Antifa-Allianz und Untergrundzelle – und bald „gezielte Tötungen“?

Die Antifa vereinigt sich, und die Zahl der Aktivisten im Untergrund steigt. Polizei und Verfassungsschutz bemerken eine Veränderung des Linksextremismus in Deutschland.
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Anhänger der Linksradikalen Antifa.Foto: AFP / Getty Images
Von 3. Oktober 2023

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte im Sommer bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022: Der Rechtsextremismus sei „unverändert die größte extremistische Gefahr für die demokratische Grundordnung“. Fast unisono formulierte es auch Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang: Der Rechtsextremismus sei „die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung und auch die Sicherheit“.

Auf den weiteren politischen Rängen wird dieser Kanon – mehrstimmig, aber einseitig – weitergegeben. Oft wird daher die besorgniserregende Entwicklung des Linksextremismus ideologisch ausgeblendet.

Doch diese gefährliche Blindheit auf dem linken Auge könnte für unsere Gesellschaft ernsthafte Folgen haben – auch wenn die Antifa-Anhänger immer wieder gern als demonstrierende Aktivisten gegen Neonazis verharmlost werden.

Radikalisierung zu mehr Gewalt

Die Betätigungsfelder des Linksextremismus hätten sich von Brandstiftungen und Sachbeschädigungen in den vergangenen Jahren immer mehr in Richtung gezielter Gewalttaten gegen politische Gegner gewandelt. Mögliche Todesfälle würden nicht mehr ausgeschlossen, berichtet die „Tagesschau“ nach Informationen aus Sicherheitskreisen.

Mittlerweile werde nach mehr als einem Dutzend untergetauchter Linksextremisten per Haftbefehl – nach manchen sogar per europäischem Haftbefehl – gesucht. Manche davon gälten als gewaltbereit, einige als „Gefährder“. Ein Umfeld von Unterstützern soll dabei das Leben im Untergrund ermöglichen, heißt es laut Sicherheitskreisen.

Informationen von NDR und WDR sprechen von rund 20 Personen, die untergetaucht seien, „so viele wie seit Zeiten der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) nicht mehr“, schreibt das öffentlich-rechtliche Format.

Interna: Eine Untergrund-Zelle, aber keine RAF

In einer internen Gefährdungsanalyse des Bundesamtes für Verfassungsschutz werde gewarnt, dass sich das Aktionsniveau der untergetauchten Linksextremisten trotz des Ermittlungsdrucks nicht verringert habe, wie es in der Vergangenheit üblich gewesen sei.

Man gehe von einer im Untergrund operierenden Zelle aus. Mit der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion seien die Untergetauchten jedoch nicht zu vergleichen, heiße es, berichtet die ARD.

Antifa – mehr als nur „gegen rechts“

Weiter heißt es, dass sich die Szene 2022 offenbar besser vernetzt habe. Es sei zu Zusammenschlüssen unterschiedlicher Antifa-Gruppen in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz gekommen. Ziel sei es, eine bundesweite Antifa zu bilden – angeblich, um Rechtsextremen „mit gebündelten Kräften den Kampf“ anzusagen.

Erstmals im Frühjahr 2020 habe der Bundesverfassungsschutz eine „neue Radikalisierung innerhalb der linksextremistischen Szene“ festgestellt. Man sprach von einer möglichen „Herausbildung terroristischer Strukturen im Linksextremismus“.

Die „Intensität der Gewalttaten“ habe sich erhöht und „scheinbare ‚rote Linien‘ würden überschritten“. Eines sei daher auch „nicht mehr völlig undenkbar“: der Schritt zur „gezielten Tötung eines politischen Gegners“.

„Hammerbande“ – im Gefängnis und im Untergrund

Die meisten der Untergetauchten sollen aus dem Umfeld der im Frühjahr vom Oberlandesgericht Dresden verurteilten Linksextremistin Lina E. kommen. Lina E. und drei weitere Männer wurden wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Einer der Untergetauchten ist Johann G., nach dem die Generalbundesanwaltschaft seit einigen Tagen öffentlich fahndet. Bis zu 10.000 Euro wurden für Hinweise ausgelobt. „Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, sich als Mitglied einer kriminellen Vereinigung an mehreren politisch motivierten körperlichen Übergriffen beteiligt zu haben“, wird berichtet. Bei den Attacken erlitten die Opfer „zum Teil erhebliche Verletzungen“.

Auch in Ungarn wird nach Johann G. gefahndet. Die ungarische Tageszeitung „Magyar Nemzet“ berichtete im Juni 2023, dass Johann G. der Verlobte der Linksextremistin Lina E. und Mitglied der berüchtigten Antifa-Hammerbande sei. Die Zeitung warnte, dass der Linksextremist als Psychopath gelte und äußerst gefährlich sei.

Die RAF und der deutsche Herbst

Als im April 1968 das Linksextremisten-Pärchen Andreas Baader und Gudrun Ensslin mit zwei anderen „Aktivisten“ Brandsätze in zwei Frankfurter Kaufhäusern zündeten, ahnte noch niemand, dass die beiden rund zwei Jahre später gemeinsam mit der Journalistin Ulrike Meinhof und dem Rechtsanwalt Horst Mahler die RAF gründen würden.

Insgesamt war die rasch anwachsende Gruppe von Linksextremisten für den Tod von mindestens 33 Menschen und 200 Verletzte verantwortlich, heißt es in einem Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung. Der „Spiegel“ schätzte 2007 den angerichteten Sachschaden durch die RAF auf 250 Millionen Euro.

Drei der Gründungsmitglieder der RAF sind tot: Meinhof erhängte sich 1976 in ihrer Zelle. Am 18. Oktober 1977 erschoss sich Baader mit einer in die Zelle geschmuggelten Pistole, während sich Ensslin am Fensterkreuz erhängte. Beide saßen zu diesem Zeitpunkt im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Stuttgart-Stammheim.

Spekulationen ranken sich um diese Todesfälle. Kurz zuvor hatten die Gefangenen trotz Kontaktsperre von einer gescheiterten Flugzeugentführung gehört. Die GSG 9 hatte die mit der RAF verbündeten palästinensischen Terroristen in Mogadischu ausgeschaltet und die Passagiere befreit.

Einen Tag später wurde der seit Wochen von der RAF entführte Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nach einem RAF-Hinweis erschossen im Kofferraum eines Fahrzeugs gefunden. Beide Entführungen hatten vergeblich der Freipressung von RAF-Gefangenen – unter anderem der Führungsriege um Baader – dienen sollen.

Ein Kuriosum: RAF-Gründer Nr. 4

Von den einstigen vier Gründungsmitgliedern der RAF lebt nur noch Horst Mahler. Der Rechtsanwalt wurde 1970 – im Jahr der RAF-Gründung – festgenommen. Die Anklage belief sich auf Gefangenenbefreiung und Gründung einer kriminellen Vereinigung und mehrere Banküberfälle. Für die letzten beiden Vergehen wurde Mahler 1974 schließlich zu zwölf Jahren Haft verurteilt.

Vor Gericht hatte den RAF-Terroristen der Rechtsanwalt Otto Schily – späterer Grünen-Mitbegründer und SPD-Innenminister – vertreten, berichtet die Stiftung Lebendiges Museum zu Mahlers Lebenslauf. 1978 bekam Mahler einen neuen Verteidiger, nicht weniger prominent: Gerhard Schröder (SPD), damals Vorsitzender der Jungsozialisten und später Bundeskanzler. 1980 wird Mahler nach zehn Jahren Haft vorzeitig auf Bewährung freigelassen. Acht Jahre später durfte der ehemalige RAF-Terrorist wieder als Rechtsanwalt arbeiten.

Horst Mahler könnte als Beispiel dafür dienen, wie nahe beieinander Linksextremismus und Rechtsextremismus liegen können. Der frühere Linksextremist und Sozialist wandte sich in den späten 90er-Jahren nationalsozialistischen Kreisen zu, war zeitweise NPD-Mitglied und deren Anwalt. Letztlich war ihm die Partei jedoch zu parlamentarisch und er wandte sich noch extremeren Richtungen zu.



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