CDU-Politiker: „Wir haben eine stark steigende Kriminalität“

Rechtsextremismus, Linksextremismus, Clan-Kriminalität, Rotlichtmilieu – während Berlins Polizisten „auf dem Zahnfleisch gehen" wächst die Verwaltung. Für Polizeigewerkschaftler Stephan Kelm ist Bürgernähe das A und O, die „Cops sollten wieder mehr auf die Straße".
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Bewaffnete und maskierte Polizisten eskortieren einen Mann vor einem Gebäude im Berliner Stadtteil Neukölln bei Razzien gegen organisierte Clan-Kriminalität.Foto: ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images
Von 9. Juli 2022

„Wir haben eine stark steigende Kriminalität und eine sehr, sehr geringe Aufklärungsquote“, erklärte CDU Politiker Kai Wegener mit Berliner Bürgern bei einem Stadtteilgespräch zum Thema Innere Sicherheit.

Trotz hoher Motivation bei den Berliner Polizisten erleben sie durch die Politik „mehr Misstrauen statt Vertrauen in die Polizeibehörde“, sagte er. Die Menschen der Stadt wünschten sich bessere Verhältnisse. Notwendig dafür seien Strukturen und technische Ausstattung, welche der Berliner Polizei erlauben, erfolgreich gegen die organisierte Kriminalität in der Stadt vorgehen zu können.

In Berlin sieht er eine besondere Gefährdungslage: „Wir haben auf der einen Seite den Rechtsextremismus, der zweifelsohne eine große Gefahr ist, auch in Berlin. Wir haben den Linksextremismus, den man auch benennen muss und der im Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün nicht ein einziges Mal als Wort auftaucht. Das halte ich wirklich für fatal. Gerade in einer Stadt wie Berlin, wo wir besetzte Häuser haben, wo Polizisten angegriffen werden, wo es Brandanschläge auf ehemalige LKA-Mitarbeiter gibt, muss man auch den Linksextremismus benennen.“

Wegner ist Landesvorsitzender der Berliner CDU, Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus und dort zugleich Oppositionsführer. Ihm fiel auf: „Viele Bürger wünschen sich den Schutzmann an der Ecke zurück.“

Polizei benötigt Unterstützung und Vertrauen

Natürlich hätte man auch Clan-Kriminalität, religiös motivierte Kriminalität und eine besondere Bedrohungslage, was den Terrorismus angeht. „Hier muss die Polizei auch technisch stark ausgestattet sein.“ Dazu zählt Wegner die Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten und die Überwachung der Telekommunikation. Beides böte Möglichkeiten, schneller zu sein als die organisierte Kriminalität.

Ein anderes Mittel, um die Polizei in ihrer Arbeit zu unterstützen seien Kameras. Wegner hält „sehr viel“ von Bodycams. Die Polizeikräfte würden sich das als Einsatzmittel wünschen. In anderen Bundesländern, vor allem bei der Bundespolizei, sieht man, wie erfolgreich dieses Einsatzmittel ist. „Wir wissen, dass sie gut sind und deswegen sollte man der Berliner Polizei dieses Instrument geben.“

Gleichzeitig gäbe es Teile in dieser Koalition, insbesondere bei der Linkspartei und auch bei weiten Teilen der Grünen, die der Polizei skeptisch bis kritisch gegenüberstehen, so Wegner.

Strafzettel für die Polizei

Stephan Kelm, stellvertretender Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Berlin, war ebenfalls an dem Stadtteilgespräch beteiligt. Ihn stört besonders, dass den Berliner Polizisten das Parken im Stadtgebiet in der Nähe ihrer Dienststellen erschwert wird.

Der Senat habe jetzt zwar überall eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt, wodurch auch die Polizisten leichter freie Parkplätze fände.  Aber die Polizisten habe man nicht herausgenommen. Sie müssten oftmals außerhalb des Dienstgeländes mit ihren Privatautos parken und erhielten dann Strafzettel. „Ich glaube, da müssen wir jetzt schnellstmöglich eine Lösung finden.“

In rechtlicher Hinsicht sieht Kelm Verbesserungsbedarf. Viel Energie fließt in die Bekämpfung der Clan-Kriminalität. Am Beispiel der Bushido Villa in Potsdam, die einen immensen Wert hat und kürzlich von einem  21-Jährigen aus dem gleichen Milieu ersteigert wurde, käme er jedoch ins Grübeln: „Welcher Sinn steckt dahinter, einem etwas wegzunehmen, wenn scheinbar der Sohnemann oder irgendeiner aus dem Umfeld eines Clans dieses Objekt dann für 7 Millionen deutlich unter Wert einfach mal ersteigert?“

Mit der Vermögensabschöpfung würden auf Bundesebene bereits Schritte in die richtige Richtung gemacht. Trotzdem sei Deutschland noch immer ein „Eldorado“ für organisierte Kriminalität. „Geldwäsche findet hier im hohen Maße statt. Hier gibt es kaum Überprüfungen“, erklärt der Polizeigewerkschafter. Andere Länder wie Italien wären weiter, dort gelte die Beweislastumkehr. Dort werde einfach gefragt, wo die Vermögenswerte herkommen.

Auch im technischen Bereich sieht er Nachholbedarf. „Wir brauchen selbst die Möglichkeiten, um als Polizei des Bundes oder der Länder an solche Sachen rangehen zu können und diese zu knacken. So können wir professionell auf Augenhöhe die Kriminalität bekämpfen“, fordert er. Beispielsweise wurden im Drogenhandel Enchro-Chats benutzt, also Chats, in denen Kriminelle Verschlüsselungen nutzen. Die Daten wurden in Frankreich entschlüsselt und dann an Deutschland übergeben.

Die Daten für die Bekämpfung von Kinderpornografie in Deutschland kämen fast ausschließlich aus den USA. Dort wurde eine Meldepflicht für solche Inhalte eingeführt, so Kelm. „Es ist schon fraglich, warum andere Länder für uns in diesen Bereichen tätig sind. Warum liegen unsere Ermittlungsansätze, nicht hier in Deutschland? Da hinken wir deutlich hinterher.“

„Cops sollten wieder mehr auf die Straße“

Für Stephan Kelm ist Bürgernähe und eine Bürgerpolizei das A und O. „Die Cops sollten wieder mehr auf die Straße gebracht werden. Ein Polizeibeamter zum Anfassen, als ganz konkreter Ansprechpartner.“

Den Kontaktbeamten hätte es schon vor Jahrzehnten in Westberlin gegeben. „In jedem Polizeiabschnitt gab es ihn, bevor man ihn aufgrund von Sparmaßnahmen auflöste“, erinnert der Gewerkschafter. „Sie sind diejenigen, die wirklich den Kontakt zu der Bevölkerung, der Wohnbevölkerung, zu den Geschäften etc. ganz einfach haben und denen Kleinigkeiten auffallen.“

Die Zahl der Beschäftigten der Berliner Polizeibehörde ist in den letzten Jahren von 25.000 auf 26.900 gestiegen. Kurioserweise sei dies nicht bei den Abschnitten und Hundertschaften angekommen. Während „die Einsatzkräfte auf der Straße auf dem Zahnfleisch laufen“ solle man sich mal ansehen, ob es Dopplungen in den Verwaltungen gebe. Manche Sachen würden doppelt und dreifach bearbeitet.

„Es wurde viel in Stäbe investiert, es wurden viele personelle Ausgleichsmaßnahmen auf Führungsebene durchgeführt.“ Dazu kämen personalintensive gesetzliche Voraussetzungen, wie das Berliner Polizeigesetz oder das Antidiskriminierungsgesetz und die Personalstellen für den neu geschaffenen Bürger- und Polizeibauftragten, die allesamt Personal gebunden hätten. Eine Verschlankung sei sinnvoll.

Ausbildungsprobleme bei der Polizei

Für Prof. Marcel Kuhlmey, der an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Bereich Polizei und Sicherheitsmanagement lehrt, hat die Berliner Polizei eine gute Basis geschaffen, um die großen Dinge in der Stadt zu bewältigen. Auf der Veranstaltung sprach er einige Ausbildungsprobleme an.

An der Hochschule gebe es ein Nachwuchsproblem. „Wir waren als Fachhochschulen für den Fachbereich Polizei für 600 Studierende ausgelegt, die drei Jahre bei uns studieren, was man ganz gut händeln konnte. Jetzt sind wir bei 3.000 Studierenden in diesem Fachbereich.“ Strukturell sei das nicht mehr gut zu händeln, wegen der hohen Studentenzahl wird auf viele Lehrbeauftragte und viele Externe zurückgegriffen. Er sieht Rückschritte in der Ausbildung, die Qualität der Lehre sei schlechter geworden.

Dem Hochschullehrer fehlt zudem ein praktischer Bezug bei der Ausbildung. Wegen der hohen Zahl an Studenten fielen praktische Ausbildungsteile weg, diese Dinge würden später erst im Dienst auf der Straße erlernt.

Auch die zweigeteilte Laufbahn hält er für ungünstig: In einem Funkwagen sitzt ein Polizeibeamte aus dem mittleren Dienst neben einem aus dem gehobenen Dienst, beide tun das Gleiche. Aber beide hätten unterschiedliche Ausbildungsgänge mit unterschiedlichen Inhalten absolviert. Der eine war an der Polizeischule, der andere an der Hochschule. Er schlägt vor: „Nach 30 Jahren muss man da einfach mal ran an die Strukturen.“

„Wegen des Datenschutzes werden wir ausgelacht“

Was den Datenschutz betrifft, würde man mittlerweile schon ausgelacht. „Im Moment sind viele Regelungen und Gesetze nicht praxisorientiert, dafür aber täterorientiert gestaltet. Sie bieten den Tätern eher noch Schutz.“ Das verunsichert die Einsatzkräfte, sie erwarten praktisch gestaltete Rechtsgrundlagen.

Ein anderes aktuelles Thema ist für Berlin die Bearbeitung von Corona-Betrugsfällen (Testcenter-Abrechnung). Durch die laufende Aufarbeitung bleiben viele andere Strafermittlungen liegen, die dann nicht in die Kriminalstatistik (PKS) eingehen, wie ein Bürger anmerkte. Viele Fälle würden weiterhin nicht gemeldet oder nicht registriert. In der Kriminalstatistik würden generell nur die Fälle auftauchen, in denen die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hätte. Die Fälle, die wegen Überlastung oder fehlender Sachbearbeiter als unerledigt gelten, würden nicht aufgeführt, sondern intern als „Liegevermerke“ geführt.

Im Stadtteilgespräch wurde auch gefordert, dass die Polizei stärker gegen das Rotlichtmilieu vorgeht. Es diene über die Schutzgelderpressung der organisierten Kriminalität als Einnahmequelle oder würde direkt von ihr betrieben.



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