Bayern: Freie Wähler bleiben im Aufwind – und bremsen damit CSU und AfD aus

Weniger als drei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern bleiben die Freien Wähler im Freistaat im Aufwind. Die Kampagne der „Süddeutschen Zeitung“ gegen Parteichef Aiwanger hat offenbar einen Solidarisierungseffekt bewirkt.
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger sah sich mit Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblatts konfrontiert.
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger sah sich mit Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblatts konfrontiert.Foto: Uwe Lein/dpa
Von 19. September 2023

Knapp drei Wochen vor der Landtagswahl in Bayern am 8. Oktober dürfen die Freien Wähler (FW) weiterhin auf ein Rekordergebnis hoffen. Der gewichtete Durchschnitt aus jüngsten Umfragen sieht sie bei mehr als 15 Prozent, eine der jüngsten Erhebungen des Instituts GMS für „Sat.1“ sieht sie bei 17.

Ein solches Ergebnis würde der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Markus Söder eine stabile Mehrheit zum Weiterregieren sichern – trotz der Schwäche der CSU. Diese hatte bereits 2018 mit 37,2 Prozent der Stimmen ihr historisch schlechtestes Landtagsergebnis in Bayern eingefahren. GMS zufolge könnten die ehemals mit klaren absoluten Mehrheiten regierenden Christlichsozialen diesmal mit 36 Prozent sogar noch darunter landen.

Obsessive Beschäftigung mit Sturz von Aiwanger

Die deutlichen Zugewinne der Freien Wähler gehen auf die vergangenen Wochen zurück. Es zeichnet sich ab, dass die Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“ über eine Begebenheit aus der Jugend von Parteichef Hubert Aiwanger einen Solidarisierungseffekt bewirkt hat.

Das Blatt hatte auf Initiative eines früheren Lehrers über antisemitische Flugblätter berichtet. Diese seien im Jahr 1987 in der Schultasche Aiwangers aufgetaucht und hätten auch disziplinarische Konsequenzen für diesen gehabt. Sein Bruder gab in Reaktion auf die Berichte an, diese aus Wut über ein Verfehlen des Klassenziels verfasst zu haben.

Einem Bericht des „Focus“ zufolge soll der pensionierte Lehrer Franz G., ein ehemaliger Lehrer aus dem Umfeld der SPD, hinter der Flugblatt-Enthüllung stehen. Schilderungen früherer Mitschüler zufolge soll dieser bereits über längere Zeit Ambitionen gehegt haben, den Wirtschaftsminister zu stürzen. Dabei soll er ein obsessives Verhalten an den Tag gelegt haben.

Aussicht auf Schwarz-Grün in Bayern könnte Solidarisierung mit Aiwanger verstärkt haben

Neben SPD und Grünen hatte auch die FDP im Freistaat unter dem Eindruck der Enthüllungen eine Entlassung Aiwangers gefordert. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz schaltete sich in die Debatte ein und forderte von Berlin aus eine „Klärung“.

Aiwanger galt spätestens seit Juni des Jahres auf der Linken als „Rechtspopulist“. Der FW-Chef hatte in einer Rede auf der Protestveranstaltung gegen das geplante Heizungsgesetz in Erding die versammelten Bürger dazu aufgerufen, sich „die Demokratie zurückzuholen“. Hätte Söder dem Drängen von links nachgegeben, hätte ein Ende des Regierungsbündnisses mit den Freien Wählern gedroht.

Der CSU wäre nach derzeitigem Umfragestand wahrscheinlich nur eine Koalition mit den Grünen als Regierungsoption nach der Landtagswahl geblieben. Eine solche zu erzwingen, war nach Wahrnehmung vieler bayerischer Bürger auch die Absicht hinter der Enthüllung der „Süddeutschen“. Offenbar sah Premierminister Söder dies ähnlich und hielt an seinem Stellvertreter fest.

Einer Umfrage von Forsa zufolge erklärten 58 Prozent der Befragten in Bayern, es sei die richtige Entscheidung von Söder gewesen, Aiwanger im Amt zu belassen. 74 Prozent bezweifeln, dass dieser Schritt Bayern oder Deutschland schaden könne.

Erster erfolgreicher Wahlantritt vor 15 Jahren

Die hohen Umfragewerte der Freien Wähler bremsen unterdessen nicht nur die CSU im Freistaat aus. Auch die AfD bleibt deutlich unter dem derzeit ausgewiesenen Bundesdurchschnitt. Mit 14 Prozent könnte sie zwar einen erheblichen Zuwachs gegenüber den 10,2 Prozent von 2018 erzielen. Allerdings läge sie deutlich unter den 16,5 bis 18 Prozent, die Umfragen ihr noch vor der Kampagne gegen Aiwanger gegeben hatten.

Ursprünglich waren die Freien Wähler auch in Bayern auf die kommunale Ebene beschränkt. Dort wirkten sie bereits seit den 1950er-Jahren, in zahlreichen Gemeinden konnten sie Bürgermeisterposten oder Ratsmehrheiten erlangen. Auf überregionaler Ebene spielten sie jedoch keine Rolle – obwohl es seit 1965 einen Bundesverband gibt.

Der erste erfolgreiche Antritt der Freien Wähler zur Landtagswahl in Bayern datiert aus dem Jahr 2008. Die zuvor mit Zwei-Drittel-Mehrheit regierende CSU stürzte nach dem Abgang von Edmund Stoiber auf 43,4 Prozent ab. Die FW hingegen zogen mit einem zweistelligen Ergebnis in den Landtag ein. Ihr Erfolg ging vor allem zulasten der CSU – was auch personell seinen Ausdruck fand. So gehörte beispielsweise Florian Streibl zu den FW-Landtagsabgeordneten der ersten Stunde. Sein Vater Max Streibl hatte nach dem Tod von Franz Josef Strauß dessen Posten als Ministerpräsident übernommen.

Fall Mollath schärfte das Profil der Freien Wähler

Im Jahr 2013 konnte die CSU unter Horst Seehofer zwar mit 47,7 Prozent die absolute Mandatsmehrheit zurückholen. Es gelang ihr jedoch nicht, diese Position auf Dauer zu halten. Neben dem medialen Rückenwind für die Grünen und dem Aufstieg der AfD lag dies auch an der Stabilität der FW.

Diese hatten als Opposition im Landtag unter anderem Skandale wie jenen um die ungerechtfertigte Verwahrung des Kfz-Werkstättenbetreibers Gustl Mollath im Maßregelvollzug thematisiert. Die CSU musste sich damals den Vorwurf gefallen lassen, diesen aus politischen Gründen aus dem Verkehr gezogen zu haben.

Mollath hatte im Zusammenhang mit einem hart geführten Scheidungsverfahren Schwarzgeldvorwürfe gegen seine Ex-Frau und mehrere Mitarbeiter der damaligen landeseigenen Hypo- und Vereinsbank erhoben. Die Justiz tat diese damals als Fantasien einer gestörten Persönlichkeit mit „fanatisch-querulatorischen Zügen“ ab.

Als die Vorwürfe sich zumindest teilweise als wahr erwiesen, wurde die CSU zum Ziel von Vertuschungsvorwürfen. Auch diese Affäre trug – neben der allgemeinen politischen Großwetterlage – zum Niedergang der lange Zeit als unbesiegbar geltenden „Staatspartei“ bei.

Erfolg der FW bislang nicht von Bayern auf andere Bundesländer übertragbar

Die Stärke der Freien Wähler in Bayern hat neben dem kurzfristigen Solidaritätseffekt zugunsten Aiwangers damit eine Vielzahl von Gründen. Neben der langjährigen Verankerung in den Gemeinden und Persönlichkeiten wie Florian Streibl oder Ex-Fernsehrichter Alexander Hold ist es auch deren Funktion innerhalb des politischen Spektrums.

Für viele frühere CSU-Wähler stellen die FW eine Option dar, um ihrer Stammpartei einen Denkzettel zu verpassen. Zudem spricht sie konservative Wählerschichten an, für die eine Wahl der AfD grundsätzlich nicht infrage kommt. Gleichzeitig trägt eine starke Position der Freien Wähler dazu bei, dennoch eine CSU-geführte Staatsregierung zu ermöglichen und SPD oder Grüne in einer solchen zu verhindern.

Auf andere Bundesländer lassen sich diese Verhältnisse bis dato jedoch nicht übertragen. In Rheinland-Pfalz hatte ein FW-Verband mit Mühe den Einzug in den Landtag geschafft. Auch in Brandenburg ist ein Bündnis, das mit dem FW-Bundesverband kooperiert, im Landesparlament vertreten. Von Ergebnissen wie in Bayern sind diese jedoch weit entfernt, und in anderen Bundesländern sowie auf Bundesebene bleiben die Freien Wähler eine Splitterpartei.

Kritiker werfen der Partei unter anderem vor, auch innerhalb der Koalition mit Markus Söder am Ende dessen Corona-Politik oder den Ausbau von Windenergie mitgetragen zu haben.

(Mit Material von AFP)



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