„Cancel Culture“ gescheitert: Dozent Patrik Baab gewinnt gegen Universität Kiel

Es könnte ein Urteil mit Signalwirkung für Pressefreiheit und Rechtsstaat sein: Die Universität Kiel durfte ihrem Dozenten Patrik Baab nicht fristlos kündigen, nur weil dieser im Donbass recherchiert hatte. Das Urteil ist rechtskräftig.
Urteile des Gerichts werden in der Regel mit Spannung erwartet.
Die Universität Kiel musste im Rechtsstreit um die Kündigung des Journalisten Patrik Baab eine schwere Niederlage hinnehmen.Foto: Volker Hartmann/dpa
Von 22. Juli 2023

„Audiatur et altera pars“: Lasse sowohl die eine als auch die andere Seite zu Wort kommen! Dieser eherne journalistische Grundsatz wurde dem deutschen Publizisten Patrik Baab beinahe zum Verhängnis. Denn seine Recherchereise in den Donbass missfiel der Christian-Albrecht-Universität Kiel (CAU) so sehr, dass sie ihren erfahrenen Dozenten am 27. September 2022 kündigte und von seinen Lehraufträgen für das Wintersemester entband.

Baab wehrte sich gegen die „Cancel Culture“. Legte am 13. Oktober Widerspruch ein. Und zog schließlich vor Gericht.

Zehn Monate später steht nun rechtskräftig und endgültig fest: Die Universität Kiel hat Baab Unrecht angetan.

Malte Sievers, der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, war schon am 25. April 2023 zu diesem Urteil gelangt – ein Zwischenerfolg für Baab. Die Uni Kiel darf ihre Stellungnahme zur Vertragskündigung auch nicht mehr weiter verbreiten – ein weiterer Sieg für Baab. Zudem muss die Hochschule ihre Vertragspflichten aus dem Lehrauftrag einhalten – noch ein Sieg für Baab. Und schließlich lief mit dem 19. Juli 2023 die Berufungsfrist für die Uni Kiel ungenutzt aus. Diese Urteile sind nicht nur eine Rehabilitierung von Baab, über den in den letzten Monaten eine mediale Schlammschlacht ergangen ist. Es bestätigt auch das Grundverständnis journalistischer Arbeit, das die Kündigung infrage gestellt hatte.

Urteil mit Signalwirkung für den Rechtsstaat

„Andere Journalistinnen und Journalisten, andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die der herrschenden Meinung nicht immer folgen wollen, werden sich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein berufen“, sagte Baab kurz nach Fristablauf im Gespräch mit dem Onlinemagazin „NachDenkSeiten“ voraus. Das Urteil habe aus seiner Sicht nicht nur die Pressefreiheit, sondern „auch den Rechtsstaat insgesamt gestärkt“. Baab weiter:

Damit hat die Kammer in einem ungünstigen gesellschaftlichen Klima die Unabhängigkeit der Justiz unter Beweis gestellt […]. In einer Zeit, in der man den Eindruck gewinnen kann, die Lügen der Kriegstreiber genössen rechtlichen Schutz, wird dieses Urteil von übergreifender Bedeutung sein.“

Richter Sievers hatte der Universität Kiel nach Informationen der „NachDenkSeiten“ schon während der mündlichen Verhandlung zu verstehen gegeben, dass er ihren Argumenten für eine fristlose Kündigung nicht folgen und die „Hauruck-Aktion“ missbilligen würde.

Immerhin habe es zuvor „nie ein Fehlverhalten oder eine Kritik“ an der Arbeit Baabs vonseiten der Uni gegeben. Mit ihrem Kündigungsschreiben aber habe die CAU Baab zu Unrecht „journalistische Scheinobjektivität“ attestiert.

„Dass Sie einem Journalisten eine Recherchereise vorwerfen, klingt etwas merkwürdig“, äußerte Richter Sievers schon während der Verhandlung.

Gericht bekennt sich zu Wissenschafts- und Pressefreiheit

In der schriftlichen Urteilsbegründung legte Sievers noch einmal grundsätzlich nach: Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) garantiere aus gutem Grund die „Wissenschaftsfreiheit“.

Denn der Gedanke, dass „eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen freie Wissenschaft […] Staat und Gesellschaft im Ergebnis am besten“ diene, sei die Grundlage für das „Freiheitsrecht“. Die Wissenschaftsfreiheit sei ein Grund- und Abwehrrecht, das „vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei dem Auffinden von Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe“ schütze.

Diese Rechte Baabs habe die CAU verletzt, indem sie „mittelbar-faktisch in die Wissenschafts- und die Pressefreiheit des Klägers“ eingegriffen habe. Weiter aus der Urteilsbegründung:

Eine Beeinträchtigung der Pressefreiheit des Klägers liegt außerdem auch insofern vor, als er davon abgehalten werden könnte, erneut in Kriegsgebieten zu recherchieren, weil er befürchten müsste, anschließend durch einen Hoheitsträger für seine Art und sein Auftreten während der Recherche negative Konsequenzen zu befürchten.“

Die Uni Kiel habe vor dem Rausschmiss auf eine „mögliche weitergehende Klärung entscheidungserheblicher Tatsachen“ verzichtet und ihr Kündigungsschreiben „nur mit u.a. bebilderten Online-Artikeln und den vereinzelt zitierten Äußerungen des Klägers“ begründet, rügte Sievers. Dabei habe die Universität außer Acht gelassen, „dass diese Berichte aus dem Kontext gerissen, unvollständig oder einseitig recherchiert und dargestellt sein könnten und zumindest weiterer Prüfung bedürften.“

Zudem habe die CAU Baabs „Ruf geschädigt“, indem sie ihm öffentlich unterstellt habe, Baab „habe sich durch die Kriegspartei Russland als Wahlbeobachter einspannen lassen“.

Eine Recherchereise und ihre Folgen

Nach Angaben des deutschsprachigen russischen Nachrichtenportals „RTDE“ war Patrik Baab schon 2021 in den Westen der Ukraine gereist, um sich für ein neues Buchprojekt ein Bild über die Lage vor Ort zu machen. Im September 2022 führte ihn das gleiche Ansinnen ins Kriegsgebiet im ostukrainischen Donbass. Als Baab sich auf den Weg machte, habe er nicht wissen können, dass kurz nach seiner Ankunft Referenden für den Beitritt der Region zur Russischen Förderation stattfinden würden. Baab habe sich entschlossen, die Abstimmungen im Interesse seiner Leser selbst in Augenschein zu nehmen.

Als der „t-online“-Rechercheredakteur Lars Wienand davon erfuhr, veröffentlichte er am 27. September 2022 einen kritischen Artikel über deutsche Besucher im Donbass („Deutsche Helfer in der Ostukraine: Scheinreferendum, hurra!“), in dem neben Baab auch dessen Begleiter und Russland-Kenner Sergey Filbert, außerdem der frühere ARD-Korrespondent Christoph Hörstel, der freie Journalist Thomas Röper und der Energiemanager Stefan Schaller despektierlich an den Pranger gestellt wurden.

Obwohl Baab gegenüber „t-online“ klargestellt hatte, dass er keineswegs als „offizieller Wahlbeobachter“, sondern für eine eigene Buchrecherche unterwegs sei, ließ Wienand kaum ein gutes Haar an seinem Berufskollegen, der sich zum Zeitpunkt der Reise noch in der passiven Altersteilzeitphase bei seinem Arbeitgeber NDR befand.

Kieler Uni fürchtete um ihren guten Ruf

Die Lektüre des Wienand-Artikels war offenbar zu viel für die Kieler Universität, die um ihren Ruf fürchtete. Noch am selben Tag machte die CAU die fristlose Kündigung ihres Dozenten Baabs öffentlich:

Das Vorgehen des Beklagten (Baab) ist dazu geeignet, die eindeutige Haltung zum Krieg in der Ukraine in Frage [sic] zu stellen. Es droht ein Ansehensverlust der Universität, da der Eindruck entstehen könne, dass es Dozierende gebe, die das völkerrechtswidrige Verhalten Russlands befürworteten.“

Auch die Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin, bei der Baab als Lehrbeauftragter unter Vertrag stand, trennte sich von dem investigativen Donbass-Reisenden.

Baabs Reiseeindrücke werden im Herbst 2023 unter dem Titel „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ im Westend Verlag erscheinen.



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