Das Ende der Girocard naht – folgt die elektronische Identität?

Die EC-Karte könnte bald von Produkten US-amerikanischer Finanzkonzerne verdrängt werden. Experten sehen im Angriff auf das Zahlungsmittel der Deutschen jedoch auch eine geopolitische Frage – und befürchten einen weiteren Schritt auf dem Weg zur digitalen Identität.
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Geldautomat. Symbolbild.Foto: iStock
Von 22. Januar 2022
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Während Deutschland unter der Coronakrise ächzte, taten sich für ein anderes Zahlungsmittel der Bundesbürger ungeahnte Möglichkeiten auf. Kontaktloses Zahlen setzte sich auf breiter Front durch – selbst beim Brötchenkauf in der Bäckerei. Die Girocard, früher EC-Karte genannt, macht es möglich. 

Gleichwohl ist die Girocard ein Auslaufmodell. Denn die Traditionskarte hat erhebliche Nachteile. Für den Online-Handel ist sie ebenso wenig geeignet wie für Zahlungen zwischen Einzelpersonen oder mit dem Smartphone.

Hierzulande funktioniert sie nur über die von den Bankenverbänden autorisierten Netzbetreiber. Damit sie auch im Ausland verwendet werden kann, benötigt sie eine Mastercard- oder Visa-Schnittstelle – erkennbar an den Labels „Maestro“ oder „V-Pay“. Kurz: Die ursprünglich für die physische Welt geschaffene Maestro-Card gilt als nicht mehr zeitgemäß.

Wie der US-Kreditkartenanbieter Mastercard im vergangenen Oktober mitteilte, wird Maestro im Juli kommenden Jahres nach mehr als 30 Jahren Geschichte sein und auslaufen. Es sei an der Zeit, die Nutzung von Zahlungskarten an den digitalen Lifestyle von heute anzupassen, hieß es in einem Mastercard-Blog.

Experten zufolge dürfte Visa nachziehen und auch V-Pay einstellen. 

Extreme Marktmacht der US-Unternehmen im Zahlungsverkehr 

Damit zementieren die beiden großen US-Kartenbetreiber in Ermangelung eines alternativen europäischen Systems ihre Marktmacht – an Visa und Mastercard, Apple Pay oder Paypal kommen die Banken kaum noch vorbei. Folge: Der elektronische Zahlungsverkehr in Europa gerät perspektivisch in die Hand von US-Konzernen, die diesen milliardenschweren Markt unter sich aufteilen wollen. 

Jürgen Moormann, Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School of Finance & Management, sieht neben dem ökonomischen Aspekt auch eine geopolitische Frage: „Mit PayPal haben wir es im E-Commerce ja ebenfalls mit einem US-Giganten zu tun. Und selbst das Rückvergütungssystem Payback gehört zu American Express, ist also in amerikanischer Hand“, sagte er dem Magazin „Cicero“.

Es werde höchste Zeit, ein neues europaweites Zahlungssystem zu schaffen, da die Marktmacht der US-Unternehmen im Zahlungsverkehr „bereits enorm“ sei. Die „European Payments Initiative“ (EPI) ist für den Experten „auf absehbare Zeit vermutlich der letzte Versuch, ein europäisches System für den Zahlungsverkehr zu etablieren. Wenn er scheitert, haben wir den Anschluss endgültig verloren.“

Andere Experten befürchten angesichts der nahenden Dominanz von Mastercard & Co. im europäischen Zahlungsverkehr einen großen Schritt auf dem Weg zur digitalen Identität.

Frankreich etwa ging mit Mastercard bereits vor zwei Jahren eine vierjährige Partnerschaft für die digitale Wirtschaft ein. Das Ziel: die Erarbeitung eines digitalen ID-Systems, das den Zugang zu Gesundheits-, Finanz- und Sozialdienstleistungen bestimmt. 

Die EU muss dringend ihr eigens Zahlungssystem entwickeln

In Indien ist die eID bereits für mehr als eine Milliarde Menschen Realität – inklusive vieler Probleme. Das dortige Portal Aadhaar ist heute das größte biometrische Identifikationssystem der Welt und dient als Zugang zu Regierungsdiensten. Das Aadhaar-Konto einer Person ist mit den unterschiedlichsten Daten und Systemen verknüpft: mit einer PAN (Permanent Account Number), dem PDS (Public Distribution System), dem Direct Benefit Transfer (DBT) und ihren Bankkonten. Selbst die Beschaffung eines neuen Passes oder der Kauf und die Übertragung von Eigentum ist ohne Aadhaar nicht möglich.

Mastercard ist an Aadhaar beteiligt. Zudem ging der Kreditkarten-Gigant 2018 eine Partnerschaft mit der globalen Impf-Allianz Gavi ein.

Zugleich suchte Mastercard den Schulterschluss mit Trust Stamp heran, einer auf künstlicher Intelligenz basierenden Firma für Identitätsauthentifizierung. Ziel des gemeinsamen Vorhabens war der Aufbau einer Plattform für biometrische Identitäten in abgelegenen Gemeinden mit niedrigem Einkommen in Westafrika. Basis ist der sogenannte Wellness Pass, ein digitaler Impfpass, der mit einem Identitätsprüfungssystem verbunden ist, das von NuData, der Technologie für künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, gespeist wird, die ebenfalls zum Mastercard-Imperium zählt. 

Nicht zuletzt wird die Trust Stamp-Technologie im Mastercard-Projekt von Strafverfolgungsbehörden genutzt. Gefängnisse füttern damit ihre Überwachungssysteme und nutzen die Technologie zum Durchforsten und Zusammenführen von Daten, um Tatverdächtige zu ermitteln. 

Die Vorherrschaft über die Girokarte und deren europäische Pendants ist somit nicht nur eine Machtfrage, wer den Zahlungsverkehr der Zukunft kontrolliert.

Umso wichtiger, dass die EU ein eigenes System entwickelt. Derzeit arbeitet ein Konsortium von mehr als 30 europäischen Banken und Zahlungsdienstleistern mit Unterstützung der EU und der EZB daran.



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