CDU kommt nicht zur Ruhe: Kramp-Karrenbauer bleibt umstritten – Rufe nach Gründung neuer Partei
Zwei Tage nach dem Ende des CDU-Bundesparteitags in Hamburg sieht der Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Norbert Röttgen, keine Veranlassung, davon auszugehen, dass dessen Ergebnisse die zuletzt gebeutelte Partei weiter belasten könnten:
„Ich kann nur davor warnen, dass wir uns einreden lassen, es gäbe ein Problem der Einheit und Geschlossenheit der CDU als Ergebnis eines fairen demokratischen Wettbewerbs.“
In einer Stichwahl um die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Parteispitze hatte sich die frühere saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer gegen ihren Gegenkandidaten Friedrich Merz knapp durchsetzen können. Als Nachfolger auf ihrem bisherigen Posten als Generalsekretärin hat die neue Parteivorsitzende den Vorsitzenden der Jungen Union, Paul Ziemiak, vorgeschlagen. Ohne Gegenkandidaten konnte dieser lediglich 62,8 Prozent der abgegebenen Delegiertenstimmen auf sich vereinigen – gemessen an der absoluten Zahl der stimmberechtigten Delegierten waren es gar nur knapp über die Hälfte.
Wirkliches Lob für die CDU und ihre Entscheidung vom Freitag kam aus den Reihen der Konkurrenz. In der Sendung „Anne Will“ würdigte der SPD-Kanzlerkandidat von 2017, Martin Schulz, der kurzzeitig ohne Begründung die Sendung verließ, die neue Unionschefin, vor allem, als ihre Leistung als Ministerpräsidentin hinterfragt wird: „Ich finde es toll, wie eine ehemalige Ministerpräsidentin für ihr Land kämpft.“
Steingart hält Kramp-Karrenbauers Saarland-Bilanz für Hypothek
Der Publizist Gabor Steingart hingegen sieht die CDU tief gespalten und mit sich selbst keineswegs im Reinen: Die Partei wolle „Modernität und nicht das Erbe Merkel abwickeln“, was aus Steingarts Sicht gewisser Weise einen Widerspruch darstellt.
In der Diskussionssendung gerieten er und Kramp-Karrenbauer aneinander, als Steingart die ökonomische Bilanz des Saarlandes ansprach.
Wie Steingart auch in seinem aktuellen „Morning Briefing“ erwähnt, weisen die saarländischen Kommunen und das Land – Stand Juni dieses Jahres – mit 17 618 Euro die höchste Pro-Kopf-Verschuldung eines deutschen Bundeslandes auf. Damit liege der Verschuldungsgrad um ca. 30 Prozent über dem von NRW und um über 50 Prozent über dem aller ostdeutschen Bundesländer.
Gleichzeitig liege das BIP pro Kopf mit 35 460 Euro zurzeit um rund 50 Prozent unter dem des Stadtstaates Hamburg, deutlich unter dem Bundesdurchschnitt und um rund zehn Prozent hinter dem anderen ehemaligen Stahl- und Kohleland Nordrhein-Westfalen. „Wäre die Bundesrepublik ein vergrößertes Saarland, wäre sie ein Schuldenstaat außerhalb des Maastricht-Vertrages und seiner Stabilitätskriterien“, so Steingart.
Fairerweise müsste man anfügen, dass bereits in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren unter Ministerpräsident Oskar Lafontaine, damals SPD, die Situation nicht deutlich besser war. Allerdings hat eine CDU-geführte Regierung offenbar auch keine tiefgreifende Entspannung bewirkt.
Schröder: „Chance verpasst“
Kramp-Karrenbauer selbst meint, es werde mit ihr „kein pures Weiter so“ geben. Alexander Mitsch von der Werteunion sieht das anders. Bei n-tv sagte er: „Ungefähr 50 Prozent der Delegierten wollten, dass es in unserer Partei weitergeht wie bisher. Und es gibt 50 Prozent, die eine Veränderung wollen. Die Partei ist inhaltlich tief gespalten. Das Ergebnis dieser Wahl deutet darauf hin, dass die Partei sich wahrscheinlich auf einen Weg bewegen wird, der sich nur unwesentlich von dem der letzten Jahre unterscheidet.“ Unmittelbar nach der Wahl habe es bereits mehrere Parteiaustritte gegeben.
In ein ähnliches Horn bläst Altkanzler Gerhard Schröder, der gegenüber „Spiegel online“ erklärte: „Merz war eine Chance zu mehr Mut und Herausforderung. Und vor allem wäre Merz die Chance gewesen, dass sich die beiden Volksparteien wieder stärker voneinander abheben und so die Ränder links und rechts wieder schwächer werden. Das wäre nicht nur für CDU und SPD wichtig, sondern für ganz Deutschland.“
Mitsch bringt im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ gar das Szenario einer Partei-Neugründung, sollten Wertkonservative und Wirtschaftsliberale aus der Partei austreten. Es sei ein Szenario, „das man im Moment nicht ausschließen kann, aber nicht gewollt sein kann.“ Eine solche Neugründung fordert auch Claus Strunz in einem Kommentar für SAT1. Allerdings hatte es über die „Wahlalternative 2013“ bereits vor Jahren eine solche Neugründung aus dem gleichen Impuls heraus gegeben: Das Ergebnis davon sitzt in Form der AfD mittlerweile in allen überregionalen Parlamenten.
„Griff ins Klo“
Der Schatzmeister der CDU-Mittelstandsvereinigung, Hermann Hesse, nimmt vor allem an der Bestellung von Paul Ziemiak Anstoß und spricht – nicht unbedingt in der gewohnten Diktion seines berühmten deutsch-schweizerischen Namensvetters – vom „ersten Griff ins Klo“ vonseiten Kramp-Karrenbauers. Die „Bild am Sonntag“ zitiert ihn zuvor mit den Worten:
„Unglaublich, wie man jemanden zum General vorschlagen kann, der noch nie mit bodenständiger Arbeit Geld verdient hat, der keinen vernünftigen Abschluss vorweisen kann und das reale Leben nur aus der Politikbrille kennt. Und ihm das Amt schon vor der Wahl angeboten zu haben, hat mehr als ein Geschmäckle. Offensichtlich haben das viele Delegierte auch so gesehen. Bei einem Ergebnis 503 von 1001 Delegierten würde ich mir ernsthafte Gedanken über meinen Rückhalt in der Partei machen.“
Steingart sieht weiterhin einen Riss, der durch die Partei geht. Das Merz-Lager verfüge über knapp die Hälfte der Delegierten, und eine Vielzahl derjenigen, die im ersten Wahlgang für Spahn und anschließend für Kramp-Karrenbauer gestimmt hatten, fürchtete eine tiefgreifende Säuberung der Partei von Merkel-Getreuen und Neuwahlen mit ungewissem Ausgang.
Annegret Kramp-Karrenbauer sei eine Siegerin auf Bewährung. Der innerparteiliche Machtkampf werde sich in den Untergrund verlagern. Die neue Vorsitzende habe ihre Machtbasis nicht in den Landesverbänden, sondern im Bundeskanzleramt. Einen Strategiewechsel in der Migrationspolitik werde es mit Merkel aber nicht geben, vielmehr würde diese allfällige weitere Wahlniederlagen infolge dieser Entscheidung vom eigenen Konto auf ihre Nachfolgerin umbuchen:
Die Kanzlerin kümmert sich weltweit ums große Ganze. Heute ist sie in Marokko, um den UN-Migrationspakt zu unterzeichnen. Die nicht gänzlich auszuschließenden Wahlniederlagen des nächsten Jahres nimmt dann die neue Parteivorsitzende entgegen. So funktioniert Outsourcing.“
Noch bildeten die Bürgerlich-Konservativen eine Volkspartei, nach mehr als 200 000 verlorenen Mitgliedern und 1,6 Millionen verlorenen Wählern in der Merkel-Ära befänden sich aber „womöglich wie in Frankreich, Italien und den Niederlanden […] in Auflösung“.
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