Corona-Test nach Drosten-Standards umstritten – US-Experten: 90 Prozent der positiv Getesteten ungefährlich

„Wir sind abgehärtet, die Corona-Tests sollten es auch sein“? Eine Debatte in den USA über den Nutzen gängiger PCR-Tests zur richtigen Einschätzung des Corona-Risikos hat Deutschland erreicht. Plädiert wird für schnellere Tests, die auch weniger sensibel sein dürfen.
Von 19. September 2020

Unter den ersten Zeitungen, die den Harvard-Epidemiologen Dr. Michael Mina Ende August zu Wort kommen ließen, war die „New York Times“ (NYT). Die USA hatten mit ihrer offensiven Test-Strategie hinter Dänemark Platz 2 auf der weltweiten Liste jener Länder erklommen, in denen die meisten Corona-Tests pro Kopf durchgeführt wurden.

Zur Anwendung kamen dabei PCR-Tests, wie sie auch in Deutschland den Standard markieren. Mina deutete nun jedoch an, dass diese Tests möglicherweise zu sensibel und gleichzeitig zu wenig aussagekräftig bezüglich des tatsächlichen Verbreitungsrisikos wären.

Drosten-Test zu Beginn der Pandemie sinnvoll, mittlerweile Nutzen umstritten

Möglicherweise hat die Verwendung des PCR-Testverfahrens, das weltweit das am weitesten verbreitete Diagnoseverfahren ist, vor allem zur Folge, dass die Zahl der diagnostizierten Neuinfektionen sehr hoch ausfällt und entsprechend Unruhe schürt.

In ärmeren Ländern verhindert es demgegenüber, dass mehr getestet wird, weil die Verfahren teuer sind und mehrere Stunden vergehen, bis es Ergebnisse gibt. Gleichzeitig liefern die Tests lediglich ein Ja/Nein-Ergebnis zur Frage, ob eine Person das SARS-CoV-2-Virus in sich trägt, nicht aber, in welchem Umfang.

Viele positiv auf das Virus getestete Person trügen lediglich ein unbedeutendes Quantum davon in sich, erläutert Mina. Von den meisten davon gehe keinerlei Ansteckungsgefahr aus.

In der Anfangsphase der Corona-Pandemie sei es durchaus sinnvoll gewesen, möglichst viele und möglichst sensible Tests durchzuführen, um festzustellen, wer das Virus in sich trägt und wie es sich verbreitet. Mittlerweile sei aber, da das Coronavirus besser eingeschätzt werden könne, Qualität auch bei den Testresultaten der reinen Quantität vorzuziehen. Es gehe darum, zu identifizieren, von welchen Infizierten eine tatsächliche Gefahr ausgehe.

Bloßer Ja-Nein-Test auf Corona nicht mehr zeitgemäß

Mina wies zwar Überlegungen aus dem Nationalen Seuchenkontrollzentrum zurück, nur noch Personen mit Symptomen zu testen – wie dies im Frühjahr während der Lockdown-Phase in Deutschland vielerorts praktiziert wurde. Allerdings sollte man beim Testen unterschiedliche Mechanismen anwenden.

Zu diesen könnten, wie neuere Daten nahelegen, auch mehr Schnelltests gehören, die zwar als weniger empfindlich gelten, aber jedenfalls dann anschlügen, wenn eine signifikante Anzahl an Viren im Körper eines Menschen vorhanden sei. Die Regierung unter US-Präsident Donald Trump hatte erst im August bekanntgegeben, 150 Millionen Schnelltests zu erwerben.

Eine Ja-Nein-Lösung sei nicht ausreichend, um eine Grundlage für verantwortungsvolle klinische Diagnosen, Entscheidungen für die öffentliche Gesundheit oder politische Weichenstellungen vorzunehmen, betont Mina: „Ich denke, es wäre wirklich unverantwortlich, zu übergehen, dass das eine quantitative Sache ist.“

Bis zu 90 Prozent der positiv Getesteten nicht ansteckend

Der entscheidende Faktor bezüglich der PCR-Tests ist der sogenannte CT-Wert oder die „Zyklusschwelle“. Der Test durchkämmt das genetische Material, das untersucht werden soll, in Zyklen, in denen die Virus-DNA vermehrt wird. Je weniger Zyklen man benötigt, um das Virus aufzuspüren, umso mehr davon ist vorhanden. Je größer aber die Virenlast ist, umso höher ist auch die Ansteckungsgefahr, die vom Infizierten ausgeht.

Wie die „NYT“ berichtet, hätten bei Tests in Massachusetts, New York und Nevada bis zu 90 Prozent der Tests, die Gesundheitsämter zusammengetragen hätten, zwar auf der Basis der CT-Werte positive Ergebnisse zutage gefördert, tatsächlich hätten die Getesteten jedoch nur eine geringe Virenlast aufgewiesen, von der keine Ansteckungsgefahr ausgegangen wäre.

CT-Wert bei PCR-Test muss angemessen bestimmt werden

So habe ein Labor in New York auf der Basis eines CT-Werts von 40 insgesamt 872 Tests als positiv ausgewiesen. Bei einer Schwelle von 35 wären dies lediglich bei der Hälfte der Fälle der Fall gewesen, bei einem Grenzwert von 30 wären 70 Prozent weniger als positiv ausgewiesen worden.

Das Problem: Ist der CT-Wert zu hoch angesetzt, können auch nicht-infektiöse Personen in Quarantäne geschickt werden, weil sie als positiv getestet zu Buche schlagen. Mina schlägt – wie auch das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) – einen CT-Wert von 30 bis 35 als jenen vor, von dem an ein Testergebnis als positiv ausgewiesen werden solle.

Wie der „Focus“ berichtet, kommt jenes Testsystem, das auf einem CT-Wert von 40 beruht, auch in Deutschland zur Anwendung. Dies hat unter dem Eindruck der Erkenntnisse aus den USA nun auch in unseren Breiten zu Kritik und der Forderung nach einer veränderten Herangehensweise geführt.

Der Verband Akkreditierter Labore in der Medizin (ALM) geht davon aus, dass die mittlerweile gegebene Möglichkeit zu anlassloser Testung, wie sie gerade im Zusammenhang mit Reiserückkehrern zur Anwendung gekommen war, die Kapazitäten sprengt und fordert wieder ausschließlich gezielte Coronatests.

Laborleiter Harald Renz plädiert in einem „FAZ“-Interview für die Verwendung von Fragebögen zur individuellen Risikosituation im Vorfeld der Entscheidung über einen Test. Zudem sollten auch Zeitfenster beachtet werden: „Ein einmaliger Test genügt oft nicht, wenn er nicht das Zeitfenster für den Virennachweis erwischt. Diese Gefahr ist bei den Tests von Reiserückkehrern groß. Wer sich am letzten Urlaubstag bei einer Party ansteckt, ist beim Flughafen-Test negativ, ein paar Tage später wäre er positiv.“

Keine Lösung von der Stange

Auch Charité-Virologe Christian Drosten, der die gängige und nun in die Kritik geratene PCR-Testmethode selbst mitentwickelt hat, ist sich des Umstandes bewusst, dass die Aussagekraft eines Tests nicht von den Umständen der Ansteckung zu trennen sei.

Wichtig, so Renz, wäre auch, dass eine zeitnahe Auswertung der Proben gewährleistet werden könne, um einem Abbau genetischen Materials vorzubeugen. Eine One-Size-Fits-All-Lösung für das Vorgehen beim Testen sei ohnehin illusorisch, meint Renz weiter. Es wäre vonnöten, eine Positivliste für die Routineanwendung vom RKI oder Gesundheitsministerium bezüglich der anwendbaren Testverfahren zu erstellen, Labore sollten dann das für die passende auswählen.

In Thüringen soll künftig ein Konzept für strategische Testungen erprobt werden, das Petra Dickman, Expertin für Public Health und Risikokommunikation von der Universität Jena, entwickelt hat. Demnach sollen an stark frequentierten Orten mit hohem Ansteckungsrisiko, etwa an Schulen, bei Gottesdiensten, Vereinstreffen oder in Pflegeheimen, wöchentlich 1.200 Stichproben pro 100.000 Einwohner genommen werden.

Bayern will an Tests für alle festhalten

Im Rahmen sogenannter Pooltests sollen die Proben im Zehnerpack ausgewertet werden. Finden sich Viren, sollen die einzelnen Teilnehmer nachgetestet und Vorsorgemaßnahmen getroffen werden – etwa Heimunterricht für eine bestimmte Schulklasse.

Bayern hingegen will an seiner Praxis festhalten, wonach jeder, der sich testen lassen möchte, dies auch ohne Symptome oder erkennbare Risikofaktoren tun kann. Der Freistaat ist das einzige Bundesland, in dem dies möglich ist. Allerdings musste jüngst selbst Gesundheitsministerin Melanie Huml einräumen, dass man hinsichtlich der eigenen Testziele hinterherhinkt und auch der Nachschub an Testsets stockt.



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