Bayern: Freie Wähler legen deutlich zu – trotz oder wegen Aiwanger-Flugblatt-Affäre?

Das Festhalten an der aktuellen Regierungskoalition scheint den Bürgern in Bayern wichtiger zu sein als eine Jugendsünde aus dem Jahr 1987. In einer ersten Umfrage nach der Flugblatt-Affäre um Wirtschaftsminister Aiwanger legen die Freien Wähler um vier Prozent zu.
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger sah sich mit Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblatts konfrontiert.
Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger sah sich mit Vorwürfen wegen eines antisemitischen Flugblatts konfrontiert.Foto: Uwe Lein/dpa
Von 6. September 2023

Möglicherweise, um einen Regierungswechsel nach den Landtagswahlen in Bayern zu erzwingen, wollten die „Süddeutsche Zeitung“ und ein ehemaliger Lehrer die Freien Wähler ausschalten. Zu diesem Zweck veröffentlichte das Blatt einen Bericht über ein Flugblatt mit extremistischem Inhalt. Dieses war bei Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger im Schuljahr 1987/88 in der Schultasche gefunden worden.

Das Unterfangen scheint gescheitert zu sein. Ministerpräsident Markus Söder hat am Sonntag, 3. September, erklärt, an der Zusammenarbeit mit Aiwanger und den Freien Wählern festhalten zu wollen. Am Dienstag veröffentlichte INSA die erste Umfrage nach der Flugblatt-Affäre. Dieser zufolge können die Freien Wähler um vier Prozent zulegen. Mit 15 Prozent wären sie nun zweitstärkste Kraft hinter der CSU, die auf 37 Prozent (minus eins) käme. In Bayern wird am 8. Oktober ein neuer Landtag gewählt.

Obsessive Beschäftigung mit Aiwanger

Die Ampelparteien verlieren demgegenüber insgesamt vier Prozentpunkte. Während die Grünen mit einem Rückgang auf 14 Prozent (minus eins) nun mit der unveränderten AfD gleichziehen, müsste die SPD einen Verlust von zwei Prozentpunkten hinnehmen und läge mit neun Prozent im einstelligen Bereich. Die FDP wäre mit vier Prozent (minus eins) nicht mehr im Landtag vertreten. Sie hatte ebenso wie SPD und Grüne eine Entlassung Aiwangers aufgrund der Flugblatt-Affäre gefordert.

Wie der „Focus“ berichtete, soll Franz G., ein ehemaliger Lehrer, hinter der Flugblatt-Enthüllung stehen. Ein ehemaliger Mitschüler schilderte dem Magazin obsessiv anmutende Bemühungen des Lehrers, Belastungszeugen gegen Aiwanger zu finden. Außerdem habe G. versucht, den ehemaligen Schüler für seine Bemühungen zu gewinnen, den Söder-Stellvertreter zu stürzen.

Der Schüler, der 1988/89 in einem Geschichtswettbewerb des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker prämiert worden war, habe das Ansinnen abgelehnt. Auch seien ihm rechtsradikale Äußerungen Aiwangers in dessen Jugend nicht bekannt. Die „Süddeutsche“ hatte dem Politiker unter anderem vorgeworfen, Hitler-Reden vor dem Spiegel geprobt zu haben. Als Quelle hat sie dabei „anonyme Informanten“ angegeben.

Bruch mit Freien Wählern hätte Söder zu Schwarz-Grün gezwungen

Die Freien Wähler hatten sich unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe hinter Aiwanger gestellt, der von einer „Schmutzkampagne“ sprach. Hätte Söder seinen Stellvertreter entlassen, hätte er auf diese Weise mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Weiterführung der Koalition mit dessen Partei unmöglich gemacht.

Profitiert hätte möglicherweise die AfD – und für Söder wäre lediglich ein schwarz-grünes Bündnis in Betracht gekommen. Ein solches hatte der Ministerpräsident jedoch seit Monaten explizit ausgeschlossen. Söder forderte Aiwanger im Rahmen einer Sondersitzung des Koalitionsausschusses dazu auf, 25 Fragen im Zusammenhang mit den Flugblatt-Vorwürfen zu beantworten. Diesem Ansinnen kam Aiwanger nach, und Söder erklärte, das Bündnis weiterführen zu wollen.

Einer Umfrage von Forsa zufolge erklärten 58 Prozent der Befragten in Bayern, es sei die richtige Entscheidung von Söder gewesen, Aiwanger im Amt zu belassen. 74 Prozent bezweifeln, dass dieser Schritt Bayern oder Deutschland schaden könne.

Seit Auftritt in Erding offiziell „Rechtspopulist“

In der „Welt“ erklärte Chefredakteur Ulf Poschardt den gegenteiligen Effekt der Bemühungen von Franz G. und der „Süddeutschen“ mit der „eisigen Logik der Reaktanz“. Die Causa Aiwanger markiere „einen neuen Höhepunkt jener Entfremdung zwischen dem gemeinen Wahlvolk […] und den Moral definierenden Eliten in Politik, Medien und Kultur“.

Dass die Affäre Aiwanger und die Freien Wählen in der Wählergunst stärkt, macht zumindest deutlich, dass die Bürger im Freistaat eigene Prioritäten setzen. Offenbar erscheint es ihnen als dringlicher, eine Beteiligung der Grünen an der Staatsregierung zu verhindern, als Aiwanger für alte Flugblätter in seiner Schultasche zu sanktionieren.

Auf der Linken war Aiwanger insbesondere seit seiner Rede auf der Protestveranstaltung gegen das geplante Heizungsgesetz in Erding zum Feindbild geworden. Der FW-Chef hatte damals die versammelten Bürger dazu aufgerufen, sich „die Demokratie zurückzuholen“. Dies hatte ihn in den einschlägigen Kreisen endgültig zum „Rechtspopulisten“ gestempelt.

Denunziant könnte mehrere Gesetze verletzt haben

Inwieweit es für Franz G. nun disziplinarrechtliche Konsequenzen geben wird, ist ungewiss. Gegen ihn werden inzwischen Verstöße gegen Bestimmungen des Datenschutzes und der Verschwiegenheitspflicht laut. Darüber hinaus habe sein Verhalten gegen die bayerische Lehrerdienstordnung verstoßen.

Der frühere Lehrer soll der „Süddeutschen“ auch eine Schularbeit Aiwangers zum Zwecke der Anfertigung eines Schreibmaschinen-Gutachtens übermittelt haben. Dies wäre eine Verletzung von Bestimmungen über Aufbewahrungsfristen. Sollte es zu einem Disziplinarverfahren kommen, droht dem Lehrer mit Nähe zu SPD-Ortsverbänden eine Kürzung der Bezüge um bis zu 20 Prozent. Diese Sanktion kann für eine Dauer von bis zu fünf Jahren verhängt werden.

Knobloch: Aiwanger muss „Vertrauen wiederherstellen“

Vonseiten der jüdischen Gemeinden hat sich die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, auf X zu Wort gemeldet. Sie äußerte:

Die Entscheidung von MP Söder, Hubert Aiwanger im Amt zu belassen, ist politisch zu akzeptieren. Ich weiß, dass er diese Entscheidung als Ergebnis einer schwierigen Abwägung getroffen hat mit dem Ziel, einen gangbaren Weg für die Zukunft aufzuzeigen.“

Inwieweit es Hubert Aiwanger nun gelingen werde, die Vorwürfe, die noch im Raum stehen, mit Worten und Taten zu entkräften, werde sich zeigen. Er müsse Vertrauen wiederherstellen. Die Türen der jüdischen Gemeinschaft seien für ihn immer offen gewesen. Eine persönlich an sie herangetragene Entschuldigung von Aiwanger habe sie jedoch nicht angenommen, berichtet der „Spiegel“.



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