Boris Palmer zu Corona-Politik: Risikogruppen schützen statt Deutschland lahmlegen 

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hält die Strategie der Bundesregierung in der Corona-Politik, durch allgemeine Kontaktbeschränkungen Infektionen generell zu verhindern, für nicht länger praktikabel. Stattdessen sollten Risikogruppen gezielt geschützt werden.
Titelbild
Boris Palmer.Foto: Christoph Schmidt/dpa
Epoch Times19. Oktober 2020

Der Oberbürgermeister von Tübingen, Grünen-Politiker Boris Palmer, fordert in einem Gastbeitag für die „Welt“ eine Kursänderung in der Corona-Politik. Er plädiert dafür, Risikogruppen zu schützen, statt wie am Anfang Infektionen generell vermeiden zu wollen. Dies sei kein unkalkulierbares Wagnis, sondern eine Konsequenz aus der Entwicklung der Corona-Krise über die vergangenen Monate hinweg, so der Grünen-Poliker.

Alle Pandemiepläne beinhalten laut Palmer eine Phase, in der die Eindämmung einer Seuche im Vordergrund stehe, und eine des gezielten Schutzes von Risikogruppen, sobald deutlich geworden sei, dass es zu keiner vollständigen Ausrottung des Virus kommen werde.

Dramatische Nebenwirkungen der Schutzmaßnahmen

In seinem Kommentar warnt Palmer warnt vor Nebenwirkungen der Corona-Bekämpfung: „Diese Strategie ist geeignet, die Infektionszahlen zu drücken. Das ist im ersten Lockdown unter Beweis gestellt worden…. Sie hat aber extrem hohe Nebenkosten. Weltweit wird der Corona-Schaden bereits auf 26 Billionen Dollar geschätzt. Der Großteil der Kosten entsteht nicht durch Corona selbst, sondern durch die Schutzmaßnahmen.“

Weitere dramatische Folgewirkungen reichen von Vereinsamung und dadurch bedingten psychischen Gebrechen über Krankheiten infolge unterlassener Arztbesuche im eigenen Land bis hin zur Wiederkehr längst überwunden geglaubter Erscheinungen von Hunger, Kindersterblichkeit und Armut in Entwicklungsländern.

Es sei an der Zeit, so Palmer, von allgemeinen Beschränkungen abzurücken und stattdessen Risikobegegnungen in den Mittelpunkt der eigenen Bemühungen zu stellen:

Der Fokus muss nicht darauf gelegt werden, jede Begegnung und jede Infektion zu vermeiden. Entscheidend ist es, schwere Erkrankungen oder gar Todesfälle zu verhindern. Die Aufgabe lautet, Betriebe, Restaurants, Kitas, Schulen und Heime offenzuhalten, ohne unser Gesundheitssystem zu überlasten.“

Corona-Infektion nicht gefährlicher als Teilnahme am Straßenverkehr

Allgemeine Kontaktbeschränkungen – zu denen Bundeskanzlerin Angela Merkel rät – treffen, wie die realen Infektionszahlen in Deutschland zeigen, in 99,9 Prozent der Fälle die Falschen.

Die Politik muss in der Pandemie die Nerven behalten und das konkrete Risiko zum Maßstab machen“, so Palmer weiter.

Für Menschen unter 40 Jahren sei eine Corona-Infektion nicht gefährlicher als die Teilnahme am Straßenverkehr, obwohl es auch dort immer wieder zu tödlichen Unfällen komme. Aber niemand denke daran, die Teilnahme am Straßenverkehr zu verbieten.

Der Tübinger Oberbürgermeister bezweifelt, dass die emotionalen, menschlichen und ökonomischen Ressourcen im Land noch ausreichen, um noch ein halbes Jahr unter dem Damoklesschwert eines neuerlichen Lockdowns durchzuhalten. Dies sei jedoch die Konsequenz, wolle man über das bevorstehende Winterhalbjahr hinweg die Infektionszahlen mithilfe massiver Kontaktbeschränkungen bis hin zu lokalen Lockdowns minimieren.

Palmer nennt konkrete Maßnahmen für Risikogruppen

Konkret fordert Palmer, in Pflegeheimen regelmäßige Screenings des Personals und Schnelltests für Besucher sicherzustellen. Tübingen praktiziert dieses Modell seit fünf Wochen – mit erkennbarem Erfolg.

Für gefährdete Personen wie Rentner oder Menschen mit Vorerkrankungen der Atemwege sollte es statt der regulären Alltagsmasken medizinische Masken (FFP2 oder FFP3) auf Rezept geben. Diese bieten stärkeren Schutz, seien allerdings auch deutlich kostspieliger in der Anschaffung.

Um die Kontaktverfolgung zu verbessern, stünde mit der Corona-Warn-App „eigentlich ein technisches Instrument bereit, das Datenschutz und Eigenverantwortung mit extrem schneller Warnung vor einer Infektion verbinden könnte“. Sie werde jedoch nur von einem Bruchteil der Menschen genutzt. Palmer plädiert auch hier dafür, über eine Nutzungspflicht nachzudenken – oder zumindest allen, die sich beteiligen wollen, ein Smartphone auf Kosten des Staates zur Verfügung zu stellen.



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