Auswanderung auf hohem Niveau: Vor allem Hochqualifizierte verlassen Deutschland

Von der Inflation über die Politik bis hin zu den wirtschaftlichen Aussichten reichen die Gründe für den anhaltenden Trend zur Auswanderung aus Deutschland. Im vergangenen Jahr verließen mehr als 80.000 deutsche Staatsbürger das Land.
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Bei der Auswanderung aus Deutschland bleibt die Schweiz eines der beliebtesten Zielländer.Foto: iStock
Von 4. September 2023


Deutschland erlebt einen „Bevölkerungsaustausch“. Zwar ist dieser kein Resultat einer Verschwörung oder Teil eines „großen Plans“ – und das Level bleibt in Summe überschaubar. Dennoch ist der Trend eindeutig: Einer verstärkten Einwanderung nach Deutschland in den vergangenen Jahren steht ein dauerhaft hohes Maß an Auswanderung gegenüber.

Auch wenn die Einwanderung den Wanderungssaldo insgesamt noch im positiven Bereich hält, leben bereits jetzt 3,8 Millionen deutsche Staatsangehörige im Ausland. Diese aus einem OECD-Bericht stammende Zahl entspricht einem Anteil von 5,1 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Das ist OECD-weit der dritthöchste Anteil hinter Polen und Großbritannien. Im vergangenen Jahr war der negative Wanderungssaldo nur unter deutschen Staatsangehörigen mit 83.414 so hoch wie seit 2016 nicht mehr.

Auswanderung auch unter nichtdeutschen Staatsangehörigen hoch

Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus der AfD-Fraktion im Bundestag hervorgeht, hatten im Vorjahr insgesamt 268.167 Menschen Deutschland verlassen. Demgegenüber hatte sich das jährliche Ausmaß der Auswanderung in den 1990er Jahren noch weitgehend im Bereich zwischen 100.000 und 150.000 Personen gehalten.

Die Zahl der nichtdeutschen Staatsangehörigen, die jährlich das Land verlassen, ist noch deutlich höher – und hält sich ebenfalls auf hohem Niveau. Im Vorjahr lag die Zahl der ausländischen Staatsangehörigen, die Deutschland verließen, bei 935.516. Das ist der höchste Wert seit dem Vor-Corona-Jahr 2019 (961.258) – und auch hier waren die Zahlen zumindest bis in die 2010er Jahre deutlich niedriger. Von 1990 bis 2012 lagen sie zwischen knapp 500.000 und etwas über 600.000.

Zu niedrige Löhne und zu hohe Abgaben machen Rückkehr unattraktiver

Deutschland hat nun ein doppeltes Problem: Die Auswanderung bleibt auf einem hohen Niveau – und etwa drei Viertel der Auswanderer haben einen akademischen Abschluss. Demgegenüber bleibt Deutschland für ausländische Fachkräfte unattraktiver als eine Vielzahl potenzieller weiterer Auswanderungsziele. Es ist ungewiss, ob die jüngsten Anstrengungen der Bundesregierung, ihnen die Einwanderung zu erleichtern, diesem Trend entgegenwirken können.

Immerhin verabschieden sich nicht alle Personen, die den Weg der Auswanderung aus Deutschland wählen, dauerhaft aus Deutschland. Dies legt zumindest eine im Jahr 2019 vorgestellte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) nahe. Ihr zufolge gaben 58 Prozent von über 10.000 befragten Auswanderern „berufliche Weiterentwicklung“ und „neue Erfahrungen“ als Begründung an.

In vielen Fällen spielten auch private Gründe wie Eheschließung oder familiäre Verbindungen ins Ausland eine Rolle. Der deutlich höhere Nettomonatsverdienst von durchschnittlich etwa 1.186 Euro ist allerdings ein gewichtiges Argument für eine dauerhafte Auswanderung. Entsprechend machen etwa Ökonomen deutlich, dass die Löhne in Deutschland deutlich steigen müssten, um mehr Menschen im Land zu halten. Dazu sei eine Reform des Steuer- und Abgabenrechts erforderlich, um für die in Deutschland Berufstätigen höhere Nettoverdienste zu gewährleisten.

Corona-Politik hat den Wunsch nach Auswanderung weiter gesteigert

Allerdings sind auch über die Arbeitsmarktaussichten hinaus in den vergangenen Jahren Faktoren dazugekommen, die Auswanderung aus Deutschland zusätzlich begünstigen. Einer davon sind die hohen Energiepreise und die hohe Inflation. Wie Jochen Schuppener, der Leiter einer Auswanderungsagentur, gegenüber der „Wirtschaftswoche“ erklärte, zieht es nicht nur Ruheständler ins Ausland.

Viele von ihnen siedelten sich beispielsweise in südostasiatischen Ländern wie Thailand an, weil ihre Rente dort eine höhere Kaufkraft gewährleistet. Auch die Türkei und Griechenland gehören zu den Geheimtipps für das Alter. Der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) zufolge gehen mittlerweile etwa sieben Prozent aller Renten ins Ausland. Dies entspreche der Zahl von 1,71 Millionen Berechtigten und einem Plus von 37 Prozent gegenüber vor 20 Jahren.

Allerdings ist auch eine zunehmend autoritäre, gängelnde und ideologische Gangart der Politik für immer mehr Menschen ein Grund, Deutschland zu verlassen. Agenturleiter Schuppener beispielsweise betont, dass die Corona-Pandemie die Zahl seiner Kunden in die Höhe getrieben habe. Die Betroffenen seien „deutschlandmüde“, viele erhofften sich im Ausland ein selbstbestimmteres Leben. Etwa 18 Prozent der Auswanderer jüngerer Zeit äußerten „Agrar heute“ zufolge explizit eine Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland als Auswanderungsgrund.

Deutschland auch international starker Konkurrenz ausgesetzt

Die meisten Auswanderer zieht es aus Bundesländern wie NRW, Baden-Württemberg und Bayern ins Ausland. Vor allem in den südlichen Bundesländern spielt eine Nähe zu Österreich und der Schweiz eine Rolle, die – neben den USA – immer noch zu den Top 3 der Zielländer zählt. In den ostdeutschen Bundesländern ist der Trend zur Auswanderung etwas geringer. Polen und Tschechien zählen bereits aufgrund der Sprachbarrieren nicht zu den gefragtesten Auswanderungszielen.

Um dem demografischen Abwärtstrend und der Überalterung entgegenzuwirken, wird Deutschland darauf angewiesen sein, Menschen aus Ländern anzuziehen, in denen die Gesamtsituation ökonomisch vergleichsweise noch ungünstiger ist. Dazu kommt die Notwendigkeit, Familien eine bessere Perspektive zu schaffen und das Bildungswesen zukunftsfähig zu machen.

Ob die Politik das dafür erforderliche Vertrauen schaffen kann, ist jedoch ungewiss. Außerdem konkurriert Deutschland auch auf internationaler Ebene als Zielland für ausländische Fachkräfte mit anderen potenziellen Zielländern.



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