Rechtsreferendare in Berlin dürfen Kippa tragen – Liecke: „Frontalangriff auf die staatliche Neutralität“
Berlin (dpa/bb) – Juristen in Ausbildung bei Berliner Gerichten und bei der Staatsanwaltschaft dürfen in Verhandlungen nun religiöse Symbole wie Kopftuch, Kreuz oder Kippa tragen.
Das entschieden die Leitungen des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts von Berlin und Brandenburg sowie des Kammergerichts, wie die Justizverwaltung am Donnerstag mitteilte.
Demnach dürfen die betreffenden Referendare in einem Prozess hoheitliche Aufgaben übernehmen – jedoch nur, wenn sie dabei einen Richter oder Staatsanwalt als Ausbilder an ihrer Seite haben. Zu solchen hoheitlichen Aufgaben können auf Seite des Gerichts die Sitzungsleitung oder die Befragung von Prozessbeteiligten gehören, auf Seite der Staatsanwaltschaft das Verlesen der Anklage.
Grundlage für die seit 1. August für den neuen Referendarsjahrgang geltende Regelung sei die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und das Berliner Neutralitätsgesetz, erläuterte ein Sprecher von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Zwar untersagt das Neutralitätsgesetz Pädagogen an allgemeinbildenden Schulen, Richtern, Staatsanwälten oder Polizisten das Tragen religiöser Symbole oder Kleidungsstücke im Dienst. Für Menschen in Ausbildung sind aber Ausnahmen möglich.
Liecke: „Frontalangriff auf die staatliche Neutralität“
Der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Falko Liecke nannte die neue Regelung einen „Frontalangriff auf die staatliche Neutralität“. Senator Behrendt missachte damit das Neutralitätsgesetz und sende ein „gefährliches Signal an die immer stärker organisierten Vertreter des politischen Islam in dieser Stadt“. Liecke: „Staatsdiener müssen in ihrer Funktion weltanschaulich und politisch neutral sein.“
Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus forderte den Senat in einem Dringlichkeitsantrag auf, der neuen Regelung einen Riegel vorzuschieben. Behrendts Alleingang sei politisch und gesellschaftlich nicht gewollt, erklärte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Sven Rissmann. Er sprach von einem „Akt exekutiver Arroganz eines Einzelnen“.
Kritik kam auch vom Koalitionspartner SPD. „Die SPD-Fraktion steht zum Neutralitätsgesetz, sie steht zur religiösen Neutralität bei Schulen, Justiz und Polizei“, betonte der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Sven Kohlmeier, am Abend bei einer Debatte im Abgeordnetenhaus. Er verwies darauf, dass Gesamtpersonalrat und Richterschaft die neue Regelung ablehnten und religiöse Symbole im Gerichtssaal nicht wünschten.
Linken und Grünen verteidigten die neue Regelung
Der FDP-Politiker Paul Fresdorf betonte: „Die Neutralität des Staates ist jederzeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu gewährleisten. In der Schule und der Justiz.“ Der AfD-Politiker Marc Vallendar äußerte die Befürchtung, dass als nächsten Schritt auch Staatsanwältinnen selbst Kopftuch tragen dürften. Parlamentarier von Linken und Grünen verteidigten die neue Regelung hingegen als maßvoll und richtig.
Das Berliner Neutralitätsgesetz sorgt auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition immer wieder für Streit. Während etwa Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) das Gesetz für verfassungskonform und sachgerecht hält, ist Behrendt gegenteiliger Meinung.
Vor wenigen Tagen hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass das im Neutralitätsgesetz verankerte pauschale Kopftuchverbot für Lehrerinnen einen unzulässigen Eingriff in die Religionsfreiheit darstellt. Eine Muslimin, die ihr Kopftuch nicht abnehmen wollte und deswegen nicht in den Schuldienst übernommen wurde, sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden und habe von der Vorinstanz zu Recht eine Entschädigung zugesprochen bekommen. Die Richter verwiesen auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und forderten, den fraglichen Paragrafen des Neutralitätsgesetzes verfassungskonform auszulegen mit dem Ziel, dass nur eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ein Kopftuchverbot begründen kann.
Scheeres bekräftigte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dass sie eine Beschwerde gegen das Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht oder dem Europäischen Gerichtshof prüft. Zuvor müsse die ausführliche Urteilsbegründung abgewartet und dann ausgewertet werden. (dpa/so)
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