Bundesweite Proteste: „Stoppt das Krankenhaussterben!“
Wegen ihrer prekären Finanz- und Personalsituation haben die Krankenhäuser in Deutschland den 20. September zum Protesttag erklärt. Flankiert von bundesweiten Demonstrationen fand am Vormittag vor dem Brandenburger Tor in Berlin eine zentrale Kundgebung der „Deutschen Krankenhaus-Gesellschaft“ (DKG) statt.
Unter dem Motto „Stoppt das Krankenhaussterben!“ fordern die Beschäftigten vor allem einen steuerfinanzierten, umfassenden Ausgleich der Inflationskosten und eine nachhaltige Krankenhausfinanzierung.
Nach Angaben des Portals „Health & Care Management“ wurden Protestveranstaltungen auch in Mainz, Hannover, Frankfurt am Main, Stuttgart, Düsseldorf und Saarbrücken angekündigt. Auch eine Unterschriftenaktion der DKG sei für jedermann auf den Weg gebracht worden.
Lauterbach sieht Hauptverantwortung bei den Ländern
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) scheint trotz aller Mahnungen und Proteste nicht noch mehr Geld für die Krankenhäuser ausgeben zu wollen. Die aktuell beklagte Situation liegt seiner Meinung nach vor allem an den Bundesländern, die nun „zum Teil mitdemonstrieren“ würden, sagte er am Tag des Protests im ZDF-„Morgenmagazin“. Dabei seien es eben die Länder, die „seit zehn Jahren die Investitionskosten nicht“ gezahlt hätten.
Eine Verantwortung der Bundesregierung wies er zurück: „Der Bund hilft immer“. Während der „Pandemie“ habe man 20 Milliarden Euro bereitgestellt. Außerdem habe der Bund bereits 6,5 Milliarden an Energiekosten übernommen, obwohl nur vier Milliarden zusätzlich in den Krankenhäusern angefallen seien. 2,5 Milliarden davon würden noch bis zum April überwiesen, um das „Durstjahr“ 2024 zu überbrücken, kündigte Lauterbach an. Denn ab 2025 beziehungsweise 2026 liege es in der Hand der Bundesländer, die Reform umzusetzen. Der Bund werde auch dafür sorgen, dass „Pflegekosten“ bezahlt würden. Das alles sei aber nicht lange durchzuhalten, „sonst müsste der Beitragssatz erhöht werden“.
Lauterbach: „Wir müssen Krankenhäuser abbauen“
Lauterbach betonte, dass die Krankenhausdichte in Deutschland mit 1.719 Häusern sehr hoch sei. Deutschland gebe „auch pro Kopf“ mehr Geld für Kliniken aus als „fast jedes andere europäische Land“. Momentan habe man das Problem, dass es infolge der Corona-Zeit „nicht genug Fälle und auch nicht genug Personal“ gebe, „um alle Kliniken zu betreiben“.
„Wir müssen Krankenhäuser abbauen, gerade in den großen Städten“, sagte Lauterbach. Allerdings treffe der aktuelle Abbau „zum Teil die Falschen“. Er bedaure es, dass auch Krankenhäuser auf dem Land geschlossen würden. Man habe es mit einem „unkontrollierten Prozess“ zu tun, räumte der Minister ein. Deshalb sei seine Krankenhausreform so wichtig: „Sie kommt spät, aber sie ist notwendig.“
Selbst wenn 50 Kliniken ausfielen, wäre Deutschland nach Einschätzung Lauterbachs immer noch besser versorgt als die meisten Länder in Europa. Er selbst glaube aber nicht an ein solches Szenario.
DKG: „Patientenversorgung noch nie so bedroht wie heute“
Der DKG-Vorstandschef Dr. Gerald Gaß hatte bereits im Vorfeld der Proteste gegenüber der „Rheinischen Post“ (RP) erklärt, dass „fast kein Krankenhaus mehr seine Ausgaben aus den laufenden Einnahmen bezahlen“ könne. Nach Aussage von Gaß war die Versorgung der Patienten in Deutschland „noch nie so bedroht wie heute“. 50 Klinikstandorte hätten seit Jahresanfang bereits Insolvenz angemeldet.
Nach einer von der DKG in Auftrag gegebenen, bisher nicht veröffentlichten Umfrage für den Krankenhaus-Index des Deutschen Krankenhausinstituts hätten 36 Prozent der „Allgemeinkrankenhäuser“ ihre aktuelle wirtschaftliche Situation als „schlecht“ bezeichnet, weitere 32 Prozent sogar als „sehr schlecht“, schreibt die RP (Bezahlschranke). Nur noch jede 25. Klinik (4 Prozent) sehe sich wirtschaftlich gut aufgestellt. Mit 48 Prozent befürchte fast die Hälfte der Häuser, dass ihnen bis zum Jahresende das Geld ausgehen könnte.
Gaß hatte Ende Juni bereits gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ klargestellt, dass Krankenhäuser „nicht wie die Bäcker die Brötchenpreise erhöhen“ könnten. In jeder Stunde laufe in den Krankenhäusern eine halbe Million Euro Verlust auf. Die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) komme „viel zu spät“, insbesondere „für Kliniken im ländlichen Raum“. Gaß weiter:
Wir befürchten, dass der Bundesgesundheitsminister ganz bewusst auf eine schnelle Marktbereinigung setzt, weil er die Krankenhauslandschaft für deutlich überdimensioniert hält. […] Wir haben allergrößte Sorge, dass die von Lauterbach geplanten bundesweiten Qualitätsvorgaben in Wahrheit nur dem Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft dienen sollen.“
Außerdem ließen die „Aussagen von Minister Lauterbach zum Thema Qualität in deutschen Krankenhäusern“ nach Meinung von Gaß „jeden Respekt vermissen vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vor den Ärztinnen, Ärzten, vor den Pflegekräften, die sich Tag für Tag unter schwierigen Rahmenbedingungen um das Patientenwohl kümmern.“
Ärzteverband befürchtet „kalte Strukturbereinigung der Kliniklandschaft“
Der „Verband leitender Krankenhausärztinnen und -ärzte“ (VLK), der die Proteste der DKG unterstützt, vertritt eine ähnliche Meinung. Nach RP-Angaben richtet VLK-Präsident Dr. Michael Weber seinen Ärger ebenfalls vor allem gegen den Bundesgesundheitsminister:
Statt wie ständig vorzugeben, die Versorgung und die Qualität in den Krankenhäusern verbessern zu wollen, gefährdet Minister Lauterbach eben diese, indem er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommt. Man darf ihm inzwischen wohl unterstellen, dass das gezielt auf eine kalte Strukturbereinigung der Kliniklandschaft hinaus laufen soll, ganz im Gegenteil zu all seinen Beteuerungen.“
Weber gab zu bedenken, dass bereits aktuell „zahlreiche Betten in den bestehenden Kliniken wegen Personalmangel gesperrt“ seien. Noch weniger Personal könne „nur zu Versorgungsengpässen führen“. Webers Forderung:
Die Entwicklung hin zu einer chronischen Unterfinanzierung mit Mangelversorgung und endlosen Wartezeiten wie in England, muss im Keim erstickt werden. Darauf haben die Patienten und Versicherten in Deutschland einen Rechtsanspruch.“
Chef- und Oberärzte sehen „starke Defizite bis hin zur Insolvenz“
Eine aktuelle Online-Mitgliederbefragung, an der sich 540 Chef- und Oberärzten des VLK (PDF) beteiligt hatten, hatte ergeben, dass 84 Prozent einer Aussage zustimmten, nach der „die Patientenversorgung an den Krankenhäusern durch den fehlenden Finanzausgleich für die gestiegenen Betriebskosten gefährdet“ sei.
Über 50 Prozent hätten über „starke Defizite bis hin zur Insolvenz“ geklagt. Etwa die Hälfte der befragten Mediziner habe zudem bereits erfolgte „Kürzungen bei den ärztlichen Stellen“ beziehungsweise entsprechende Planungen in ihren Häusern bestätigt. 57 Prozent seien der Meinung, dass eine gute Patientenversorgung aufgrund der ärztlichen „Personalsituation in ihrer Abteilung“ nicht gegeben sei. 40 Prozent gaben an, die Arbeitszeitgesetze wegen der Personalknappheit „selten bis überhaupt nicht einhalten“ zu können.
Hintergrund: Lauterbachs große Krankenhausreform
Lauterbach hatte seine Reformideen Mitte Juli in einem „Eckpunktepapier“ (PDF) vorgestellt. Zuvor hatten sich „der Bund, 14 der 16 Bundesländer und die Regierungsfraktionen am 10. Juli 2023 auf umfassende Krankenhausreform-Eckpunkte geeinigt“, wie das BMG mitteilte. Ein fertiges Gesetz liegt bislang nicht vor.
Der Kerngedanke von Lauterbachs Reform: Das aktuelle starre Fallpauschalensystem soll zum 1. Januar 2024 abgeschafft werden, um die Kliniken vom wirtschaftlichen Druck zu befreien, immer mehr Patienten behandeln zu müssen. Die Finanzierung der Kosten für Personal und Technik soll stattdessen künftig zu 60 Prozent auf Grundlage des jeweiligen Leistungsangebots gedeckt werden – „unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme ihrer Leistungen“. Über die „Vorhaltevergütung“ schreibt das BMG:
Durch die Einführung der Vorhaltefinanzierung erfolgt eine neue Verteilung des bestehenden Erlösvolumens, ohne dass sich grundsätzlich das Erlösvolumen durch die Einführung der Vorhaltevergütung insgesamt erhöht.“
Weitere Bestandteile der Reform drehen sich um 65 Leistungsgruppen für medizinische Fallarten und um Versorgungsstufen (Level), nach denen die Krankenhäuser je nach ihrem Leistungsangebot eingeteilt werden sollen. Es sollen einheitliche Qualitätsstandards gelten. Nicht mehr jedes Haus würde alle medizinischen Leistungen anbieten.
Gewerkschaften und Klinikverbände zeigten sich immer wieder wenig begeistert von dem Reformpaket. Die Mitarbeiter fürchten um ihre wohnortnahen Arbeitsplätze. Fast jeder zweite Patient befürchtet längere Wartezeiten für Operationen.
„Transparenzverzeichnis“ soll im April 2024 greifen
Um Leistungen, Personal und Behandlungsqualität der Krankenhäuser besser abschätzen zu können, sollen sich Patienten ab April 2024 nach den Vorstellungen von Lauterbach online über ein staatliches „Transparenzverzeichnis“ informieren können. Der Datenbestand soll dann auch die „Zuordnung der einzelnen Krankenhausstandorte zu Versorgungsstufen (Level)“ darstellen. Eine entsprechende interaktive Plattform sieht der Entwurf des neuen „Krankenhaustransparenzgesetzes“ vor, das ergänzend zur großen Reform eingeführt werden soll.
Nach Angaben von Gesundheitsminister Lauterbach im ZDF-„Morgenmagazin“ soll das Transparenzgesetz am Donnerstag, 21. September, die erste Lesung im Bundestag passieren.
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