Bleibt Frage nach möglichem Behördenversagen ungeklärt? – U-Ausschuss zu Anis Amri beendet öffentliche Sitzungen

Berlins Innensenator Andreas Geisel zeigte sich vor dem Anis-Amri-Untersuchungsausschuss zufrieden über Fortschritte in der Terrorprävention seit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz. Kritiker halten das bevorstehende Ende öffentlicher Sitzungen für verfrüht.
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Fahndungsfotos des damals im Zusammenhang mit dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz gesuchten Tunesiers Anis Amri.Foto: Arne Dedert/Archiv/dpa
Von 6. September 2020

Das IT-Portal „Telepolis“ berichtet, dass der Anis-Amri-Untersuchungsausschuss des Berliner Landtages noch in diesem Monat seine öffentlichen Zeugenbefragungen zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz vom 19. Dezember 2016 beenden wird. Nachdem Innensenator Andreas Geisel und Justizsenator Dirk Behrendt im Laufe der letzten vollen Augustwoche als Zeugen geladen waren, soll es nach dem September keine öffentlichen Sitzungen des Ausschusses mehr geben – obwohl noch ein Jahr Zeit bliebe bis zu den nächsten Abgeordnetenhaus-Wahlen.

Bleibt die Frage nach möglichem Behördenversagen ungeklärt?

Kritiker wittern in dem Schritt ein mögliches Manöver, um weiteren Fragen nach einem denkbaren Behördenversagen im Vorfeld des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt aus dem Weg zu gehen, bei dem zwölf Menschen starben und 56 zum Teil schwer verletzt wurden.

Immerhin war es Geisel selbst, der bereits im Mai 2017 dem Landeskriminalamt (LKA) vorgeworfen hatte, nachträglich Akteninhalte verändert zu haben, die den dem Staatsschutz bereits zuvor als islamistischer Gefährder bekannten Anis Amri betrafen. Amri war jedoch nicht nur extremistischer Umtriebe wegen im Visier von Behörden, sondern auch infolge seiner Gewaltbereitschaft, die er innerhalb des Drogenmilieus unter Beweis gestellt hatte.

Wie Sonderermittler Bruno Jost enthüllte, seien Erkenntnisse über Amri umdatiert, geschönt oder rückwirkend in sinnentstellender Weise umgetextet worden, sodass Geisel selbst Strafanzeige gegen zwei mutmaßlich verantwortliche LKA-Beamte stellte.

LKA-Beamte könnten endgültig Befragung durch den U-Ausschuss entgehen

Für die Beamten aus der Staatsschutzabteilung selbst erwies sich diese Anzeige im Nachhinein als glückliche Fügung. Erst konnten sie unter Verweis auf ihre Selbstbelastungsfreiheit eine Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss umgehen. Als im April 2018 die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellte, weil sie keinen Nutznießer in der Manipulation erkennen wollte, folgten interne Disziplinarverfahren, die bis heute nicht abgeschlossen ist.

Unter Berufung auf diese verweigerten die Beamten im April 2019 die Aussage vor dem U-Ausschuss, weil sie sich darauf beriefen, sich immer noch nicht selbst belasten zu müssen. Der Ausschuss will seit Ende 2019 die Aussage via Landgericht und ein Ordnungsgeld erzwingen, eine Entscheidung in dieser Sache steht aber immer noch aus. Ob das bevorstehende Ende der öffentlichen Ausschusssitzungen auch ein Aus für allfällige Befragungen der Staatsschützer bedeutet, ist ungewiss, aber nicht unwahrscheinlich.

Geisel selbst schien, wie jüngste Aussagen, die Telepolis wiedergibt, mit seiner Anzeige weniger eine tatsächliche Aufklärung des Sachverhalts als vielmehr eine PR-Maßnahme in eigener Sache bezweckt zu haben. Er habe durch sein Vorgehen eine externe Prüfung des Vorgangs erzwingen wollen, erklärte der Innensenator Ende August 2020. Angesichts der Brisanz der Thematik habe er beabsichtigt, einem möglichen Vertrauensverlust in die Sicherheitsbehörden entgegenwirken zu wollen.

Geisel: „Amri zu keinem Zeitpunkt V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes“

Als Blitzableiter für den Unmut über einen möglichen Vertuschungsverdacht bietet sich infolge des Manövers nun auch die Generalstaatsanwaltschaft selbst an. Immerhin sei es deren Oberstaatsanwalt Dirk Feuerberg gewesen, der es als Verantwortlicher für die Ermittlungen gegen Amri im August 2016 verabsäumt hatte, eine Verhaftung des späteren Attentäters zu erwirken.

Einer der Beamten, Tobias L., sei bis zur Eröffnung der Verfahren über alle Schritte der politischen Führung im Bilde gewesen, weil er an den Sicherheitsberatungen mit dem Innensenator teilnahm, schreibt Telepolis weiter. Geisel wiederum beeilte sich von sich aus, zu betonen, dass Amri „zu keinem Zeitpunkt V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes“ – und ließ sich dies auch gleich schriftlich vom Inlandsgeheimdienst selbst bestätigen. Ob ein anderer in- oder ausländischer Dienst ihn in irgendeiner Weise als Informant geführt habe, bleibt auf diese Weise jedoch offen, schließt man in der Analyse des Fachportals.

Hatte Amri Unterstützung von Berliner Clan?

Geisel zeigte sich vor dem Ausschuss zufrieden darüber, dass es seit dem Anschlag gelungen sei, bereits zuvor ins Auge gefasste, aber wiederholt verzögerte Änderungen im Bereich der Gefahren- und Terrorabwehr umzusetzen. Diese erstreckten sich auf die Gefährderbewertung ebenso wie auf erweiterte Befugnisse zur Telefonüberwachung und die Rolle des BKA sowie des Gemeinsamen Terrorismus-Abwehrzentrums (GTAZ). Der Anschlag, so Geisel, habe dafür „wie ein Katalysator gewirkt“.

Jüngst bekannt gewordene Informationen des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern über eine mögliche Unterstützung Amris durch einen bekannten, in Berlin ansässigen arabischen Clan, die ein Informant dem Amt zugetragen habe, würden derzeit „untersucht“. Es gibt Anhaltspunkte, dass zumindest seine Karriere im Drogenmilieu Amri in eine zeitweilige Nähe dieses Clans gerückt habe.



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