Deutscher Ethikrat rechnet mit Corona-Politik ab
Der Deutsche Ethikrat hat Fehler und Missstände bei der Bewältigung der Corona-Pandemie in Deutschland benannt. So seien zahlreiche Institutionen wie Gesundheitsämter und Schulen nur unzureichend auf die Krise vorbereitet gewesen und besonders vulnerable Gruppen wie Pflegebedürftige zum Teil nicht gut geschützt worden, hieß es in einer am Montag in Berlin veröffentlichten Stellungnahme des Expertengremiums, die 162 Seiten umfasst.
Insbesondere junge Menschen hätten unter Einschränkungen ihrer Ausbildung und ihres Soziallebens gelitten. Je länger die Pandemie dauerte und je länger etwa Schulen von Lockdowns betroffen waren, „desto stärker vulnerabel wurde die junge Generation“, sagte die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx und verwies auf die psychischen Belastungen.
Die Folgen der Corona-Maßnahmen etwa im Bildungsbereich seien „nicht genug berücksichtigt und gesehen“ worden. „Wir rufen nach einer kritischen Aufarbeitung der Krisenbewältigung und besseren Fehlerkulturen“, sagte Buyx.
Aber auch das „einsame Sterben“ aufgrund von Kontaktbeschränkungen, das für die im Sterben liegenden Personen und ihre Angehörigen als „äußerst belastend“ empfunden würde, habe für Leid gesorgt – sowohl bei Betroffenen als auch bei den Beschäftigten im Bereich der Pflege.
Auch wenn das deutsche Gesundheitssystem nicht hinreichend auf die Corona-Pandemie vorbereitet gewesen sei und Intensivstationen zeitweise an ihre Belastungsgrenze stießen, so habe sich gezeigt, dass die „medizinische Versorgung der an COVID-19 Erkrankten zu jedem Zeitpunkt der Pandemie hinreichend gesichert werden konnte“.
Kreativität der Lehrer ausgebremst
Ethikratsmitglied Sigrid Graumann wies darauf hin, dass Initiativen und kreative Ideen von Lehrern oder Sozialarbeitern zur Unterstützung von Schülern während der Schulschließungen „häufig ausgebremst“ worden seien. „Das sollte künftig nicht mehr so sein“, betonte die Sprecherin der zuständigen Arbeitsgruppe des Ethikrats. Bei allen Maßnahmen müsse die soziale Teilhabe gesichert bleiben.
Der Ethikrat leitet in seiner Stellungnahme eine Reihe von Empfehlungen für Güterabwägungen zwischen Gesundheitsschutz und individueller Freiheit ab. „Maßnahmen gegen eine Pandemie müssen demokratisch legitimiert, ethisch gut begründet und zugleich gesellschaftlich akzeptabel sein“, erklärte Buyx.
In seiner Empfehlung fordert der Ethikrat unter anderem: „Das Potenzial von Maßnahmen, gesellschaftliche Spaltungen zu befördern, sollte zukünftig systematisch in Entscheidungen berücksichtigt werden.“ Zudem dringen die Experten auf verbesserte Kommunikations- und Informationsstrategien und die Bekämpfung von Falschinformationen. Nötig sei auch eine solide Datenerfassung.
Weiterhin müssten Institutionen wie Gesundheitsämter, Pflegeheime oder Einrichtungen im Bildungsbereich krisenfester werden. Eine solche Widerstandskraft habe „in etlichen Bereichen gefehlt“, sagte Ethikratsmitglied Andreas Lob-Hüdepohl.
Keine kritische Auseinandersetzung mit COVID-Impfstoffen
Eine kritische Auseinandersetzung mit den Corona-Impfstoffen, deren Entwicklung der Ethikrat als „ausnehmend erfolgreich“ bewertet, gibt es in der Stellungnahme nicht.
„Auch wenn die verfügbaren Impfstoffe weniger gut gegen Infektionen mit den später aufgetretenen Virusvarianten schützen, bewahren sie insbesondere nach Erhalt einer Auffrischimpfung immer noch gut vor schweren Krankheitsverläufen“, ist in dem Papier zu lesen. Kein Hinweis auf Todesfälle nach Impfungen, keine Hinweis auf die schweren Nebenwirkungen, die dem Paul-Ehrlich-Institut bislang gemeldet wurden.
Es heißt lediglich, dass Sicherheitsbedenken bei Ungeimpften für „Irritationen“ gesorgt hätten, vor allem durch Diskussionen über Nebenwirkungen, unterschiedliche Impfempfehlungen und die rasche Zulassung der Impfstoffe sowie sogenannte Impfdurchbrüche.
Gleichzeitig verweist der Ethikrat auf die unterschiedlichen Stufen, welche die Corona-Impfstoffe im zentralisierten EU-Zulassungsverfahren durchlaufen:
- Präklinische Studien in vitro und/oder an Tieren (Proof of Concept)
- Klinische Studien zur Wirksamkeit (Immunantwort) und Sicherheit (Nebenwirkungen) mit zunehmender Probandenzahl
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- Phase I: 30 bis 100 Menschen; Schwerpunkt: Sicherheit beziehungsweise Verträglichkeit
- Phase II: 200 bis 400 Menschen; Schwerpunkt: optimale Dosis
- Phase III: 3.000 bis ca. 20.000 Menschen; Schwerpunkt: Wirksamkeit (gegebenenfalls mit Placebo‐Vergleich)
- Wissenschaftliche Auswertung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur und Zulassung durch die Europäische Kommission
- Übernahme der EU‐Zulassung auf die nationale Ebene
- Anwendungsbeobachtungen (Phase IV) unter anderem zur Feststellung seltener Nebenwirkungen, fortlaufend ausgewertet durch die nationale Zulassungsbehörde (Paul‐Ehrlich‐Institut)
Der Impfstoff Comirnaty von BioNTech/Pfizer war der erste Impfstoff, der am 21. Dezember 2020 von der EU eine „bedingte Zulassung“ erhielt. Anders als üblich wurde bei den mRNA-Impfstoffen durch die Anwendung eines sogenannten Rolling Review nicht gewartet, bis alle Unterlagen zur Begutachtung der Impfstoffe abschließend vorliegen, sondern einzelne Datenpakete vorab geprüft. Inzwischen wurde die bedingte Zulassung der in der EU zugelassenen COVID-Impfstoffe ein erstes Mal um ein Jahr verlängert.
Staatsverschuldung auf Jahre
Relativ stabil habe sich die deutsche Wirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern erwiesen. Das gehe aus Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten hervor. Branchenspezifisch seien die Schäden jedoch erheblich, etwa in Gastronomie, Tourismus und in der Veranstaltungsbranche sowie bei Solobeschäftigten, so der Ethikrat.
Die staatlichen Corona-Hilfen, Unternehmensbeteiligungen, Kredite und Steuererleichterungen hätten zwar für eine Linderung gesorgt, „belasten die öffentlichen Haushalte aber auf Jahre hinaus erheblich und haben die Staatsverschuldung stark anwachsen lassen“. Insoweit hätten die nachfolgenden Generationen in Zukunft die Hauptlasten zur Finanzierung der Pandemiekosten zu tragen.
Maßnahmen zur schnellen Bewältigung und Eindämmung der Pandemie müssten nicht auf Kosten der wirtschaftlichen Entwicklung gehen, erklärt der Ethikrat weiter in seiner Stellungnahme. Wenn es darum ginge, zwischen einer florierenden Wirtschaft und einem effektiven Gesundheitsschutz abzuwägen, dürfe es zu keiner Entweder-Oder-Lösung kommen.
Maßnahmen mit fragwürdigem Nutzen
Der Ethikrat kritisiert, dass im Rahmen der Corona-Politik Maßnahmen getroffen wurden, wobei es auch zu „offensichtlich problematischen Verordnungen“ kam. Insoweit verweist es auf „Kontaktbeschränkungen unter freiem Himmel mit fragwürdigem Nutzen für den Infektionsschutz“ sowie Isolationsmaßnahmen gegenüber Sterbenden. Diesen Maßnahmen sei seitens der Gerichte nicht oder zumindest nicht frühzeitig und entschlossen genug entgegengewirkt worden.
Zudem haben laut Ethikrat Massenmedien – insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten – gerade in Krisenzeiten die für eine „republikanisch verfasste Demokratie“ die Aufgabe, das Für und Wider von Maßnahmen hör- und sichtbar zu machen. Nicht immer sei dieser kritische Teil zu Beginn der Corona-Krise im wünschenswerten Maß erfüllt worden.
Im weiteren Verlauf seien „selbst offenkundige Fehlentwicklungen“ in den Medien kaum in der notwendigen Deutlichkeit aufgegriffen worden.
Bei allen juristischen Grundrechtsdiskursen fehle es an der Beurteilung, wie problematisch zahlreiche Maßnahmen aus menschenrechtlicher Sicht waren. Hierdurch seien Grund- und Menschenrechte von Kindern, Alten oder Pflegebedürftigen und anderen Personengruppen unzureichend beachtet oder sogar verletzt worden.
Politik vs. Wissenschaft
Der Ethikrat betont weiter, dass es zur Glaub- und Vertrauenswürdigkeit wissenschaftlicher Experten gehört, dass sie den jeweils aktuellen Stand der Forschung wiedergeben. Dazu gehöre es, zu kommunizieren, dass dieser nur vorläufig und begrenzt ist.
„Wissenschaft muss frei und unabhängig sein“, findet der Ethikrat. Jede (partei-)politische Vereinnahmung oder Beeinflussung sei zurückzuweisen. Der gelegentlich beobachtete öffentliche Druck auf wissenschaftliche Beratergremien – wie beispielsweise gegenüber der STIKO – sorge für Vertrauensverlust.
Gleichzeitig mahnt der Ethikrat: „Umgekehrt müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Eigenlogik und Eigenverantwortung der Entscheidenden im politischen Bereich respektieren.“ In einer demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gesellschaft obliege die Letztverantwortung für politische Entscheidungen den Parlamenten. (afp/sua)
Hier geht es zum vollständigen Wortlaut der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates.
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