Der ehemalige Chef der Spionageabwehr über einen schwerwiegenden Verratsfall in deutschen Geheimdiensten

Dr. Hans-Georg Maaßen spricht über persönliche Erwartungen an 2023, darüber, dass die Politik von Angela Merkel auch in diesem Jahr noch weitreichende negative Folgen haben wird und über einen aufgedeckten Spionagefall beim BND von höchster Brisanz.
Maaßen
Hans-Georg Maaßen: „Einen kühlen Kopf behalten, meinen Kurs nicht verlassen, sich nicht durch die Umstände oder durch andere mitreißen, emotionalisieren und radikalisieren zu lassen...“Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Von 9. Januar 2023

Dieser Artikel erschien zuerst auf AlexanderWallasch.de.

Alexander Wallasch: Sind Sie zuversichtlich oder eher pessimistisch, wenn Sie an das neue Jahr 2023 denken?

Hans-Georg Maaßen: Ich versuche, realistisch zu sein. Die Politik der Merkel-Regierungen und der Ampel-Regierung hat Deutschland in eine einzigartig schwierige und gefährliche Situation geführt. In allen Politikfeldern sind aus Problemen, die über Jahre nicht gelöst wurden oder die bewusst noch vergrößert wurden, Krisen entstanden, die jetzt in Summe zusammentreffen.

Denken Sie an die Migrationspolitik, die Bildungs- und Familienpolitik oder unsere marode Infrastruktur, um nur wenige Beispiele zu nennen. Teilweise hat Merkel uns mit ihrer Energie-, Russland- und Chinapolitik Zeitbomben hinterlassen, die jetzt erst explodieren. Eine vergleichbare Situation kannten wir in Deutschland noch nicht.

Die derzeitige ökosozialistische Bundesregierung will diese Krisen offensichtlich nicht lösen, weil sie sie als Chance ansieht, ihre ideologische Transformation unserer Gesellschaft voranzutreiben. Große Teile des politisch-medialen Establishments empfinden Niedergang, Verarmung des Volkes, Massenzuwanderung und wirtschaftlichen Zusammenbruch als positiv, weil das der Verwirklichung ihrer Ideologie dient, während ein großer Teil des Volkes noch nicht einmal ansatzweise versteht, was hier passiert.

Es wird nämlich keine Politik im Interesse des deutschen Volkes gemacht, sondern im Interesse einer grün-woken politischen Ideologie. Ich befürchte, dass sich diese Entwicklung in diesem Jahr mit noch größerer Geschwindigkeit fortsetzen wird, da es keine relevanten Widerstände in Politik und Medien gibt.

Alexander Wallasch: Was wird 2023 die größte politische Herausforderung sein?

Hans-Georg Maaßen: Für mich persönlich: Einen kühlen Kopf behalten, meinen Kurs nicht verlassen, sich nicht durch die Umstände oder durch andere mitreißen, emotionalisieren und radikalisieren zu lassen, und das ändern, was man ändern kann. Für Deutschland und das deutsche Volk wird es in vielerlei Hinsicht ein schweres Jahr. Eine zentrale Herausforderung wird es sein, die linke Hegemonie in den Medien, Parlamenten und Regierungen zu brechen.

Alexander Wallasch: Wo wird Deutschland Ende des Jahres 2023 stehen?

Hans-Georg Maaßen: Ich befürchte, dass Niedergang, Verarmung, Massenmigration und die Transformation von Staat und Gesellschaft in eine ökosozialistische Gesellschaft erheblich zunehmen werden.

Da vermutlich immer mehr Menschen unter dieser Politik leiden und sie in Frage stellen werden, wird konsequenterweise die Propaganda und die Bekämpfung von berechtigter Kritik und Kritikern deutlich zunehmen. Allerdings wird es auch eine immer besser organisierte außerparlamentarische Opposition gegen diese ideologische Politik geben.

Alexander Wallasch: Wo möchten Sie 2023 stehen?

Hans-Georg Maaßen: Ich möchte mit meinem Wissen und mit meiner Erfahrung einen Beitrag dazu leisten, dass diese Transformation in eine ökosozialistische Gesellschaft gestoppt und umgekehrt wird und dass Deutschland wieder gut regiert wird

Alexander Wallasch: Kurz vor Weihnachten war bekannt geworden, dass ein leitender Mitarbeiter des BND für Russland spioniert hatte und geheime Informationen auch unserer westlichen Verbündeten an Russland verraten haben soll. Wie bewerten Sie den Fall als ehemaliger Chef der deutschen Spionageabwehr? War dies ein gravierender Spionagefall?

Hans-Georg Maaßen: Der Fall hat jedenfalls das Potenzial, zu einem der schwerwiegendsten Verratsfälle in deutschen Geheimdiensten zu werden. Es handelt sich nach offenen Informationen um einen leitenden Mitarbeiter im Rang eines Obersts in der technischen Aufklärung des BND.

Das ist der Teil des BND, der Informationen durch die technische Überwachung von Telekommunikation, Internet, E-Mails und so weiter über ausländische Ziele erhebt. Dort fließen auch Informationen unserer Partnerdienste ein. Dabei handelt es sich nicht nur um Informationen über bestimmte Staaten oder über bestimmte Aufgabenbereiche, sondern der technische Bereich erhebt die Informationen zentral für alle anderen Fachbereiche des Dienstes, die diese Informationen auswerten.

Es ist insoweit ein ganz sensibler Bereich, in dem eine Vielzahl unterschiedlicher Informationen gesammelt werden. Anders als bei früheren Verratsfällen, handelt es sich hier nicht um einen kleinen Mitarbeiter, sondern um eine wichtige Führungsperson.

Ein Oberst leitet im BND ein großes Referat oder eine ganze Referatsgruppe. Damit verfügt er über sehr viel Wissen, viele Informationszugänge und eine große Machtfülle. Über seinen Schreibtisch gehen alle brisanten Informationen der gesamten Referatsgruppe. Er hat auch Möglichkeiten, Informationen seiner Gruppe zurückzuhalten oder bestimmte Aufträge an seine Mitarbeiter zu steuern.

In welchem Umfang und über welchen Zeitraum geheime Informationen an Russland verraten worden sind und inwieweit er auch Informationen zurückgehalten oder manipuliert hat, bevor er sie an deutsche Stellen weitergab, muss jetzt geklärt werden.

Alexander Wallasch: Wie konnte es passieren, dass so eine Person nicht vorher enttarnt worden ist, und warum wurde sie nicht von der deutschen Abwehr frühzeitig erkannt?

Hans-Georg Maaßen: Bevor man in einem deutschen Geheimdienst arbeiten kann, muss man eine umfangreiche Sicherheitsüberprüfung durchlaufen. Dazu zählt auch, dass die gesamte Biografie und die der Familie durchleuchtet werden.

Der Dienst interessiert sich für jeden früheren Auslandsaufenthalt des neuen Mitarbeiters in problematischen Staaten, zu denen Russland ohne Zweifel gehört, für ein mögliches Erpressungspotenzial, eine mögliche extremistische Einstellung und auch für die private Vermögenssituation, um auszuschließen, dass ein Mitarbeiter „gekauft“ wird.

Diese Sicherheitsüberprüfung wird regelmäßig wiederholt. Dass ein ausländischer Dienst versucht, einen Oberst im BND anzuwerben, wäre sehr erstaunlich, denn die Kosten und Risiken einer Anbahnungsoperation bei einem solchen hohen Rang sind sehr groß. Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es sich um einen Selbstanbieter oder um einen Stipendiaten gehandelt hat.

Dass der Verräter enttarnt wurde, war ein großer Erfolg, lag aber daran, dass ein ausländischer Dienst den BND darauf hinwies, dass er in einem bestimmten Bereich ein Leck hat, sodass der BND durch eigene Ermittlungen den Verräter identifizieren konnte.

Alexander Wallasch: Was versteht man in der Agentenszene unter Selbstanbietern und Stipendiaten?

Hans-Georg Maaßen: Selbstanbieter sind Personen, die freiwillig auf den Geheimdienst eines anderen Staates zugehen und ihm anbieten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Oftmals geschieht dies aus politischer Überzeugung, weil der Selbstanbieter innerlich mit der Politik seiner Regierung gebrochen hat.

Für den gegnerischen Dienst sind diese Geschenke nicht unproblematisch, da sehr sorgfältig geprüft werden muss, ob es sich um eine geheimdienstliche Gegenoperation handelt. Bei den von mir genannten Stipendiaten handelt es sich um Agenten, die bereits in der Jugend rekrutiert wurden und die mit Hilfe des gegnerischen Geheimdienstes studierten, beruflich aufgebaut und dann in eine wichtige Position eingeschleust wurden.

Diese Methode hatte die Stasi in Westdeutschland mit ihrem Netz an Stützpunkten an den Unis betrieben. Aus meiner Sicht spricht manches dafür, dass zumindest Teile davon von den Russen nach der Wiedervereinigung übernommen wurden.

Alexander Wallasch: War das ein Einzelfall oder ist das nur die Spitze eines Eisbergs?

Hans-Georg Maaßen: Aus meiner Sicht war dies kein Einzelfall. Bei den Geheimdiensten sind immer wieder schwere Verratsfälle bekannt geworden. Sie erinnern sich vielleicht noch an den CIA-Agenten Markus R., der über Jahre geheime Informationen aus dem BND an die Amerikaner verriet. Er war 2015 vom Verfassungsschutz enttarnt worden. Die Amerikaner sind unsere Partner, aber wir sind nicht deren Freunde.

Wir müssen uns aber auch darüber im Klaren sein, dass die deutschen Dienste noch nicht einmal das vorrangige Ziel der ausländischen Geheimdienste sind. Ihnen geht es – wenn man das Thema Wirtschaftsspionage einmal weglässt – in erster Linie um die Bundesregierung und um die Parteien.

Und es geht weniger um Spionage als um Einflussoperationen. Ich schätze, dass nur ein Bruchteil der Ressourcen ausländischer Dienste für Spionage eingesetzt wird. Der überwiegende Teil wird für Einflussoperationen und aktive Maßnahmen eingesetzt. Ausländische Regierungen sind weniger an internen Dossiers aus der Bundesregierung interessiert.

Sie wollen, dass Deutschland bestimmte politische Entscheidungen in deren Sinn trifft. Dafür werden Politiker, deren Mitarbeiter und Beschäftigte in Regierungsstellen angeworben oder eingeschleust. Wenn man einen Regierungspolitiker als Agenten führt, braucht man nicht zu spionieren, sondern man entscheidet selbst.

Dieses Thema ist in Deutschland kaum betrachtet worden, obwohl die Gefahr virulent ist, und eine Sicherheitsüberprüfung von Politikern durch die Spionageabwehr nicht erfolgen darf.

Der Chef der Auslandsspionage der DDR, Markus Wolf, brüstete sich einmal, dass die Stasi im Deutschen Bundestag so viele inoffizielle Mitarbeiter hatte, dass sie eine eigene Fraktion hätte bilden können. Dabei war die Stasi noch nicht einmal der größte Dienst, der Deutschland bearbeitete. Ich befürchte, wir haben unsere Lektionen daraus nicht gelernt.

Alexander Wallasch: Vielen Dank für das Gespräch.

 



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