Balkanroute zu? Merkel lässt Seehofers Wunschtraum platzen

Die Türkei habe eine „Schlüsselrolle“ in der Flüchtlingskrise, sagt Merkel, wie schon so oft zuvor. Aber diesmal muss sie handfeste Ergebnisse mit nach Hause bringen. Schließung der Grenzen nein, aber Reduzierung der Zahlen ja.
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In der Flüchtlingspolitik weiterhin überkreuz: CSU-Chef Seehofer und Kanzlerin Merkel bei einer Veranstaltung der CSU in Kreuth.Foto: Peter Kneffel/Archiv/dpa
Epoch Times7. März 2016
Der Satz mit der Balkanroute sorgte seit Sonntagabend in Brüssel für Aufregung. „Diese Route ist nun geschlossen“, hieß es im Entwurf der Schlusserklärung für den EU-Krisengipfel zur Flüchtlingsfrage. 

Doch am Montag, das Treffen der 28 EU-Staats- und Regierungschefs mit der Türkei hat noch nicht begonnen, räumt Angela Merkel das Ding schnell wieder ab. „Es kann nicht darum gehen, dass irgendetwas geschlossen wird.“ Basta.

Davor hatten Diplomaten schon erkennen lassen, dass nicht nur Merkel, sondern auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Formulierung von der vollzogenen Schließung der Balkanroute widersprach. Auch der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras soll den Satz vehement abgelehnt haben. Obwohl am Sonntag noch 28 EU-Botschafter dem Vernehmen nach dafür waren.

Aber die Balkanroute ist ja eben nicht geschlossen: Die Zahlen seien zwar erheblich zurückgegangen, aber immer noch kämen ja Menschen auf diesem Weg nach Mitteleuropa, hieß es am Montag.

Merkels Kritiker in der Union, allen voran CSU-Chef Horst Seehofer, hätte es wohl gefreut, wenn es anders gekommen wäre. Sie hätten die geschlossene Balkanroute als deutliches Signal zu einer Reduzierung der Flüchtlingszahlen vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an diesem Sonntag begrüßt. Aber die Kanzlerin stellt klar, worum es an diesem Tag in Brüssel wirklich geht: um eine „nachhaltige Lösung“ mit der Türkei.

Wie genau die aussehen soll, darüber zerbrach sie sich schon in der Nacht vor dem Gipfel für mehr als fünf Stunden den Kopf. Bis 2.30 Uhr am Morgen saß sie in der türkischen Botschaft mit Ahmet Davutoglu zusammen, dem Ministerpräsidenten aus Ankara. 

In Berlin wurde bestätigt, dass sie dabei auch die Einschränkungen der Pressefreiheit in der Türkei ansprach. Am Freitag war die regierungskritische türkische Zeitung „Zaman“ von Richtern mit Sondervollmachten unter Aufsicht einer staatlichen Treuhandverwaltung gestellt worden. Das erschwert die Verhandlungen mit der Türkei über einen EU-Beitritt.

Vor allem ging es in dem Gespräch zwischen Merkel und Davutoglu aber um den Deal, der im November zwar als EU-Türkei-Aktionsplan beschlossen, aber noch lange nicht umgesetzt ist. 

Die Türkei habe eine „Schlüsselrolle“ in der Flüchtlingskrise, sagt Merkel, wie schon so oft zuvor. Aber diesmal muss sie handfeste Ergebnisse mit nach Hause bringen. Schließung der Grenzen nein, aber Reduzierung der Zahlen ja. Das hat sie versprochen.    

Dass das Treffen mit Davutoglu so lange gedauert hat, nährte in Brüssel die Hoffnung auf echte Fortschritte. Die Türkei könnte bereit sein, tatsächlich nicht nur sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch Syrer aus Griechenland zurückzunehmen, was die schwierige humanitäre Lage dort entspannen würde. 

Dafür könnten, so wurde spekuliert, Visaerleichterungen für die Türkei schneller umgesetzt werden. EU-Staaten müsste ihrerseits Flüchtlingskontingente direkt aus der Türkei übernehmen. Freiwillig, versteht sich. 

Weitere Zugeständnisse an Ankara sind wohl unvermeidlich, auch wenn sie in Merkels Union nicht auf Begeisterung stoßen. Der Konflikt mit den Kurden, aber auch die schwierige Lage der Christen im Land werden dort sehr kritisch gesehen. „Ich wundere mich, warum man der Türkei nicht die Vollmitgliedschaft ab August anbietet“, sagt ein Unionspolitiker dazu sarkastisch.

Am 14. März wird Merkel in Berlin die Ergebnisse der Wahlen in den drei Bundesländern analysieren. Dann wissen sie und der Rest der Republik auch ein bisschen mehr darüber, wie die Wähler die Signale vom Krisengipfel in Brüssel aufgenommen haben könnten.

(dpa)

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