„Drecksstaat“: Student muss 1.500 Euro Strafgeld nach Tweet über Corona-Maßnahmen zahlen

Das Amtsgericht München hat ein Strafgeld von 1.500 Euro gegen einen Studenten verhängt. Dieser hatte von einem „Drecksstaat“ gesprochen, weil er infolge der Corona-Maßnahmen seine Oma nicht zum 90. Geburtstag besuchen durfte.
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Ein Schimpfwort – strafbare Verunglimpfung oder Unmutsäußerung mit klar erkennbarem Bezug zum Protest gegen Corona-Maßnahmen?Foto: Stephan Kröker / Epoch Times
Von 18. September 2023


Wegen „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“ soll ein Informatikstudent ein Strafgeld in Höhe von 1.500 Euro zahlen. Dieses hat das Amtsgericht München verhängt, nachdem der 26-Jährige den deutschen Staat auf Twitter als „Drecksstaat“ bezeichnet hatte.

Anlass dafür waren im Frühjahr 2022 geltende Corona-Maßnahmen. Diese hatten es dem Studenten unmöglich gemacht, mit seiner Oma im Pflegeheim deren 90. Geburtstag zu feiern. Wie das Portal „NIUS“ berichtet, schrieb der Student dazu am 2. März jenes Jahres:

Ich kriege das absolute Kotzen bei diesem Drecksstaat und jeder einzelnen Person, die dieses menschenverachtende System unterstützt.“

Das Wort fiel in unterschiedlichen Zusammenhängen

Ein anonymer Anzeigenerstatter sandte der Polizei daraufhin einen Link auf eine Archivseite zu. Auf dieser befanden sich mehrere Tweets des Studenten, in denen dieser den Begriff „Drecksstaat“ verwendete. Im Juni 2023, als es bereits eine 43-seitige Akte über die Social-Media-Aktivitäten des Studenten gegeben hatte, lud ihn die Polizei Rosenheim vor.

Dem Portal „NIUS“ zufolge hatten die Beamten offenbar das Profil des Studenten und den Kontext der Tweets nicht geprüft.

Der Student habe den Begriff häufig auch ironisch und mit Blick auf bestimmte Gegebenheiten, aber auch andere Staaten verwendet.

Dennoch scheint man den Ausdruck „Drecksstaat“ isoliert betrachtet zu haben. Mit Bezug auf den Merkmalsinhalt „Staatsschutz/Terrorismus“ hatte die Polizei in Düsseldorf die Ermittlungen aufgenommen.

Zwischen dieser und den Strafverfolgungsbehörden in München hatte es offenbar einen regen Faxverkehr gegeben. Der gesamte Kontext war daraus jedoch nicht ersichtlich.

Kein „Unrechtsstaat“ und keine „Bimbes-Republik“

Die Rechtsprechung zum Paragrafen 90a StGB hatte sich im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gesamttendenz gewandelt. Das Interesse des Staates am Ansehen seiner freiheitlich-demokratischen Ordnung stand gegen das Individualrecht auf Redefreiheit.

In den 1950er-Jahren scheint der Staatsschutzgedanke eine primäre Rolle bei der Abwägung gespielt zu haben. So hatte der Bundesgerichtshof (BGH) 1952 eine strafbare Verunglimpfung des Staates im Vergleich mit einer „frisch gestrichenen Coca-Cola-Bude“ gesehen. Die Bundesfarben als „schwarz-rot-gelb“ zu bezeichnen, sah der BGH 1959 als „hämische Goebbelssche Kampfparole” gegen die freiheitliche Demokratie.

Das Land Niedersachsen musste sich 1955 nicht als „Unrechtsstaat“ bezeichnen lassen. In jüngerer Zeit bejahten Gerichte auch den Verunglimpfungstatbestand durch Benennungen wie „Bimbes-Republik“ oder „käuflicher Saustall“.

Demgegenüber hob das Bundesverfassungsgericht in den 1990er- und 2000er-Jahren mehrere Verurteilungen nach Paragraf 90a auf, die sich auf Schmähungen gegen „Deutschland“ bezogen. Dabei ging es um Aussagen wie „Deutschland verrecke“ oder „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“.

Die Meinungsfreiheit, so das Höchstgericht, schütze „auch scharfe und überzogene Kritik am Staat“, solange diese nicht die Menschenwürde oder den öffentlichen Frieden verletze. Auf dieser Grundlage einer stärkeren Betonung der Redefreiheit hatte auch ein Transparent aus dem Jahr 2015 keine Anklage zur Folge. Auf diesem war von Deutschland als „miesem Stück Scheiße“ die Rede.

In einem Beschluss aus dem Jahr 2008 (1 BvR 1565/05) betont das Bundesverfassungsgericht die „Vermutung zugunsten der freien Rede“.

Verfassungsfeindlicher Gesamtkontext bleibt bedeutsam

In dem Urteil hieß es, das Grundgesetz baue „zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen“, es erzwinge diese Werteloyalität aber nicht.

Im Zusammenhang mit Staatsschutznormen sei „besonders sorgfältig zwischen einer Polemik und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung zu unterscheiden“. Gerade der Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz sei „aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen“ und finde darin unverändert seine Bedeutung.

Die Rechtsprechung hat nach wie vor jedoch bestimmte Äußerungen in ihrem Kontext als strafbar angesehen. Dabei geht es um solche, die den Kernbereich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angreifen. Zudem ist man sensibler bei einem historischen oder aktuellen Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen.

Sensibel nur in eigener Sache?

Es ist nicht abzusehen, ob es eine sich festigende Tendenz des deutschen Staates und seiner Institutionen zurück zu mehr Dünnhäutigkeit in eigener Sache gibt. Dafür spricht, dass man das Verunglimpfungsverbot auch auf die EU und deren Symbole ausgedehnt wissen will.

Auf der anderen Seite hatte der Bundestag am 1. Juni 2017 einstimmig die Abschaffung des Paragrafen 103 Strafgesetzbuch beschlossen. Dieser hatte einen Sondertatbestand bezüglich der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten dargestellt. Anlass war damals ein Vorgehen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen einen übergriffigen Text des ZDF-Moderators Jan Böhmermann.

Kritiker bemängeln ein Anlegen unterschiedlicher Maßstäbe durch deutsche politische und diplomatische Vertreter. Diese seien regelmäßig um die Redefreiheit besorgt, wenn ausländische Rechtsordnungen ihre Staatsordnung und ihre Repräsentanten mit den Mitteln des Strafrechts schützen. In eigener Sache sei man im Vergleich dazu sensibler.

„Lawblog“ sieht gute Erfolgschancen für einen Einspruch

Der gegen den Studenten ergangene Strafbefehl des Amtsgerichts München ist, sollte dieser ihn nicht akzeptieren, nicht rechtskräftig. Das „Lawblog“ rät zum Einlegen eines Einspruchs. Es sieht in der Äußerung keinen Ausdruck eines Willens, den „Bestand des Landes im Gesamten“ anzugreifen.

Vielmehr habe sich die Unmutsäußerung gezielt gegen eine konkrete Maßnahme im Zusammenhang mit dem Coronavirus gerichtet. Mit „etwas gutem Willen“, so das Blog, könne man „das Ganze noch als Kritik am Staat in einer Sachfrage durchgehen lassen“. Seine Einschätzung: „Spätestens am Bundesverfassungsgericht stehen die Chancen hierfür nicht schlecht.“ Besser wäre es „natürlich gewesen, wenn der Fall sofort wegen Geringfügigkeit eingestellt worden wäre“.



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