Eklat bei Apothekertag: Lauterbach stellt Pläne für Reform vor und wird ausgebuht
Bundesweit standen am 27. September zahlreiche Kunden von Apotheken zeitweise vor verschlossenen Türen. Denn viele Apotheken schlossen von 13 bis 16 Uhr, um die Rede der Vorsitzenden der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände und dem live zugeschalteten Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) auf dem Deutschen Apothekertag in Düsseldorf zu verfolgen.
Die Stimmung in der Kongresshalle war aufgeheizt und konfrontativ. Viele Apotheker hatten Trillerpfeifen mitgebracht. Im Saal trugen zudem viele Teilnehmer Warnwesten mit der Aufschrift „Apotheker unterstützen jetzt“, als Lauterbach zugeschaltet wurde. Denn die Apotheker sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Die Bundesvereinigung berichtete, dass in einer Umfrage 20 Prozent der befragten Apothekeninhaber erklärten, dass sie bereits betriebsbedingte Kündigungen planen.
Die Hauptforderung der Vereinigung ist daher eine Erhöhung des Apothekerhonorars in Form einer Erhöhung des Festzuschlags pro rezeptpflichtigem Arzneimittel. Dieser sollte – nach elf Jahren – „endlich“ von derzeit 8,35 Euro auf 12 Euro pro verordnetem Medikament erhöht werden. Das wären also 2,7 Milliarden Euro pro Jahr an Mehreinnahmen.
„Frankfurter Allgemeine“ veröffentlicht Lauterbachs Pläne direkt vor Tagung
Was die Stimmung auf dem Apothekertag ebenfalls trübte, war, dass tags zuvor die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die Pläne Lauterbachs zu einer Apothekenreform veröffentlichte – ohne dass diese Pläne zuvor in irgendeiner Weise den Apothekerverbänden bekannt gemacht wurden.
Die Vorsitzende der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Overwiening, forderte von Lauterbach daher eine Entschuldigung, denn sie habe erwartet, dass Lauterbach auf der Tagung die Pläne direkt den Apothekern als Erstes vorträgt.
Zudem zeigte sie sich enttäuscht darüber, dass der Bundesminister sein Versprechen, das er auf der letzten Apothekertagung gegeben hätte, nämlich dass er persönlich an der Tagung teilnimmt, nicht einhalte.
Als Lauterbach schließlich live zugeschaltet war, erklärte er, dass er gerne teilgenommen hätte, aber aufgrund zweier Sitzungen verhindert war. Mehrfach wurde er durch laute Zwischenrufe, Buh-Rufe und Trillerpfeifen-Konzerte unterbrochen.
In der Liveschaltung stellte er schließlich seine Pläne für das Apothekenwesen vor, die nach seinen Worten „ungeplant“ den Weg in die Öffentlichkeit fanden – in jenen tags zuvor erschienenen Presseartikel. Seine Zuhörer im Saal nahmen ihm das nicht ab, es gab laute Rufe der Empörung.
Lauterbach: Apotheken sollen für Impfungen stärker genutzt werden
„Ich habe mich zum Beispiel nie so eingelassen, dass wir in Deutschland zu viele Apotheken hätten. Das machen viele Politiker. Ich spreche auch nicht von einer notwendigen Marktbereinigung, sondern ich bedaure, dass die Zahl der Apotheken zurückgegangen ist“, versucht Lauterbach die Stimmung zu retten.
Er habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Apotheker stärker herangezogen werden sollten, zum Beispiel für Impfungen und für Vorbeugemedizin, und dass die Vorsorgemedizin in der Apotheke gestärkt werden solle. „Wir müssen aus der Qualifikation der Apotheker noch mehr herausholen. Sie werden derzeit nicht im vollen Umfang ihrer Qualifikationen entsprechend eingesetzt.“
Er kündigte neben der Strukturreform auch neue Gesetze in Bezug auf das Apothekerhonorar an. Auf Nachfragen wird er zum Honorar jedoch nicht konkreter – was die Stimmung nicht verbessert.
Nach der Strukturreform, so Lauterbach, könnten Hauptapotheken ein oder zwei neue Filial- und Zweigapotheken zusätzlich eröffnen. Auch dieser Plan wird lautstark von den Tagungsteilnehmern abgelehnt. Dort müsste kein Apotheker mehr vor Ort sein. Stattdessen könne die Beratung per Tele-Pharmazie aus der Mutterapotheke erfolgen, sagt der Minister. Laboreinrichtungen müssten dort nicht mehr vorhanden sein, Öffnungszeiten könnten flexibler gehandhabt werden. Doch betonte der Minister, dass das Mehrbesitzverbot, wonach Apotheker nicht beliebig viele Apotheken eröffnen können und Ketten verhindert werden sollen, weiterhin gelten solle.
„Die Bundesregierung vertritt nicht die Position, dass wir also zu viele Apotheken haben, dass der Markt sich konsolidieren müsste. Wir wollen nicht die Ausdehnung des Versandhandels, und wir wollen auch nicht an das Fremdbesitzverbot heran“, versucht Lauterbach die erregten Tagungsteilnehmer zu beruhigen.
Vorsitzende lädt Lauterbach zu sich in die Apotheke ein
Auch die ABDA-Vorsitzende Overwiening zeigt sich nach den Ausführungen Lauterbachs regelrecht brüskiert durch die Pläne und zeigt dem Minister das auch offen.
„Wenn man bei nächsten gemeinsamen Treffen darüber spricht, dass die Apotheken unterfinanziert wären, wären wir einen ersten Schritt weiter“, so Overwiening. „Wenn Sie tatsächlich die hoch qualifizierte Expertise von uns Apothekern wertschätzen, dann werden Sie zu der Einsicht kommen müssen, dass ihre Vorschläge wieder komplett vom Tisch müssen“, hält sie Lauterbach vor.
Die gesamte Arzneimittelversorgung sei hochbrisant und hochgefährlich. „Wer diese Vorschläge als gut, als zukunftsorientiert hier interpretiert, der hat tatsächlich vom Versorgungsalltag in den Apotheken keine Ahnung.“ Sie lädt den SPD-Politiker zu sich in ihre Apotheke ein. Lauterbach mag sich nicht festlegen, ob er die Einladung annimmt: „Schauen wir mal.“
„Ich glaube, Sie als Arzt müssten das wissen“
Was konkret der Kritikpunkt der Apotheker ist, verdeutlicht die Vorsitzende der Bundesapothekerkammer, Ursula Funke: „Ihr Konzept von Nebenfilialen ist ein Konzept von [Arznei] Abgabestellen. Sie machen für die Patienten eine Arzneimittelversorgung zweiter Klasse.“ Es gehe nicht darum, einem Patienten eine Packung zu geben. Es gehe darum, den Patienten zu beraten, ihn zu seiner Arzneimitteltherapie zu beraten. Arzneimittelmanagement und Interaktion seien gefragt. „Ich glaube, Sie als Arzt müssten das wissen, was der Apotheker leistet.“
Funke fragt sich, wie denn dem fieberkranken Kind der Fiebersaft gemacht werden soll, wenn keine Rezeptur hergestellt würde. „Das wird nicht funktionieren. Sie machen eine Verschlechterung der Versorgung und da stehen wir mit unserer Kompetenz nicht zur Verfügung.“
Apotheken können die Versorgungslücke in der Fertigarzneiversorgung in manchen Fällen schließen, indem sie auf eine ärztliche Verschreibung hin individuell hergestellte Arzneimittel, also Rezepturen, anfertigen. Häufig sind Rezepturherstellungen aber mit einem hohen Aufwand verknüpft und die gesetzlichen Vorschriften rund um die Abgabe von Rezepturen sind vielfältig.
Lauterbach stellt dies als Fortschritt dar, wenn in Filialen darauf verzichtet werden kann. Denn für Hauptapotheken ist die Rezepturherstellung vorgeschrieben. Die Apotheker sehen darin jedoch einen Rückschritt der qualitätsorientierten Versorgung.
Was den Apothekern zudem Sorgen bereitet, ist, dass in ihren Augen durch die Pläne Lauterbachs der Konkurrenzdruck steigt. Das verdeutlicht ein Tagungsteilnehmer in seiner Frage an den Minister.
Für den Apotheker ist fraglich, wie er neben seiner Apotheke, für die er noch einen sechsstelligen Kreditbetrag abzahlen muss, weitere Filialen aufmachen soll. Denn wenn jetzt die Anforderungen für die Eröffnung von Apothekennebenfilialen heruntergesetzt werden, sieht er sich mit zusätzlicher Konkurrenz konfrontiert. Wie soll er so die Mehrausgaben für Filialneugründungen gegenfinanzieren, fragt er.
„Lauterbach will Apothekensystem zerstören“
Laut Overwiening sei Lauterbach als erster Bundesgesundheitsminister, als SPD-Politiker, offenbar bereit, „das Apothekensystem, das unsere Bevölkerung seit Jahrzehnten sicher versorgt, gänzlich zu zerstören“.
Die Annahme des Ministers, dass seine Pläne zu mehr Filialgründungen insbesondere auf dem Land führen würden, sei an den Haaren herbeigezogen, sagte Overwiening.
Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigten, dass die von Lauterbach geplanten neuartigen Filialapotheken fast ausschließlich in stark frequentierten Lagen und in Stadtnähe gegründet würden. „Auf dem Land wird das Apothekensterben zunächst unbegrenzt weitergehen.“
Fast 18.000 Apotheken bundesweit
Bei dem diesjährigen Apothekertag am 27. September in Düsseldorf kamen mehr als 300 Delegierte der Branche aus allen Teilen Deutschlands zusammen. Die Stimmung in der Branche ist schlecht. Bei einer aktuellen repräsentativen ABDA-Umfrage gaben rund zwei Drittel (63,6 Prozent) der befragten Apothekenbetreiber an, sie befürchteten, dass sich die wirtschaftliche Lage ihrer eigenen Apotheke in den nächsten zwei bis drei Jahren verschlechtern werde. Für die Branche sahen sogar über 80 Prozent der Befragten düstere Zukunftsperspektiven.
Die Apothekerverbände fordern deshalb eine rasche Erhöhung der bereits genannten Apothekenvergütung. Zudem fordern sie für die Zukunft eine automatisierte Kopplung des Honorars an die Kostenentwicklung.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) ist ein Zusammenschluss von 17 Kammern und 17 Verbänden zur Interessenvertretung für die knapp 18.000 öffentlichen Apotheken und die fast 70.000 approbierten Apotheker. Insgesamt vertritt die ABDA rund 160.000 Apotheker. Laut dem Verband leide das Apothekenwesen unter akutem Nachwuchs- und Personalmangel sowie inflations- und tarifvertragsbedingte Kostensteigerungen. Auch die Internetapotheken setzen den wohnortnahen Apotheken zu. Allein im ersten Halbjahr 2023 mussten 238 Apotheken unwiderruflich schließen, sodass die Anzahl auf 17.830 Apotheken gesunken ist.
(Mit Material von dpa)
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