Drittes Geschlecht: Option „Diverse“ im Personenstandsrecht war erst der Anfang

Nach der Neuregelung des Personenstandsgesetzes durch die Koalition werden die ersten Stimmen laut, die fordern, den Wechsel der Geschlechtszuordnung noch leichter und unbürokratischer zu machen. 
Titelbild
Genderneutrale Toilette.Foto: Sara D. Davis/Getty Images
Von 14. Dezember 2018

Der Bundestag hat mit den Stimmen der Koalitionsparteien den Weg zum Geschlechtseintrag „divers“ freigegeben, künftig kann damit auch dieser im Geburtenregister eingetragen werden. Die Neuregelung des Personenstandsgesetzes entsprach einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, das im Oktober 2017 in einem Urteil die bisherige Regelung als Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG) und das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 Abs. 3 GG eingestuft hatte.

Der Schutz der geschlechtlichen Identität derjenigen, die sich „dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“, sei demnach nicht damit vereinbar, dass bislang in Urkunden nur „männlich“ oder „weiblich“ als Geschlechter eingetragen werden konnten oder die Möglichkeit bestand, überhaupt keinen Eintrag wahrzunehmen.

Letztgenannte Option reichte nach Auffassung des Senats nicht aus, um den Interessen der Beschwerde führenden Person Rechnung zu tragen. Vielmehr würde die „selbstbestimmte Entwicklung und Wahrung der Persönlichkeit spezifisch gefährdet“, wenn es keine Möglichkeit gäbe, in positiver Weise abzubilden, dass diese „sich nicht als geschlechtslos begreift, und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat“.

Wer ist „strukturell diskriminierungsgefärdet“?

Die Verwehrung der personenstandsrechtlichen Anerkennung der geschlechtlichen Identität gefährde demnach bereits für sich genommen die selbstbestimmte Entwicklung. Zudem gebiete es, das Grundgesetz nicht, „den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln“.

Da es im Anlassfall um „Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen“ gegangen wäre, die vor Benachteiligung zu schützen Zweck des Gleichheitsartikels 3 GG sei, wurde im Ergebnis dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgetragen. Damit wurde das klassische individualrechtliche Konzept der verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle um eine identitätspolitische Komponente weiterentwickelt.

Es ist ungewiss, ob es nicht schon bald eine Follow-Up-Entscheidung dazu geben wird, die in konsequenter Weiterführung der zitierten feststellen wird, dass, um diesem positiven Deklarationsbedürfnis Rechnung zu tragen, nicht noch explizit für jedes einzelne durch die Genderforschung definierte Geschlecht eine eigene Option einzutragen ist. Schließlich könnte man es immer noch als Benachteiligung auffassen, dass das männliche und das weibliche Geschlecht ausdrücklich genannt werden, während sämtliche gefühlten sonstigen Geschlechtsidentitäten in einem einzigen Topf des „Diversen“ zusammengerührt werden.

Fliegender Wechsel vom „GenderKompetenzZentrum“ nach Karlsruhe

Allerdings hat die „richterliche Rechtsfortbildung“, wie der euphemistische juristische Ausdruck für das lautet, was Kritiker als politischen Aktivismus in der Richterrobe bezeichnen, mit dem Urteil einen wichtigen Etappensieg errungen. Die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch (AfD), die sich in einem Debattenbeitrag mit dem Koalitionsentwurf zur Neuregelung befasste, meinte, hinter der Entscheidung die Handschrift der 2010 vom Wahlausschuss bestätigten Höchstrichterin Susanne Baer zu erkennen.

Diese war zuvor unter anderem als „Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien“ an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin tätig und hatte in dieser Funktion dort das „GenderKompetenzZentrum“ gegründet. Eine mögliche Parteilichkeit war aus Sicht von SPD und Grünen offenbar nicht zu befürchten, was es aus ihrer Sicht rechtfertigte, Baer mit einer Aufgabe im bedeutendsten Gremium der Normenkontrolle zu betrauen.

Der Linksfraktion ging auch der Koalitionsentwurf nicht weit genug. Sie will das Personenstandsrecht dahingehend ändern, dass „alle Menschen ohne gravierende Hürden ihren Personenstand und/oder Vornamen frei wählen dürfen“ und dabei „selbstbestimmt zwischen ‚weiblich‘, ‚männlich‘ und einer in der Begrifflichkeit frei wählbaren Bezeichnung“ entscheiden können, die im Datenverkehr entsprechend der internationalen Regelungen mit „x“ übertragen würde.

Linke und Grüne nehmen Anstoß an Attestpflicht

Dies solle „nicht auf einen einmaligen Vorgang im Lauf des Lebens beschränkt“ bleiben. Eine solche Option würde theoretisch jedermann die Möglichkeit offenlassen, seine Geschlechtsidentität mit amtlicher Wirkung täglich neu zu definieren. Auch die gesetzliche Bezeichnung von Elternteilen solle „nicht weiter auf zwei Geschlechter begrenzt“ bleiben. Die Grünen unterstützten diesen Vorschlag.

Daran, dass im Zusammenhang mit einer Änderung der diesbezüglichen Personenstandserklärung weiterhin im Regelfall ist ein ärztliches Attest vorzulegen ist, um nachzuweisen, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt, nehmen allerdings auch Parlamentarier aus anderen Parteien Anstoß.

Der jetzige Schritt könne nur ein Anfang sein, verlangte Elisabeth Kaiser (SPD) weitere Schritte hin zur Umwandlung der Geschlechtszugehörigkeit von einer dauerhaften objektiven Tatsache in eine situative subjektive Empfindung. Mit ihrer Forderung nach einer Reform des Transsexuellengesetzes, die „an Selbstbestimmung und Selbstwahrnehmung des Menschen orientiert“ sein solle, stieß sie auf Zustimmung aus Linksfraktion und FDP. Bettina Margarethe Wiesmann (CDU) kündigte diesbezüglich eine größere Reform für 2019 an.

Auch Sven Lehmann (Grüne) meinte, niemand könne „über sein Geschlecht besser Auskunft geben als jeder Mensch selbst“. Marc Henrichmann (CDU) beharrt dagegen auf der Attestpflicht, ebenso wie Beatrix von Storch. Beide halten an objektiven Kriterien für die Geschlechterbestimmung fest. Von Storch forderte darüber hinaus ein ausführliches amtsärztliches Gutachten und hielt die Bezeichnung „inter“ als „divers“ für das dritte Geschlecht für angemessener.



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