„Die Coronapolitik war eine Politik im Blindflug“

Eineinhalb Jahre einschneidende Maßnahmen für die gesamte Bevölkerung und noch immer kein Ende in Sicht? In seinem neuesten Gutachten übt der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek heftige Kritik an der Coronapolitik.
Titelbild
Professor Dr. Dietrich Murswiek.Foto: Privat
Von 17. Oktober 2021

Getestet, geimpft oder genesen? Der Druck auf die ungeimpfte Bevölkerung wächst. Im Fall einer Quarantäne sollen sie finanzielle Nachteile erleiden. Die inzwischen kostenpflichtigen Coronatests sorgen für eine zusätzliche Belastung. Auch bei  Veranstaltungen werden sie durch 2G-Regelungen ausgegrenzt. Epoch Times sprach mit Professor Dr. Dietrich Murswiek über die aktuelle Rechtslage.

In seinem 111-seitigen Rechtsgutachten vom 4. Oktober, erstellt im Auftrag der Initiative freie Impfentscheidung e.V., kam der Freiburger Staatsrechtler zu dem Fazit: „Die Benachteiligung der Ungeimpften im Rahmen der Regelungen über den Zugang zum öffentlichen Leben sowie im Rahmen der Quarantäne-Regeln verletzt die Grundrechte der Betroffenen und ist verfassungswidrig.“

Epoch Times: Die Bundesregierung hat zum 11. Oktober die Kostenpflicht der Corona-Tests eingeführt. Welche Gründe sprechen aus rechtlicher Sicht für eine Verfassungswidrigkeit?

Dietrich Murswiek: Erstens: Alle Coronamaßnahmen, mit denen die Freiheit nichtinfektiöser Menschen eingeschränkt wird, sind inzwischen unverhältnismäßig.

Zweitens: Die 2G- und die 3G-Regeln sind verfassungswidrig, weil sie die Ungeimpften ohne hinreichenden sachlichen Grund diskriminieren. Die Privilegierung der Geimpften beruht auf der Vorstellung, dass diese sich nicht mehr anstecken und andere Menschen infizieren könnten. Wir wissen heute, dass dies falsch ist. Auch Geimpfte könnten sich infizieren und das Virus weiterverbreiten. Die Diskriminierung der Ungeimpften verstößt gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Wenn der Staat heute noch Tests als Voraussetzung für die Teilnahme an Veranstaltungen usw. für erforderlich hält, muss er solche Tests auch für Geimpfte vorschreiben.

Drittens: Die Kostenpflichtigkeit der Tests lässt sich nicht gesundheitspolitisch begründen. Die Ungeimpften haben nicht durch ihr Verhalten oder durch ihren gesundheitlichen Zustand die Notwendigkeit des ihnen auferlegten Tests verursacht, sondern der Staat verpflichtet sie aus Gründen der staatlichen Risikovermeidungsstrategie zu den Tests. Die Gründe für die Tests sind fiskalischer Natur – der Staat will die von ihm selbst verursachten Kosten auf die Betroffenen abwälzen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat gesagt, er sehe nicht ein, „warum auf Dauer andere dafür zahlen sollen, wenn sich jemand nicht für die kostenlose Impfung entscheidet“. Wir könnten uns „zurück in die Freiheit impfen“. Das darin zum Ausdruck kommende Freiheitsverständnis ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Die Freiheit ist dem Einzelnen kraft seiner Menschenwürde gegeben und durch das Grundgesetz garantiert.

Der Staat darf sie ihm nicht nach Maßgabe seiner Pandemiepolitik nehmen und ihm nur „zurückgeben“, wenn er von der Obrigkeit verordnete Bedingungen erfüllt. Mit der Kostenpflichtigkeit der Tests wird sozusagen ein Eintrittsgeld für die Möglichkeit der Freiheitsausübung erhoben. Das widerspricht der Freiheitskonzeption einer rechtsstaatlichen Verfassung fundamental.

Und schließlich: Mit der 3G-Regel bei Kostenpflichtigkeit der Tests übt der Staat einen gewaltigen Druck auf die Betroffenen aus, sich impfen zu lassen. Wenn beispielsweise Studenten nur mit negativem Test eine Vorlesung besuchen dürfen und sie – da der Test nur 24 Stunden gültig ist – mehrere Tests pro Woche benötigen, bedeutet das für viele, dass sie ihr Studium unterbrechen müssen beziehungsweise das Studium gar nicht erst antreten können, wenn sie sich nicht impfen lassen.

Die staatlichen Regeln wirken als indirekter Impfzwang. Die Betroffenen werden zu einer Impfung genötigt, die schwerwiegende Nebenwirkungen haben kann. Sie kann zum Beispiel Herzmuskelentzündungen oder Thrombosen hervorrufen und führt in manchen Fällen zum Tode. Über Langzeitrisiken der neuartigen Impfstoffe weiß man noch gar nichts. Die massenhafte Verimpfung dieser Stoffe ist daher ein riesiges Humanexperiment.

Dies hat übrigens der Pfizer-Chef Albert Bourla bestätigt, als er laut Medienberichten sagte, Israel (wo die Impfung mit Biontech/Pfizer zuerst und besonders schnell vorangetrieben wurde) sei das weltgrößte Labor, wo man sowohl ökonomische als auch Gesundheitsdaten studieren könne. Experimente, die in die körperliche Integrität des Menschen eingreifen, dürfen aber nur an Freiwilligen durchgeführt werden. Jeder Zwang zur Teilnahme ist mit der Menschenwürde unvereinbar.

Der Impfzwang lässt sich im Übrigen nicht damit rechtfertigen, dass die Impfung vor Erkrankung an COVID-19 schütze. Es gehört zum verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, dass dieser eigenverantwortlich entscheidet, ob und wie er sich schützen will. Der Zwang lässt sich auch nicht mit dem Schutz der Geimpften rechtfertigen, denn diese sind ja durch die Impfung geschützt.

ET: Aktuell droht ungeimpften Arbeitnehmern bei Quarantänepflicht der Wegfall des Verdienstausfalls. Darauf hatten sich die Gesundheitsminister der Länder geeignet. Was sagen Sie zu dieser Regelung?

Murswiek: Wegfallen soll nach dem Beschluss die staatliche Entschädigung für ungeimpfte Quarantänepflichtige. Das heißt nicht notwendig, dass sie vom Arbeitgeber keine Lohnfortzahlung mehr bekommen. Nur kann der Arbeitgeber sich die Kosten dann nicht mehr vom Staat erstatten lassen. Freiberufler stehen aber sofort ohne Entschädigung da.

Diese Regelung ist aus zwei Gründen verfassungswidrig: Zum einen handelt es sich um eine willkürliche Diskriminierung der Ungeimpften. Sie müssen als Reiserückkehrer aus einem Hochrisikogebiet oder bei Kontakt mit einer infizierten Person in Quarantäne und sollen dann auch noch die finanziellen Lasten tragen, während Geimpfte nicht in Quarantäne müssen.

Dabei steht längst fest, dass auch Geimpfte sich infizieren und dann andere Menschen anstecken können. Es gibt also keinen Grund für diese Ungleichbehandlung. Zum anderen werden hier Menschen, die nicht infektiös sind und niemanden anstecken können, aus Gründen der Risikominderung ihrer Freiheit beraubt. Der Staat nimmt sie als „Nichtstörer“ in Anspruch. Das darf er allenfalls dann, wenn er jedenfalls für die materiellen Einbußen Entschädigung leistet.

ET: In Ihrem Gutachten führen Sie aus, dass die materiellen Kriterien einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die Voraussetzung für die Corona-Politik und Grundgesetzeinschränkungen ist, nicht erfüllt sind. Können Sie das unseren Lesern näher erläutern?

Murswiek: Nach dem Infektionsschutzgesetz sind Corona-Maßnahmen, die sich an die Allgemeinheit richten, wie zum Beispiel Schließung von Gaststätten oder Fitnessstudios, Zugangsverbote oder besondere Zugangsvoraussetzungen für Kultur- oder Sportveranstaltungen, zu Kinos, Museen oder anderen Kultureinrichtungen, nur dann rechtlich möglich, wenn der Bundestag eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt hat. Diese formelle Voraussetzung ist zurzeit erfüllt; der Bundestag hat diese Feststellung getroffen. Sie gilt gemäß bis zum 25. November 2021, sofern der Bundestag sie nicht zuvor aufhebt oder verlängert.

Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen hängt aber nicht nur davon ab, dass die epidemische Lage vom Bundestag festgestellt worden ist. Die Kriterien für das Bestehen einer solchen Lage müssen auch tatsächlich erfüllt sein: Es muss eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit gegeben sein. Dies ist jetzt nicht der Fall, weil die Funktionsfähigkeit unseres Gesundheitssystems längst nicht mehr gefährdet ist und eine Gefahr für die Überlastung der Intensivstationen auch im weiteren Verlauf der Epidemie nicht mehr zu erwarten ist.

ET: Nach neuesten RKI-Berichten sind bis zu 80 Prozent der Erwachsenen zweifach geimpft, auch Kindern wurden die Covid-Vakzine schon verabreicht. Was bedeutet das für die Menschen, die sich unter Druck haben impfen lassen, und welche Möglichkeiten haben Ungeimpfte, ihre Interessen durchzusetzen?

Murswiek: Bei Menschen, die wegen hohen Alters und/oder schwerer Vorerkrankungen besonders gefährdet sind, liegt die Impfquote sogar bei 90 Prozent. Das ist der Grund, weshalb wir uns um eine Überlastung der Intensivstationen keine Sorgen mehr machen müssen. Wer sich unter Druck hat impfen lassen, kann das nicht mehr rückgängig machen. Im Falle von Impfschäden gibt es aber einen Schadensersatzanspruch. Ungeimpfte können gegen die Regelungen, mit denen sie unter Druck gesetzt werden, vor den Verwaltungsgerichten klagen. In verschiedenen Bundesländern sind solche Klagen und Eilanträge schon in Vorbereitung beziehungsweise bereits eingereicht.

ET: Was ist das Ziel des neuen Gutachtens? Ist eine neue Verfassungsbeschwerde geplant?

Murswiek: Das Gutachten soll Grundlage für Klagen gegen die landesrechtlichen Vorschriften sein, durch die Ungeimpfte benachteiligt werden, also insbesondere gegen die 3G-Regel mit kostenpflichtigem Test und gegen die 2G-Regel. Eine Verfassungsbeschwerde ist erst nach Erschöpfung des Rechtswegs möglich. Deshalb muss jetzt zunächst bei den Verwaltungsgerichten geklagt werden. Eine Stuttgarter Kanzlei wird mit Unterstützung der „Initiative freie Impfentscheidung“ in wenigen Tagen eine Klage und einen Eilantrag beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg einreichen. Da das Gutachten veröffentlicht ist, können aber auch andere Kläger und ihre Anwälte das Gutachten für ihre Klagen heranziehen. Es wäre zu wünschen, dass es in allen Bundesländern zu Klagen kommt. In Rheinland-Pfalz ist schon ein Eilantrag eingereicht worden.

ET: Sieben Monate nach der sogenannten Bundesnotbremse liegen noch immer keine Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vor. Dessen Präsident Stephan Harbarth begründete dies mit schwierigen Rechtsfragen und Anhörungen von Sachverständigen verschiedener Sachgebiete. Wie bewerten Sie diese Argumentation?

Murswiek: Das Bundesverfassungsgericht hätte meines Erachtens die evident verfassungswidrigen Teile der „Notbremse“ durch einstweilige Anordnung stoppen müssen. Dass ein Hauptsacheverfahren so viel Zeit in Anspruch nimmt, ist normal. Aber seit Beginn der Epidemie sind anderthalb Jahre vergangen. In dieser Zeit hätte das Bundesverfassungsgericht längst eine Leitentscheidung zum Lockdown erlassen können.

Es hat sich leider um die Aufgabe gedrückt, in der größten Verfassungskrise seit Bestehen der Bundesrepublik mit einer Grundsatzentscheidung der Regierung die rechtsstaatlichen Grenzen aufzuzeigen. Statt die Grundrechte gegen zuvor in Friedenszeiten nie da gewesene flächendeckende Einschränkungen zu verteidigen, hat das Bundesverfassungsgericht die Kontrolle an die Verwaltungsgerichte abgeschoben, weil zuerst der Rechtsweg erschöpft werden müsse. Das ist im juristischen Alltag angemessen, nicht aber in einem Ausnahmezustand, wie wir ihn seit Frühjahr 2020 erleben.

ET: Harbarth ist momentan in Kritik aufgrund eines Dinners im Kanzleramt, an dem sämtliche Bundesverfassungsrichter und auch Bundesminister teilnahmen. Ist die Unabhängigkeit der Gerichte in Gefahr?

Murswiek: Das gemeinsame Abendessen mit der Bundesregierung beeinträchtigt nicht die Unabhängigkeit des Gerichts und führt nicht zur Befangenheit der Richter, jedenfalls wenn man die diesbezügliche Rechtsprechung zugrunde legt. Aber es ist zumindest ein Stilbruch, wenn Richter sich zum Essen von einer Prozesspartei einladen lassen, während die andere Partei ausgeschlossen ist. Dies schädigt das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts in der Öffentlichkeit und das Vertrauen in seine Unparteilichkeit.

Die Ausrede, unter obersten Verfassungsorganen müsse man sich doch treffen und sich austauschen können, lasse ich nicht gelten. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar oberstes Verfassungsorgan. Aber es ist vor allem Gericht. Und deshalb muss es sich an die für Richter und Gerichte geltenden Grundsätze halten.

ET: Was sollte sich rückblickend auf eineinhalb Jahre Corona-Politik in naher Zukunft ändern?

Murswiek: Vieles. Um es ganz kurz zu machen: Der Staat darf nie wieder die Illusion erwecken, er könne gegen Epidemien oder andere Gefahren absolute Sicherheit herstellen. Wer absolute Sicherheit will, landet in absoluter Unfreiheit. Die Lockdowns waren völlig unverhältnismäßig und ineffektiv. Gezielter Schutz der Risikogruppen und angemessene Hygiene- und Abstandsregeln hätten ausgereicht, die Epidemie so zu begrenzen, dass ihre Auswirkungen nicht aus herkömmlichen Grippeepidemien herausragen. Deshalb darf es künftig keine Lockdowns mehr geben.

Und die Politik muss sich, wenn sie einschneidende Maßnahmen ergreifen will, um die Tatsachen kümmern. Wir wissen immer noch nicht, wie viele Menschen tatsächlich an Corona gestorben sind oder wie sehr Corona in der Bevölkerung verbreitet war. Man hat die Tatsachen nicht erforscht. Man hat die Todesursachen nicht ermittelt, sondern jeden Gestorbenen, der PCR-positiv war, als „Corona-Toten“ gezählt, und man hat keine repräsentativen Tests gemacht. Die Coronapolitik war eine Politik im Blindflug. So etwas darf es bei derart weitreichenden Freiheitseinschränkungen nicht wieder geben.

Professor Dietrich Murswiek wurde 1948 in Hamburg geboren. Seinem Studium der Rechtswissenschaften folgten Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo er 1984 habilitierte und die Lehrbefugnis für Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht erhielt. Von 1986 bis 1990 war er Professor für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen, danach bis zu seiner Emeritierung (2016) an der Universität Freiburg. Außerdem ist Murswiek als Gutachter, Rechtsberater und Prozessvertreter im Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht und Völkerrecht tätig. Seit Mitte der 1980er-Jahre berät er Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion in staats- und völkerrechtlichen Fragen. Aber auch für andere Parteien oder Fraktionen – DIE GRÜNEN, DIE LINKE, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) und die AfD – hat er Rechtsgutachten und Prozessvertretungen übernommen.

Das Rechtsgutachten von Professor Murswiek über die Verfassungswidrigkeit der Benachteiligung Ungeimpfter kann hier abgerufen werden: Gutachten.

Das Interview führte Susanne Ausic.



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