Apothekerverband warnt vor Versorgungschaos in der Arzneimittelversorgung
Mit dem 8. April stehen gravierende Veränderungen für die Patienten in der Arzneimittelversorgung an. Vor den Folgen warnt die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening. Sie sieht die Apotheker und vor allem die Patienten durch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Stich gelassen.
„Er ist durch sein beharrliches Nichtberücksichtigen der Apotheken vor Ort dafür verantwortlich, das womöglich größte Versorgungschaos in der Geschichte der bundesdeutschen Arzneimittelversorgung loszutreten.“
Hintergrund ist das Auslaufen der etwa seit drei Jahren geltenden flexiblen Austauschregeln für die Apotheken bei ärztlich verordneten Arzneimitteln. Sie entstanden unter dem Druck der Corona-Krise. Damit sollten „unnötige“ Verzögerungen durch „überbordende Bürokratie und der Urwald an Entscheidungsvorgaben“ für die Abgabe von ärztlich verordneten Arzneimitteln vermieden werden, erklärt Overwiening.
Durch zusätzliche Rücksprachen mit den Ärzten, erneuten Arztbesuchen und generell häufigeren Patientenkontakten in Praxen und in Apotheken wird eine Zusatzbelastung befürchtet. Tatsächlich wurde durch die flexiblen Austauschregeln eine verbesserte Versorgungsqualität sichergestellt, resümiert Overwiening.
„Regeln haben sich außerordentlich bewährt“
Die flexibleren Regeln für die Apotheken hätten sich „außerordentlich bewährt“. Sie haben auch keine Mehrkosten für die gesetzliche Krankenversicherung generiert. Ganz im Gegenteil. Die Einsparungen der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten zwei Jahren über sogenannte Rabattverträge waren höher denn je. Das könne man belegen.
Vor dieser Regelung konnten, obwohl passende Arzneimittel in der Regel in der Apotheke vorrätig waren, die Apotheker die Menschen damit nicht versorgen, „weil die komplizierten Abgaberegeln, die vor drei Jahren noch galten, es nicht zuließen“, so Overwiening.
Mit Austauschregelung ist gemeint, dass, wenn verordnete Packungsgrößen nicht vorhanden sind, vom Rezept abgewichen werden darf. Falls ein bestimmtes Medikament in der vom Arzt verschriebenen Dosierung nicht vorhanden ist, können die Apotheker die Dosis erhöhen oder herabsenken und gleichzeitig beispielsweise die Einnahmemenge erhöhen oder senken, sodass am Ende dieselbe Dosierung herauskommt. Oder – wenn ein Medikament mit einem bestimmten Wirkstoff nicht vorhanden ist – dann darf es gegen ein Präparat mit einem ähnlichen Wirkstoff ausgetauscht werden.
„Herr Minister, Sie liegen falsch“
Die Sicht von Minister Lauterbach sei leider eine andere. So habe er vor einer Woche in Düsseldorf zur Lage bei den Lieferengpässen für Kinderarzneimittel gesagt: „Gott sei Dank, deutlich entspannt“. So zitiert ihn die Verbandspräsidenten. „Ich widerspreche ganz deutlich. Herr Minister, Sie liegen falsch“, so Overwiening.
Noch immer seien viele Hundert Medikamente nicht erhältlich, darunter Antibiotika und Schmerzmittel, führt Overwiening aus. „Die nicht enden wollende Mehrarbeit hält alle Apothekenteams fest im Griff. Die Belastungen sind nahezu unerträglich und kaum noch zu bewältigen.“
Diese Realität müsse vom Minister endlich anerkannt werden. Sie kritisiert: Trotz intensiver Gespräche habe das Bundesgesundheitsministerium es nicht fertiggebracht, zeitnah ein inhaltlich zielführendes Lieferengpassbewältigungsgesetz auf den Weg zu bringen. Jetzt gebe es einen Entwurf vom Ministerium. Darin würden sich jedoch die wichtigen Punkte, die der Apothekerverband sehe, nicht wiederfinden.
Die wichtigsten Punkte sind angesichts anhaltender Lieferengpässe bei Arzneimitteln:
- Apotheken brauchen mehr Entscheidungsspielraum bei der Abgabe von vorrätigen Medikamenten,
- einen angemessenen Engpassausgleich als Honorierung für den entstehenden Aufwand,
- Apotheken müssen im Notfall auch eigene Rezepturen und Defekturen anfertigen dürfen,
- die Darreichungsform soll ausgetauscht werden können.
„Die Situation der Lieferengpässe hat sich stetig verschärft“
Prof. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel beim Apothekerverband, fügt hinzu: „Die Situation der Lieferengpässe hat sich stetig verschärft. Und deswegen brauchen wir mehr Flexibilität, um die Patienten versorgen zu können.“ Es sei nicht davon auszugehen, dass die Lieferengpässe weniger werden. Man habe in 26 europäischen Ländern einen Mangel an Antibiotika. Die Versorgung mit Fieber- und Schmerzsaft werde sich erst langsam verbessern.
Der Entwurf des Ministeriums sieht vor, dass sich Apotheker zukünftig an einer Liste vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte orientieren müssen, um zu wissen, ob sie Arzneimittel austauschen dürfen oder nicht.
Er betont, dass trotz einer Austauschregelung die Apotheken natürlich immer das verordnete Arzneimittel abgeben würden, wenn sie es vorrätig haben. „Das ist ja viel, viel einfacher für die Apotheke selbst.“ Keine Apotheke würde von sich aus sagen: „Ich will jetzt hier mal frei reagieren“, so Schulz.
Der Apothekerverband hofft auf Annahme eines Änderungsantrags durch den Bundestag, der am Freitag verlesen werden soll. Er sieht vor, die Austauschregeln bei der Arzneimittelabgabe bis 31. Juli zu verlängern. In einer Stellungnahme gegenüber dem Bundesgesundheitsministerium habe man allerdings schon dargelegt, dass die Austauschregel „unbedingt gesetzlich verstetigt werden muss“.
Situation der Apotheken in Deutschland ist angespannt
Die Situation der Apotheken in Deutschland ist angespannt. Neben der zunehmenden Konkurrenz durch die Internetapotheken und einer Rückbesinnung von immer mehr Menschen zur Naturheilkunde und alternativen Heilmethoden belastet sie das Problem des Fachkräfte- und Nachwuchsmangels.
So sank die Zahl der Apotheken in Deutschland zum Jahresende 2022 um 393 auf 18.068. Das sei der größte jährliche Verlust an Apotheken in der Geschichte der Bundesrepublik, so die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Dabei ist nicht nur die Zahl der selbstständigen Apothekerinnen und Apotheker zurückgegangen (-363), sondern erstmals auch die Zahl der von ihnen betriebenen Filialen (-30).
Die Zahlen beruhen dabei auf einer Auswertung der ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) von Meldungen der Landesapothekerkammern aus allen 16 Bundesländern. Die Apothekendichte in Deutschland liegt bei 22 Apotheken pro 100.000 Einwohnern. Im europäischen Durchschnitt beträgt sie 32.
„Viele Inhaber geben auf, weil sie nicht genug qualifiziertes Personal oder keine Nachfolge zur Übernahme ihrer Apotheke finden. Die Basis der Arzneimittelversorgung in Deutschland wird somit langsam unterspült“, kommentiert die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Gabriele Regina Overwiening, die Zahlen. „Wenn so viele selbstständige Apotheker ihre Apotheke aufgeben müssen, ist das schon schlimm. Wenn jetzt aber auch erst vor wenigen Jahren eröffnete Filialapotheken schließen müssen, zeigt das, wie eng die wirtschaftliche Situation ist.“
Die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. – ist die Spitzenorganisation aller Apotheker. Sie zählt 17 Landesapothekerkammern und 17 Landesapothekerverbände zu ihren Mitgliedern.
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