CDU-Politiker Lammert: Bundesverfassungsgericht ist zum politischen Akteur geworden

Das Verfassungsgericht sei zu einem zentralen Gestalter bei großen Herausforderungen geworden, erklärt Norbert Lammert. Die Entscheidungen des Gerichts seien durchaus politisch gedacht – und das Gericht zu einem politischen Akteur geworden.
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Norbert Lammert war bis 2017 Präsident des Bundestages.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 17. Mai 2021

Das Bundesverfassungsgericht wäre nicht nur die letzte juristische Instanz in Deutschland, sondern mittlerweile auch zum politischer Akteur geworden, erklärt Norbert Lammert, früherer Präsident des Deutschen Bundestages.

Es sei bestenfalls ein „gut gemeintes Missverständnis“ wenn man meine, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes ausschließlich juristisch begründet und nicht auch politisch gedacht seien, schreibt der CDU-Politiker in der „Welt“.

Bundesverfassungsgericht soll keine Gesetze machen

Das Bundesverfassungsgericht wurde geschaffen, um die Balance der Macht der deutschen Verfassungsorgane zu halten. Politischer Streit sei gelegentlich unvermeidlich und durchaus produktiv zu sehen.

Doch „so, wie der Gesetzgeber zuweilen der Versuchung erliegt, bei der Wahrnehmung des politischen Gestaltungsauftrags die Grenzen der Verfassung im Regelungseifer zu strapazieren, entwickelt auch das Verfassungsgericht gelegentlich den Ehrgeiz, das Grundgesetz durch schöpferische Auslegung weiterzuentwickeln“, schreibt Lammert.

Allerdings sei es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichtes, „eine vertretbare Entscheidung des Gesetzgebers durch eine eigene vertretbare Entscheidung zu ersetzen“, wie Bundesverfassungsrichter Peter Müller schon einmal im Jahr 2014 anmahnte.

Jedoch könne man in aktuellen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes diese politische Einflussnahme beobachten.

Klimaschutzgesetz: Verfassungsgericht als zentraler Gestalter bei großen Herausforderungen

Die zentrale Argumentation des Gerichts zum Klimaschutzgesetz wäre durchaus fragwürdig, so Lammert. Kritik gäbe es kaum. Lammert fiel auf, dass nur selten – falls jemals überhaupt – die Politik eine so massive Intervention aus Karlsruhe so freundlich aufnahm. Sofort wurde eine Umsetzung „ehrgeiziger Ziele und Maßnahmen zugesagt, die bislang als nicht nötig oder nicht durchsetzbar galten“.

Das Gericht hatte argumentiert, dass eine „eingriffsähnliche Vorwirkung“ der heutigen Politik auf künftige Freiheiten, die zu unverhältnismäßigen Belastungen ebendieser Grundrechte führten, bestehen würde, weil das Gesetz nicht die Reduzierung von CO2 über das Jahr 2030 hinaus regeln würde.

Lammert kommentiert: „Damit interpretiert das Gericht das Freiheitsversprechen des Grundgesetzes mit weitreichenden Folgen auch für andere Themen und Herausforderungen, die sich noch nicht absehen lassen: Es verpflichte den Gesetzgeber ‚zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen‘.“ Und weiter:

Mit dem Klimaschutzbeschluss hat das Bundesverfassungsgericht den eigenen Anspruch gegenüber der Politik als zentraler Gestalter bei der Bewältigung großer Herausforderungen reklamiert – mit breiter öffentlicher Zustimmung.“

Bundesnotbremse: Abwägung der Freiheitsrechte

An der Bundesnotbremse nahm Karlsruhe hingegen vorerst keinen Anstoß. Hier habe das Gericht bei der Abwägung von Freiheitsrechten die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers betont. Wann darüber im Hauptsacheverfahren entschieden werde, sei offen.

Als Einschätzungsprärogative wird das Vorrecht des Gesetzgebers bezeichnet, über Eignung und Erforderlichkeit einer bestimmten gesetzlichen Regelung letztverbindlich zu entscheiden. Entscheidungen des Gesetzgebers sind insoweit nur teilweise durch das Bundesverfassungsgericht überprüfbar. Es ist hauptsächlich Sache des Gesetzgebers, zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.

Norbert Lammert war von 2005 bis 2017 Präsident des Bundestages und ist Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU).



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