungen, die der Parteitag in weiterer Folge treffen sollte, vermögen den Eindruck, die Partei wolle sich inhaltlich radikalisieren, indes nicht zu stützen. Im Gegenteil: Die Delegierten nahmen eine Abgrenzung gleich in zwei Richtungen vor.

Moderatere Tonlage bevorzugt

Sie erteilten auf der einen Seite extremen Randerscheinungen in der Partei, aber auch Personen eine Absage, die für besonders angriffslustige Rhetorik oder Grenzüberschreitungen bekannt sind. Im Wahlgang zum ersten Bundessprecher konnte sich Jörg Meuthen mit knapp 70 Prozent deutlich gegen die Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst durchsetzen, die unter anderem durch eine Anfrage bekannt wurde, die sich mit „Inzestfällen durch Verwandtschaftsehen bei Migranten“ befasste. Der wegen wiederholter antisemitischer Äußerungen vom Parteiausschluss bedrohte fraktionslose Landtagsabgeordnete von Baden-Württemberg, Wolfgang Gedeon, erzielte nur 3,77 Prozent der Delegiertenstimmen.

Bei der Wahl zum zweiten Bundessprecher konnte Tino Chrupalla sich in der Stichwahl gegen Gottfried Curio durchsetzen. Chrupalla, zu dessen Wahl auch der Thüringer Landtags-Fraktionschef Björn Höcke aufgerufen hatte, lag bereits nach dem ersten Wahlgang voran. Eine Mehrheit der Unterstützer der ausgeschiedenen Drittplatzierten Dana Guth hatte danach offenbar für den Sachsen votiert, der als der im Vergleich zu Curio moderatere Kandidat galt.

Dass es für Chrupalla keine leichte Aufgabe sein wird, das Vertrauen zu bestätigen, zeigen die ersten Reaktionen auf Äußerungen des neuen AfD-Bundessprechers vom Wochenende. Während die Leitmedien daran Anstoß nahmen, dass Chrupalla in einer früheren Rede den Begriff „Umvolkung“ verwendet haben soll, sorgten umstrittene Aussagen zu Israel und zur Abtreibung in Teilen der Partei und unter Sympathisanten für Irritationen.

Verwunderung über Chrupalla-Äußerungen

So rechtfertigte Chrupalla auf Nachfrage anlässlich der Kandidatenvorstellung seine Stimmenthaltung bei einer Resolution des Bundestages gegen die „BDS“-Bewegung mit der herrschenden Vorstellung in den Vereinten Nationen zur angeblich „völkerrechtswidrigen“ Präsenz israelischer Truppen in Judäa und Samaria („Westjordanland“) – und erklärte in einem ARD-Interview auf die Frage zu einem vermeintlichen „Recht auf Abtreibung“, diesbezügliche spiele „die Selbstbestimmung eine Rolle“.

Auch die finale Abstimmung zum zweiten stellvertretenden Bundessprecher unterstrich, dass in der AfD zwar eine grundsätzliche Offenheit gegenüber hemdsärmeligem Auftreten und volkstümlicher Sprache besteht, aber wenig Interesse an ideologischen Obsessionen. Bereits im ersten Wahlgang behauptete sich der nach eigenen Angaben von Bayerns früherem Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß inspirierte Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner mit knapp 62 Prozent deutlich gegen den 78-jährigen Programmatiker und Islamkritiker Albrecht Glaser (21,7 Prozent).

Ein regelrechtes Fiasko erlebte der mit hohen Erwartungen angetretene Fraktionschef von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, der nur auf 15 Prozent kam und für kein weiteres Amt mehr kandidierte. Junge war zuvor gegen den Chef der Verfassungsschutz-Arbeitsgruppe, Roland Hartwig, angetreten. Da die Delegierten keinem der beiden Kandidaten die erforderliche Mehrheit verschafft hatten, musste der Posten neu ausgeschrieben werden.

Wahl von Beatrix von Storch knapper als erwartet

Das deutliche Scheitern Junges gab einen Vorgeschmack auf die zweite große Weichenstellung des Parteitages: Dieser strafte auch Funktionsträger gnadenlos ab, die sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem dadurch bemerkbar gemacht hatten, dass sie öffentlich als Kronzeugen gegen Parteifreunde aufgetreten waren – vor allem gegen Björn Höcke und den „Flügel“.

Der Berliner Landeschef Georg Pazderski scheiterte im ersten Anlauf zur Wahl des dritten Stellvertreters, während auch sein Gegenkandidat Florian Protschka keine Mehrheit bekam. Mit einem Ergebnis von nur knapp über 50 Prozent konnte sich am Ende Beatrix von Storch den Posten sichern – was in Anbetracht ihres Bekanntheitsgrades und ihrer von Beginn an bedeutenden Rolle in der Partei eine Überraschung darstellte.

Auch der 2017 zum zweiten Stellvertreter gewählte Kay Gottschalk wurde bei allen zwei Gelegenheiten, zu denen er antrat, durchgereicht. Bei der Wahl zu einem der sechs Beisitzer setzte sich Protschka gegen ihn durch.

Entgegen der Darstellung in zahlreichen Leitmedien lassen sich die Ergebnisse des Parteitages jedoch auch nicht als Erfolg des „Flügels“ darstellen. Im Gegenteil: Bei der Wahl zum stellvertretenden Bundesschatzmeister wurde Frank Pasemann nicht wiedergewählt. Gegen ihn setzte sich Carsten Hütter aus Sachsen durch. Auch der als zumindest „Flügel“-nahe geltende Martin Reichardt aus Sachsen-Anhalt wurde nicht zum ersten Beisitzer gewählt. Dieser Posten ging an die in der Öffentlichkeit bislang wenig in Erscheinung getretene Europaparlaments-Nachrückerin Dr. Sylvia Limmer.

Höckes Wende zur Realpolitik stärkt seine Position auch ohne „Flügel“

Zudem wurde der prominente „Flügel“-Kandidat und frischgebackene Wahlsieger von Brandenburg, Andreas Kalbitz, erst im zweiten Wahlgang mit nur knapp über 50 Prozent als Beisitzer bestätigt. Deutlichere Ergebnisse erhielten von innerparteilichen Grabenkämpfen weniger belastete Newcomer wie Jochen Haug oder Dr. Alexander Wolf.

In Summe spricht das Ergebnis des Parteitages demnach eher dafür, dass sich der noch in der Ära Bernd Lucke gegründete „Flügel“ aus Sicht der Mitglieder ebenso überlebt hat wie dessen Gegenspieler-Strukturen, die „Alternative Mitte“ oder die „Bürgerliche AfD“. Dass Björn Höcke sich mehrfach selbstkritisch bezüglich früherer missverständlicher Äußerungen positioniert und sich sowohl rhetorisch als auch inhaltlich in Richtung Realpolitik bewegt hat, scheint seine Autorität innerhalb der Gesamtpartei gesteigert zu haben.

Wo aber auch bedeutende Exponenten des nationalkonservativen Spektrums die Möglichkeit finden, gleichberechtigt in den Gremien mitzuwirken, stellt sich die Frage, welchen Zweck Strukturen wie der „Flügel“ noch erfüllen könnten.



Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion