„Ein nachhaltiges Regelungsregime für die Bekämpfung zukünftiger Epidemien“

Zwei Juristinnen und ein Jurist veröffentlichten einen Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz. Landesregierungen sollen hierin erneut Rechtsverordnungen erlassen können. Ein Anwalt kritisiert die Ausarbeitung als verfassungswidrig.
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Die Maskenpflicht ist ein Bestandteil des IfSG-Entwurfs, den drei Juristen erarbeitet haben.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 15. März 2023

Maskenpflicht, Quarantäne, Schulschließungen, Lockdowns und viele weitere Maßnahmen sieht ein Entwurf für ein neues Infektionsschutzgesetz (IfSG) vor, das drei Juristen nun veröffentlicht haben. Die Einschränkungen sind weitgehend aus den Zeiten der Corona-Pandemie bekannt. Neu ist allerdings, dass sie auch bei verschiedenen anderen Infektionskrankheiten wie etwa RSV zum Zuge kommen dürfen.

So heißt es bereits in der Einleitung der 208 Seiten langen Ausarbeitung: „Die während der Corona-Epidemie in das IfSG eingefügten Vorschriften sind ganz überwiegend auf den Erreger SARS-CoV-2 zugeschnitten; sie er­mächtigen ausdrücklich nur zur Eindämmung der Übertragung dieses Krankheitserregers. Ein nachhaltiges Regelungsregime für die Bekämpfung zukünftiger Epidemien durch unbekannte Erreger muss aber von diesem Er­reger sowie dessen virologischen Eigenheiten abstrahieren und Befugnisse bereitstellen, die die unterschiedlichen Übertragungswege von Erregern be­rücksichtigen.“

Autorin hat den Bundestag als Sachverständige in der Corona-Krise beraten

Verfasst haben den Entwurf Andrea Kießling, Johannes Gallon und Anna-Lena Hollo. Kießling ist Professorin für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Sozialrecht. Sie lehrt an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 2020 ist sie Herausgeberin eines Kommentars zum IfSG. Während der Pandemie lud sie der Bundestag bei Änderungen des Gesetzes regelmäßig als Sachverständige ein. Gallon ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Europarecht der Europa-Universität Flensburg. Anna-Lena Hollo ist Akademische Rätin und Habilitandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Gottfried Wilhelm Leibniz-Universität Hannover.

Die Autoren sprechen sich für eine Verschärfung des neuen Infektionsschutzgesetzes aus. „In einer Epidemie mit einem Durchfallerreger oder einem  über Hautkontakt übertragbaren Erreger wären die §§28a und 28b IfSG auch hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen und unabhängig von ihrer Befris­tung und ihrer tatbestandlichen Einschränkung auf die Eindämmung von SARS-CoV-2 – auch hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen nicht sinnvoll nutzbar“, schreiben sie weiter „Diese unbefriedigende Ausgangssituation“ haben sie daher zum Anlass genom­men, einen Regelungsentwurf auszuarbeiten, „der sich der geschilderten Pro­bleme annimmt und einen ersten Aufschlag für einen generellen Umgang mit Epidemien in der Bundesrepublik Deutschland darstellt“.

Ermächtigungsgrundlagen „neu gestalten“

Der Entwurf erhebe nicht den Anspruch eines vollständigen „Epidemiegesetzes“. Vielmehr liege das An­sinnen darin, im Schwerpunkt die derzeitigen Befugnisnormen der §§28a, 28b, 28c und 36 Abs.8 ff. IfSG aufzugreifen und die Ermächtigungsgrundla­gen – insbesondere auch aufgrund der Erfahrungen während der Corona-Pandemie – einschließlich dazugehöriger Regelungen zur Handlungsform, zur Zuständigkeit und zum Verfahren für die generelle Bekämpfung etwaiger zukünftiger Epidemien „neu zu gestalten“.

Das Gesetz soll die Landesregierungen „ausschließlich zum Erlass von Maßnahmen in Form von Rechtsverordnungen“ berechtigen. Diese dürften vier Wochen gültig sein, wobei Verlängerungen möglich sein sollen. Die Verordnungen seien „fortlaufend zu evaluieren und an das Infektionsgeschehen anzupassen“.

Massive Einschränkungen der Grundrechte

Die Grundrechte können dabei massiv eingeschränkt werden. Dies gilt wie bereits bei Corona für das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Freiheit der Person, die Versammlungsfreiheit oder die Freizügigkeit. Des Weiteren sieht der Entwurf Kontaktdatenerfassung, Testpflicht, Verpflichtung zum Tragen von Schutzkleidung, Reiseeinschränkungen bis hin zum Verbot sowie einiges mehr vor.

Die Landesregierungen sollen Personen, die nicht als immunisiert, getestet oder desinfiziert gelten, auf verschiedenen Wegen sanktionieren können. Dazu zählen Zutrittsverbote zu verschiedenen Einrichtungen, auch dem Arbeitsplatz müssen sie fernbleiben. Gaststättenbesuche sind ebenso untersagt wie der Einkauf in Geschäften oder der Besuch von Versammlungen.

Erfahrungen aus Corona-Pandemie berücksichtigen

Aus Sicht der Autoren ist eine „effektive Epidemieverhütung und -bekämpfung“ darauf angewiesen, dass der Staat „langfristig plant“. So setze die Pandemievorsorge noch vor der Epidemieverhütung ein. Sie beinhalte das Aufstellen von Pandemieplänen, wie es sie vor der Corona-Pandemie zum Beispiel mit dem Nationalen Pandemieplan für Influenza-Pandemien gegeben habe. Bei der Überarbeitung oder Neuerstellung von Plänen sollten die Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie berücksichtigt werden. „Es erscheint außerdem empfehlenswert, eine Verpflichtung zum Aufstellen von Pandemieplänen gesetzlich zu regeln“, so die Juristen weiter.

Impfpflicht empfohlen

Der Entwurf beinhaltet zwar nicht die Einführung einer Impfpflicht, doch empfehlen die Verfasser eine solche. Sie könne „bei entsprechender Ausgestal­tung ein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel zur Bekämpfung einer Epide­mie sein“.

Außen vor lassen die Autoren die seit langem geführten, kontroversen Diskussionen um die Wirksamkeit von Impfungen, den Nutzen von Masken als Schutz vor Viren oder andere Maßnahmen wie Lockdowns oder Schulschließungen. Ihren Entwurf verstehen sie als „ein Diskussionsangebot an die Öffentlichkeit, die Politik und die Wissenschaft zur Entwicklung eines Pande­mierechts für die Bekämpfung zukünftiger Epidemien und Pandemien“.

Twitter-Accounts nach massiver Kritik für Kommentare geschlossen

In der Öffentlichkeit scheint das Werk nicht gut angekommen zu sein. So schrieb Johannes Gallon auf seinem Twitter-Account zwar: „Wir freuen uns aus [sic!] Kritik, Diskussion und Gegenvorschläge.“ Stellungnahmen zu dem „Pandemierecht der Zukunft“, wie er es nennt, sind jedoch nicht möglich. Er hat seinen Account für Kommentare gesperrt – wie auch Andrea Kießling. Lediglich Anna-Lena Hollos Account ist weiterhin einsehbar. Ihre Freude über die Fertigstellung und Veröffentlichung des Entwurfs bei einem Verlag kommentierten Nutzer unter anderem mit „Angemessen wäre tiefe Scham und auswandern nach Nordkorea“.

Entwurf hebelt verfassungsmäßige Gewaltenteilung aus

Auch der Jurist Dr. Uwe Schmidt hat den Entwurf gelesen und ihn auf Twitter kommentiert. Dabei kommt er zu folgendem Schluss: „Er ist in den entscheidenden Punkten verfassungswidrig und hebelt die verfassungsmäßige Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive komplett aus – es ist ein gesundheitliches Ermächtigungsgesetz. In § 3 (1) Nr. 2 rekurriert er allein auf die WHO als epidemiefeststellende Instanz, was die Aufgabe staatlicher Souveränität bedeutet.“

WHO stellt gesundheitliche Notlage fest

In dem von Schmidt erwähnten Paragrafen heißt es im Wortlaut: „Im Sinne dieses Gesetzes ist eine drohende Epidemie ein örtlich begrenztes, gegebenenfalls auch an mehreren Orten auftretendes Infektionsgeschehen einer bedrohlichen übertragbaren Krankheit, das bei ungehinderter Weiterentwicklung mit hoher Wahrscheinlichkeit in eine Epidemie münden wird, oder ein In­fektionsgeschehen, für das die Weltgesundheitsorganisation eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite ausgerufen hat, und bei dem das Einschleppen des Krankheitserregers in die Bundesrepublik Deutschland zu besorgen ist oder für das Infektions­fälle im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bereits festgestellt worden sind.“

Insgesamt, so Schmidt weiter, werde auf Verordnungen statt auf Gesetze des Bundestags gesetzt. Dies erinnere an „die unselige Weimarer Reichsverfassung […] Man regierte von 1931 bis 1933 mit Notverordnungen.“



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