Drei Bauern im Interview: Warum Milchbauern das Handtuch werfen

Der Umgang mit der Milchviehwirtschaft ist seit Jahrzehnten für die Bauern ein großes Problem. „Es soll möglichst viel exportiert und zeitgleich viel importiert werden. […] So kann Marktwirtschaft nicht funktionieren“, beklagt die Milchbäuerin Frauke Bielefeld.
Titelbild
Frau Frauke Bielefeld ist Milchbäuerin an der Nordsee auf dem Jadebusen, Niedersachsen. Dort bewirtschaftet sie einen Milchviehbetrieb, der nach ihrer Aussage mittlerweile weit über 500 Jahre in Familienbesitz geführt wird.Foto: Epoch Times
Von 17. Oktober 2023
Epoch Times sprach bei einem Treffen der Bauern im Süden von Berlin mit einer Milchbäuerin und zwei Milchbauern über ihre Lage. Gemeinsam nahmen sie am 10. September 2023 an einem von Bauern organisierten Symposium unter dem Motto „Bauern tot – Alle in Not“ teil.
Frau Bielefeld, Sie kommen von der Nordsee, vom schönen Jadebusen an der nördlichen Spitze Niedersachsens. Dort bewirtschaften sie einen Milchviehbetrieb, der weit über 500 Jahre in Familienbesitz geführt wird. Wie genau kann man sich ihren Hof vorstellen?

Wir haben aktuell 135 Kühe, die wir melken und auch ähnlich viele Hektar Eigenland. Das bewirtschaften wir als Familie zusammen. Wir ziehen natürlich alle unsere Kälber selbst auf und kennen jede Kuh von Kalb an.

Ich produziere natürlich nach wie vor Weidemilch – nur nicht mehr unter dem Weidemilch-Label. Da bin ich jetzt ausgestiegen, weil mich das einfach ärgert, dass die Weidemilch nicht so vermarktet wird, wie sie müsste, wenn man nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten geht. Sprich, es müssten sämtliche produzierte Liter Milch, die unter den ganzen Kontrollen entstehen – nämlich, dass die Kuh auf der Weide gentechnikfrei gefüttert wird und so weiter – auch nachher auf dem Produkt gekennzeichnet werden. So funktioniert Marktwirtschaft.

Aktuell ist es aber so, dass maximal zehn Prozent so gekennzeichnet werden und 90 Prozent der Weidemilch einfach in der konventionellen Milch verschwinden. So kann keine Marktwirtschaft funktionieren. Marktwirtschaft ist ja erst einmal Transparenzmachung, und dann muss der Kunde entscheiden. Wie die Preisgestaltung dann ist, ist ein Geschäft zwischen Bauer und Abnehmer, sprich der jeweiligen Molkerei. Da müssen die Preise fair sein. Wenn aber der Kunde gar nicht weiß, dass da Weidemilch enthalten ist, kann das nicht funktionieren.

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Gehen Sie davon aus, dass die Nachfrage steigt, wenn die Kunden im Supermarkt genau erkennen, wo Weidemilch drinsteckt?

Ob der Kunde dann bereit ist, entsprechend teurer einzukaufen oder nicht, das wird man dann sehen. Wenn man durch eine transparente Kennzeichnung vielleicht drei oder fünf Prozent mehr dazu animieren könnte, fünf Cent mehr für einen Liter Trinkmilch auszugeben, dann haben wir doch schon etwas erreicht. Aber scheinbar will auch der jeweilige Abnehmer unserer Molkerei gar nicht draufstehen haben, dass das Produkt aus Weidemilch hergestellt wurde. Bei dem Milchprodukt findet der Konsument dann nur im Kühlregal die schön eingeschweißten Käsescheibchen und sonst was – da steht das drauf.

Wenn ich aber an eine Käsetheke gehe und dieser genau so produzierte Käse dort nicht als Weidemilchkäse angepriesen wird, weil der Kunde es ja nicht in die Hand nehmen und in der Zutatenliste lesen kann, wie soll denn dann bitteschön Marktwirtschaft funktionieren? Es ist vermessen zu erwarten, dass diejenigen, die dann wirklich tiefer in die Tasche greifen und Weidemilch-Produkte kaufen, die aus den zehn Prozent Weidemilch hergestellt wurden, dann die restlichen 90 Prozent auch noch wirtschaftlich mittragen können. Was ist das für ein Irrsinn? Da hat irgendjemand Marktwirtschaft nicht verstanden.

Das heißt, dadurch, dass das Angebot immer so klein bleibt, werden die Preise nicht sinken?

So könnte man das sagen. Vor allen Dingen haben die Menschen, die immer sagen, wir haben utopisch viele Kühe, die ganz fürchterlich gehalten werden, immer das Argument auf ihrer Seite: Guck doch mal, wie viele konventionelle Produkte wir haben und wie wenig Weidemilch-Produkte. Unter anderem ist das natürlich ein Punkt, warum die Weidemilch-Bauern irgendwann aufgeben.

Ich kann nicht genau sagen, warum das so schiefläuft. Aber grundsätzlich ist das natürlich im hohen politischen Interesse, dass möglichst viel exportiert und zeitgleich viel importiert wird. Ich habe mich lange intensiv dafür eingesetzt, erst mal eine grundsätzliche Herkunftskennzeichnung zu bekommen. Das will gerade keiner.

Der Bürger in Deutschland glaubt, dass wenn wir einen Selbstversorgungsgrad von 80 oder 85 Prozent haben, auch 80 oder 85 Prozent der Lebensmittel deutsche Produkte sind. Das kann sein, es kann aber auch ganz anders sein. Es kann auch sein, dass man nicht mehr nur überregional produzierte Produkte einrechnet, sondern auch importierte Produkte.

Rein theoretisch könnte man zu 100 Prozent alle hier produzierten Lebensmittel – Milch, Kartoffeln, was auch immer – ins Ausland exportieren und durch eine Einfuhr von 100 Prozent an ausländischen Waren ersetzen. Dann hätten wir immer noch einen Selbstversorgungsgrad von 100 Prozent.

Sehen Sie da eine Lösung?

Das Einfachste wäre doch, die vorgegebenen Möglichkeiten auch zu nutzen und einfach zu sagen: Mensch Leute, wir schreiben euch drauf, was drin ist – das hat auch nichts mit Nationalismus oder sonst was zu tun. Wir wollen die ehrliche Herkunftskennzeichnung. Wenn uns dann im Agrardialog geantwortet wird: „Aber Frau Bielefeldt, wir setzen doch keine Warnhinweise darauf“, finde ich, das spricht für sich. „Warnhinweise“ – das war die Wortwahl zu der geforderten Herkunftskennzeichnung.

Ich gehe davon aus, dass man aus politischer Sicht gar keine Transparenz möchte. Vor zig Jahren im Rahmen des Agrardialogs machte ich mich ans Recherchieren und stieß auf die Website des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft. Da konnte man sehr gut nachlesen, wie viel wir importieren und exportieren und wie der Saldo war. Das macht nachdenklich.

Thomas Schneekloth bewirtschaftet einen Milchviehackerbaubetrieb in Schleswig-Holstein mit 350 Kühen, 100 Hektar Grünlandwirtschaft und 170 Hektar Ackerbau.

Sehen Sie hoffnungsvoll in die Zukunft oder schon mit einem gewissen Druck in der Magengegend?

In der Milchviehhaltung liegt momentan nicht viel Gewinn. Letztes Jahr bekamen wir in der Spitze noch 59 oder 60 Cent pro Liter Milch. Jetzt aktuell sind wir bei 34,8 Cent pro Liter – und das bei durchschnittlichen Produktionskosten von mindestens 40 Cent pro Liter. Das ist eben das Problem für uns. Mein Sohn ist jetzt auch mit im Betrieb, er ist fertig mit der Ausbildung.

Wir wollen jetzt verstärkt in erneuerbare Energien investieren und praktisch die Landwirtschaft erst einmal noch so behalten. Wir hoffen, dass es jetzt wieder besser wird, auch mit den Marktfrüchten, also den Erzeugnissen für den Lebensmittelmarkt. Da hatten wir letztes Jahr Preise von knapp 30 Euro für 100 Kilogramm Weizen. Jetzt auf einmal haben wir Preise von 17  Euro. Der Preis hat sich ungefähr halbiert. Und das schlägt natürlich gewaltig in der Marktwirtschaft ein.

Dieter Rempe bewirtschaftet in Wagenfeld im Landkreis Diepholz (Niedersachsen) einen Gemischtbetrieb mit Schwerpunkt Milchviehhaltung.

Wie frei ist der Milchbauer heute noch?

Der Milchmarkt selbst orientiert sich nach der Reichsnährstandsverordnung mit der Anlehnungspflicht und mit der Pflichtabnahme, der über die Raiffeisen-Molkereien (Genossenschaften) im Lande vollzogen wird. Wir haben leider Gottes ganze 70 Prozent an Milchmenge, die an diese Molkereien geht. Das ist ein großes Monopol und da können wir am Markt gar nicht teilnehmen. Also die Raiffeisen-Molkereien übernehmen 70 Prozent der Rohmilch und 30 Prozent laufen über die freien Molkereien. Da die Raiffeisen-Molkereien im Dachverband vernetzt sind, haben wir ein erhebliches Monopol, was die Teilnahme am Markt für alle anderen erschwert oder unmöglich macht.

Wir haben oft das Problem, dass der Rohmilch-Auszahlungspreis zu niedrig ist. Aber in Wirklichkeit ist es das System, das daran schuld ist. Wir Bauern haben ein Milchboard gegründet, dass einen Milch-Marker-Index entwickelt hat. Dabei geht es um die Produktionskosten der Rohmilch in Deutschland. Dazu haben wir den Milchpreis in Deutschland in drei Gebiete eingeteilt: in Westen, Osten und Süden, weil da unterschiedliche Strukturen herrschen.

Zur Erstellung des Milch-Marker-Index werden im dreimonatigen Rhythmus die Produktionskosten des Durchschnittsbetriebs ermittelt. Somit haben wir einen Überblick darüber, was wir an Kosten haben, und können das auch mit dem tatsächlich gezahlten Milchpreis vergleichen, den wir von den Molkereien gezahlt bekommen.

Und wie oft entsprach der Milchpreis dem Milch-Marker-Index?

In den ganzen 20 Jahren, seit es diesen Index gibt, hat der Milchpreis, den wir von den Molkereien für die abgelieferte Rohmilch gezahlt bekommen, nie den Milch-Marker-Index erreicht.

Jedoch wurde er erstmalig in den vergangenen drei Quartalen erreicht. In den drei Quartalen haben wir den ausreichend auskömmlichen Milchpreis bekommen. All die anderen Jahre nicht. Das kann nicht gut sein.

Dann kommt die Frage auf:  Wie sind Sie denn bis jetzt über die Runden gekommen? Ich habe es vorhin schon erklärt: Wenn die älteren Generationen mitarbeiten, Kinderarbeit, Mehrarbeit – dies alles zusammen führt am Ende dazu, dass man gerade noch so die Kurve kriegt. Aber das ist ja nicht vorgesehen, dass wir immer und immer dazutun und mehr arbeiten, bis wir wirklich die allerletzte Kuh gemolken haben.

Woran liegt es, dass der Milchpreis so stark schwankt und man sich nicht an dem Milch-Mark-Index orientiert?

Der Milch-Marker-Index ist ein Hilfswerkzeug, der von uns Bauern stammt, nicht von den Molkereien. Das ist das Problem. Die Molkereien wollen möglichst günstig einkaufen. Das Schwanken der Preise selbst wird versucht, mit Ach und Krach zu vermeiden. Einmal ist es jedoch passiert, weil die Milchmenge drastisch gefallen ist. Da hat man gesehen, ja, es liegt doch an der Menge.

Aber leider Gottes wird nicht an der Menge gearbeitet. Es wird einfach dafür gesorgt, dass die Milchmenge losgelöst immer schön konstant bleibt, weil die Molkereien den Rohstoff brauchen, um damit letztendlich ihr Geschäft zu machen.

Wir haben jetzt ganz aktuell wieder eine große Differenz zwischen Milchauszahlungspreis und dem Spotmarktpreisen, also dem Markt, den die Molkereien unter sich haben. Da bleibt nur die Vermutung: Der Preis muss unten bleiben und die Rohstoffmenge muss irgendwo hergeholt werden. Dann kommen solche Differenzen zustande. Das ist das Problem beim Milchmarkt, denn normalerweise müsste bei einem geringeren Angebot bei gleich großer Nachfrage der Preis steigen und damit auch der Auszahlungspreis an uns Bauern.

Doch durch den Einfluss der Molkereien ist genauer andersherum: Während die Spotmarktmilchpreise kräftig steigen und Knappheit anzeigen, fallen die Preise für Milchprodukte weiter und damit der Rohstoffwert der Milch, was sich wiederum auf den Auszahlungspreis auswirkt. Das trifft dann uns Bauern.

Schauen Sie sich auch unseren Videobeitrag zu diesem Thema bei EpochTV an!

 



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