„Anti-Rassismus-Agenda 2025“ fordert: Migrationsministerium, neues Partizipationsgesetz, neues Staatsziel in GG Art. 20b

In Berlin trifft sich heute der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Dabei werden auch Migrantenorganisationen und Vertreter der Wissenschaft angehört. Vor zwei Tagen wurde dazu die "Anti-Rassismus-Agenda 2025" vorgelegt – ein Blick auf die Handlungsempfehlungen der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen.
Von 2. September 2020

In Vorbereitung des Treffens legte die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen am 31. August 2020 die „Anti-Rassismus-Agenda 2025“ in einer ersten Fassung vor. Darin fordern Migranten unter anderem die Berufung eines Expertenrates zur Bekämpfung von Rassismus. Gleichfalls soll ein Integrationsministerium eingerichtet werden und Migrantenquoten im öffentlichen Dienst gelten. Sie fordern die Ausweitung des Wahlrechts, damit alle wählen gehen können, die schon länger als fünf Jahre rechtmäßig in Deutschland sind.

Von der Änderung des Wahlrechts wären aktuell etwa 6,5 Millionen Menschen betroffen – „Das sind mehr als AfD-Wähler 2017 bei der Bundestagswahl“, so die Vorsitzende des Polnischen Sozialrats, Marta Neüff. Der Polnische Sozialrat gehört ebenfalls zu den Migrationsverbänden.

Fünf Empfehlungen bis 2025

Rund ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands hat einen Migrationshintergrund. Daher sehen die Autoren der „Anti-Rassismus-Agenda 2025“ folgende Handlungsempfehlungen als essenziell für die nächsten fünf Jahre an (Quelle, Dr. Cihan Sinanoglu):

  1. Wir fordern eine gesetzlich verankerte Definition von Rassismus auch in institutioneller und struktureller Form, um den Staat und die Behörden handlungsfähiger zu machen.
  2. Wir fordern eine dauerhafte, institutionelle Verankerung der Themen auf allen politischen Ebenen.
  3. Der Diskriminierungsschutz muss gestärkt werden.
  4. Neues Staatsziel – Bekenntnis zur Einwanderungsgesellschaft und Antirassismus.
  5. Politische Teilhabechancen von Drittstaatler*innen erweitern.

Um die Forderungen der Migrationsverbände umsetzen zu können, fordern sie zwei neue Gremien. Dazu gehören: ein „Partizipationsrat Einwanderungsgesellschaft“ und eine Enquete Kommission vom Bundestag zum Thema Rassismus. Wichtig sei ein Partizipationsgesetz, das „die Gleichstellung mit Quoten für Menschen mit Migrationsgeschichte, die von Rassismus betroffen sind, gemäß ihres Bevölkerungsanteils im öffentlichen Dienst“ vorsieht.

Dazu gehört auch eine „verpflichtende intersektionale und diversitätsorientierte Organisationsentwicklung der Bundesbehörden“ sowie ein „Diversitybudgeting für den Bundeshaushalt und die langfristige strukturelle Förderung von Organisationen von Schwarzen Menschen und People of Color“.

Die Forderungen: Partizipationsrat nach dem Vorbild des Ethikrates

Der „Partizipationsrat Einwanderungsgesellschaft“ soll die Politik nach dem Vorbild des Ethikrates entsprechend beraten. Nach Vorstellungen von Farhad Dilmaghani, Vorsitzender des Vereins „DeutschPlus“, sind dafür 30 Mitarbeiter empfehlenswert.

Davon soll die knappe Mehrheit – 16 Personen – durch Vertreter aller Migranten- und von Rassismus betroffenen Gruppen bestehen. 14 Plätze sind für Vertreter der öffentlichen Hand, der Wissenschaft sowie weiteren Verbänden und Kirchen gedacht.

Migrationsministerium zur Gleichstellung gefordert

Um das erwünschte Staatsziel der Einwanderungsgesellschaft und die Chancengleichheit umzusetzen, fordern die Migantenverbände ein neues Ministerium. Es soll zuständig sein für die „Gleichstellung von Menschen mit Migrationsgeschichte und Menschen die Rassismus erfahren“ haben sowie für diejenigen, die Antirassismus vereint, heißt es in der „Anti-Rassismus-Agenda 2025“.

Zitat: „Unter dem Dach dieses Ministeriums sollte auch die Umsetzung einer progressiven und menschenrechtsbasierten Asyl-, Integrations- und Migrationspolitik verantwortet werden. Wir fordern einen Paradigmenwechsel in der gesamten Migrationspolitik und eine Abkehr vom bisherigen Grundtenor (Migration als Bedrohung und Regulierungsproblem). Damit das gelingt, muss Migrationspolitik vom Bundesinnenministerium als dem Sicherheitsressort abgekoppelt werden.“

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz müsse dringend reformiert und flächendeckend qualifizierte Antidiskriminierungsberatungsstellen geschaffen werden. Zumindest soll eine Migrantenquote für den öffentlichen Dienst festgelegt werden.

Neues Staatsziel im GG Art. 20b aufnehmen und Wahlrecht

Die Migrantenorganisationen fordern die Aufnahme eines neuen Staatsziels ins Grundgesetz als Art. 20b. Ihr vorgeschlagener Text lautet: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein vielfältiges Einwanderungsland. Sie fördert die gleichberechtigte Teilhabe, Chancengerechtigkeit und Integration aller Menschen.“

Dadurch werde verankert, dass „alle staatlichen Ebenen zur Umsetzung dieses Staatsziels verpflichtet sind“. Weiterhin fordern sie die „Förderung von Teilhabe und Vielfalt als Gemeinschaftsaufgabe“ sowie die Verankerung einer Anti-Rassismusklausel im Grundgesetz.

Das allgemeine Wahlrecht soll für alle „Einwohner*innen, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben“ ausgeweitet werden. Dabei sollte das allgemeine Wahlrecht „nicht vom Pass, sondern von einer Mindestaufenthaltsdauer bestimmt werden. Wer seit fünf Jahren über einen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland verfügt, soll auch das allgemeine Wahlrecht erhalten.“

Der Leitkulturparagraf sei zurückzunehmen und eine liberalere Einbürgerungspolitik solle entstehen. Politische Parteien sollten Menschen mit Einwanderungsbiografien stärker repräsentieren und für sie mehr Platz bieten: auf den Wahllisten, in den Funktionen und ihren internen Strukturen.

Bis Oktober müsse nach den Forderungen der Migrationsverbände die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket vorlegen, „das ihrem selbstgesteckten Ziel gerecht wird: ‚eine Rechtsextremismus- und rassismusfreie und chancengerechte Einwanderungsgesellschaft zu schaffen‘. Der Kabinettsausschuss wird sich daran messen lassen müssen. Wir werden unsere Forderungen mit den Beschlüssen des Kabinettsausschusses abgleichen und Fortschritte bzw. Versäumnisse regelmäßig evaluieren.“

Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen

Die Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen ist ein Netzwerk aus 40 Migrantenorganisationen. Sie bietet ein „regelmäßiges Diskussionsforum, um den Stimmen der Migrationslandschaft mehr Gehör zu verschaffen, um politische Impulse zu geben und beizutragen zu einer zukunftsgewandten und teilhabeorientierten Politik, welche die Integration der gesamten Gesellschaft in den Blick nimmt“, wie es in einer Presseerklärung der Organisation heißt.

Sie schreiben: „Allerdings reicht es nicht, sich mit Extremismus und Gewalt zu beschäftigen. Wer die Ungleichbehandlung von Menschen aus Einwandererfamilien bekämpfen will, muss einen radikalen Paradigmenwechsel in der politischen Rhetorik und der Migrations- und Teilhabepolitik vornehmen. In diesem Sinn ist für uns nicht nachvollziehbar, warum die Ressorts für Gesundheit und Arbeit nicht im Rassismus-Kabinett eingebunden sind. Wir haben es mit einem gesamtgesellschaftlichen Problem und Querschnittthema zu tun.“



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