Bundesregierung verfehlt Ziel von 400.000 Wohnungen deutlich – Mieten steigen weiter

Die Bundesregierung hat 2022 ihr Ziel, 400.000 neue Wohnungen zu errichten, deutlich verfehlt. Das ifo Institut geht davon aus, dass sich die Knappheit noch weiter verschärft.
Blick auf Neubau-Wohnungen im Berliner Bezirk Schöneberg.
Blick auf Neubau-Wohnungen im Berliner Bezirk Schöneberg.Foto: Monika Skolimowska/dpa
Von 21. Juni 2023

Pro Jahr wollte die Ampelkoalition den Neubau von 400.000 neuen Wohnungen gewährleisten, davon 100.000 Sozialwohnungen. So stand es im Koalitionsvertrag. Bereits im Vorjahr hat man dieses Ziel jedoch deutlich verfehlt. Für die kommenden Jahre sagt das ifo Institut sogar eine noch größere Wohnungsnot voraus. Immerhin sei auch die Zahl der erteilten Baugenehmigungen um gut 30 Prozent eingebrochen.

Diskrepanz in den Zahlen für das Vorjahr

Wie „Business Insider“ berichtet, hat die Zahl der neu errichteten Wohneinheiten bereits im Vorjahr rund 260.000 nicht überschritten. Die Bundesregierung und das Statistische Bundesamt sprechen hingegen von 295.000 neuen Wohnungen.

Die Diskrepanz könnte mit Unterschieden in den jeweiligen Methoden der Datenerhebung zusammenhängen. Das Statistische Bundesamt legt seinen Daten die entsprechenden Meldungen der Bauaufsichtsbehörden und der Baugenehmigungsbehörden zugrunde. Ifo beruft sich auf die Ergebnisse einer Umfrage unter den Mitgliedern des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW).

Das ifo geht in jedem Fall davon aus, dass die Zahl der neu errichteten Wohnungen weiter sinken wird. Für 2025 erwartet die Forschungseinrichtung sogar nur noch 200.000 neue Einheiten. Das Statistische Bundesamt macht darauf aufmerksam, dass im April nur noch 21.000 Wohnungen bewilligt wurden. Das sei fast ein Drittel weniger als im Vorjahr.

Politische „Wenden“ belasten die Planungssicherheit

Es sind dabei laut ifo mehrere Faktoren, die zu einer sinkenden Bereitschaft beitragen, in Wohnbau zu investieren. Die Baukosten sind gestiegen, ebenso die Zinsen, gleichzeitig gibt es mehr behördliche Auflagen und weniger ausgewiesene Baugebiete.

Debatten wie jene um das Heizungsgesetz oder Enteignungsfantasien wie gegenüber Vonovia in Berlin schaffen zusätzliche Unsicherheiten. Wo die Politik von radikalen Umgestaltungen spricht, sinkt die Planungssicherheit für künftige Bauherren. Die Kalkulierbarkeit möglicher Kosten für politisch künftig vorgeschriebene Umbaumaßnahmen wird geringer. Zudem stellen sie die langfristige Wertstabilität heute errichteter Immobilien infrage.

Ifo-Experte Ludwig Dorffmeister führt gegenüber „Business Insider“ auch den Rückgang staatlicher Förderprogramme ins Treffen. Die Summe der ungünstigen Faktoren lasse die meisten Bauträger von neuen Projekten zunehmend Abstand nehmen:

Die aktuellen Aufträge gehen auf Projekte zurück, die schon zu weit fortgeschritten sind, um sie abzubrechen.“

Branchenverband: 2025 werden etwa 700.000 Wohnungen fehlen

Bundeskanzler Olaf Scholz gibt sich weiterhin überzeugt, sein Ziel zu erreichen, „auch wenn die Zeiten gerade sehr stürmisch sind“. Demgegenüber geht der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie davon aus, dass in diesem Jahr maximal 250.000 Wohnungen fertig werden. Der Branchenverband ZIA rechnet für 2025 mit einem Fehlbestand von rund 700.000 Wohnungen.

Gleichzeitig steigt vor allem in Ballungsgebieten die Wohnungsnot. Ein Faktor, der dazu beiträgt, ist ein Anstieg der Nettozuwanderung auf 1,45 Millionen im Vorjahr. Diese war vorwiegend auf den Zuzug von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine zurückzuführen. Dem Statistischen Bundesamt zufolge ist die deutsche Wohnbevölkerung im Vorjahr um 1,3 Prozent auf etwa 84,4 Millionen Menschen gewachsen. Dies stellt einen neuen Höchstwert dar. Und hat zur Folge, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt noch größer wird und weiterhin die Mieten treibt.

Der Bundesverband Freier Immobilien und Wohnungsunternehmen (BFW) warnt unterdessen: „Heute nicht genehmigt, heißt in den kommenden Jahren nicht gebaut.“ Präsident Dirk Salewski wirft die Frage auf, wo die fehlenden bezahlbaren Wohnungen herkommen sollten. Er forderte mehrere Sofortmaßnahmen, um den Wohnungsbau anzukurbeln.

So seien staatliche Bürgschaften erforderlich, um normal verdienende Familien beim Kauf von Eigentum zu unterstützen. Zudem bedürfe es zieladäquater Förderprogramme und eines Aussetzens der Grunderwerbsteuer beim Ersterwerb von Immobilien.

Fast 900.000 noch nicht fertiggebaute Wohnungen sollen genehmigt sein

Aus den Reihen der Gewerkschaften kommt die Forderung nach einem milliardenschweren Sondervermögen für den Wohnungsbau. Bundesbauministerin Klara Geywitz hatte im Mai angekündigt, den Neubau von Einfamilienhäusern mit einem neuen Förderprogramm anzukurbeln.

Immerhin sei der Worst Case eines Einbruchs des Neubaus ausgeblieben, den die Bau- und Wohnungswirtschaft befürchtet hatte. Darauf wies auch Sebastian Dullien von der Hans-Böckler-Stiftung hin. Allerdings warnt auch er vor den Folgen der gestiegenen Zinsen.

Im vergangenen Jahr hätten wegen Fachkräftemangels und Lieferengpässen bei Baumaterialien viele Bauvorhaben gestockt. Allerdings habe die Zahl der genehmigten, aber noch nicht fertiggestellten Wohnungen zum Jahresende bei 884.800 gelegen. Das sei ein Plus von 38.400 gegenüber 2021 gewesen. Die Hälfte davon habe sich im Bau befunden.

Seit 2008 bestehe ein solcher Bauüberhang. Zudem hätten Corona und die Störung der Lieferketten den Zeitraum zwischen Genehmigung und Fertigstellung von Bauvorhaben verlängert. Im Jahr 2020 habe dieser noch 20 Monate umfasst, im Vorjahr waren es bereits 22.



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