Energiewende oder Energiekrise: Erwachen bei der „religiösen Agenda“?

Der Sommer ist vorbei. Herbst und Winter stehen vor der Tür. Ist Deutschland auf dem Weg in die Energiewende oder in die Energiekrise?
Die erneuerbaren Energien tragen immer mehr zum Stromnetz in Deutschland bei. Besonders die Beiträge der Windkraft sind gestiegen.
Stillstand bei den Erneuerbaren (Symbolbild).Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 13. September 2022


Angesichts erneut abgeschalteter russischer Gaslieferungen – die nach Kreml-Angaben auch bis zum Ende der westlichen Sanktionen nicht wieder aufgenommen werden sollen – will Deutschland die Energiewende vorantreiben und eine neue Photovoltaik-Initiative ins Leben rufen. Mehr Solarstrom von Deutschlands Dächern soll die Energieversorgung im Winter besser gewährleisten.

Vor wenigen Monaten noch fast undenkbar, sollen auch Kohle- und wohl auch Atomstrom wieder übergangsweise zum Einsatz kommen, um das Land zu beleuchten und zu beheizen. Für die neue Solar-Initiative wollen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) unter anderem bürokratische und steuerliche Hindernisse abbauen.

Zudem wurde vor wenigen Tagen in einem „Stresstest“-Papier der vier großen Netzbetreiber in Deutschland, Tennet, TransnetBW, Amprion und 50Hertz Transmission, die Frage nach der Versorgungs- und Netzsicherheit für den kommenden Winter untersucht. In der Sonderanalyse beschäftigten sich die vom Habeck-Ministerium beauftragten regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber mit drei ansteigend kritischen Szenarien (+, ++, +++).

Winter-Stresstest rät dringend zu Kohle, Gas und AKW

Das Ergebnis: „In allen drei betrachteten Szenarien zeigt sich die Versorgungssituation im kommenden Winterhalbjahr äußerst angespannt – in Europa kann im Strommarkt die Last nicht vollständig gedeckt werden.“ Dabei seien in den beiden kritischeren Szenarien (++, +++) Lastunterdeckungen von einigen Stunden auch in Deutschland aufgetreten. Im Szenario ++ wurden Lastunterdeckungen in Deutschland noch durch den Streckbetrieb der Atomkraftwerke weitestgehend vermieden.

Um Netzengpässe zu managen, reichten jedoch die inländischen Redispatch-Potenziale in keinem der drei Szenarien aus. „Es wird mindestens 5,8 GW gesichertes Potenzial im Ausland benötigt“, heißt es dazu. Allerdings sei die tatsächliche Verfügbarkeit dieser Mengen aufgrund der in ganz Europa angespannten Versorgungslage unsicher. Die vom Ausland benötigten Potenziale konnten durch den Streckbetrieb der Kernkraftwerke im Szenario ++ theoretisch auf 4,6 GW gesenkt werden, wurden aber weiterhin als kritisch betrachtet.

Obwohl die drei noch verbliebenen und in Richtung Abschaltung zum 31. Dezember laufenden Atomkraftwerke Emsland, Isar und Neckarwestheim im Streckbetrieb zusätzlich ca. 5 TWh elektrische Energie liefern könnten, kommt man zum Schluss: „In Deutschland sind weitere Maßnahmen zum erzeugungs- und lastseitigen Engpassmanagement und zur Erhöhung der Transportkapazitäten im Übertragungsnetz erforderlich.“

Man rät daher dringend zur Nutzung aller Möglichkeiten zur Erhöhung der Stromerzeugungs- und Transportkapazitäten, unter anderem auch die „Marktrückkehr der Kohlekraftwerke“, die Sicherstellung der Gasversorgung aller in einer Stresssituation notwendigen Gaskraftwerke und erklärt, dass die Verfügbarkeit der AKW ein weiterer Baustein zur Beherrschung kritischer Situationen sei.

„Religiöse Agenda“: Selbstgeißelung mit Erneuerbaren

Kürzlich sprach das amerikanische „Wall Street Journal“ mit dem US-Umweltaktivisten und Leiter des kalifornischen Umweltforschungszentrums „Breakthrough Institute“, Michael Shellenberger. Dabei erklärte der Bestseller-Autor (u.a. „Apokalypse – niemals!: Warum uns der Klima-Alarmismus krank macht“): „Wir befinden uns in der schlimmsten Energiekrise seit 50 Jahren“, und dass im Westen und Mittleren Westen der USA Stromknappheit drohe – weil man sich zu sehr auf wetterabhängige erneuerbare Energien verlassen habe. Auch Deutschland habe „zu viele erneuerbare Energien; sein Strom ist jetzt der teuerste in Europa“. Hinzu käme die Abhängigkeit von russischem Erdgas, weil Deutschland dieses gebraucht habe, „um die wetterabhängigen erneuerbaren Energien auszugleichen”.

Den Leuten da draußen, die „das Ende der Welt durch den Klimawandel beschreien“, unterstellt Shellenberger gar, „eine religiöse Agenda“ zu verfolgen. Dies habe mit historischer Schuld und Angst vor der Apokalypse zu tun und mit Selbstgeißelung: „Sie wollen etwas ganz anderes als das, was tatsächlich erforderlich ist, um die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren.“

Pellworm-Modell: Energiewende in Miniatur?

Schaut man in Deutschland auf die Insel Pellworm, dann könnte man aus Sicht der Energiewende sagen: Alles richtig gemacht! Solarpark, Windkraft und Biogasanlagen laufen hier seit langem schon und die Insel produziert mittlerweile siebenmal mehr Strom, als sie selbst braucht, berichtete der „Spiegel“. Dennoch ist Pellworm nicht unabhängig. Fünf Prozent der Stromversorgung kommen vom Festland.

Einem Bericht der Seite „Blackout-News“ nach gibt es auf Pellworm ein Speicherproblem für die überschüssige Energie – und kein Geld, um dieses zu lösen. Zuletzt sei das Problem 2012 im Rahmen eines Forschungsprojektes angegangen worden. Container mit Lithium-Ionen-Batterien und eine Flüssigbatterie wurden installiert, um als Kurz- und Langzeitspeicher die Insel zu versorgen. Nach fünf Jahren lief das Projekt aus. Alles sei wieder abgebaut worden, weil ein dauerhafter Betrieb nicht finanzierbar gewesen sei.

Eine Kombination von Problemen ist auch möglich. Gewissermaßen hungern dann die Pellwormer vor dem vollen Kühlschrank. Bei sehr starkem Wind und viel Sonne werden die Anlagen heruntergefahren, weil die Übertragungskapazität des Verbindungskabels zum Festland nicht ausreiche, um den Strom dorthin zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt müssen die Pellwormer beispielsweise fossilen Strom vom Festland beziehen. Dadurch gingen rund 25 Prozent der möglichen Stromerzeugung verloren.

Was also, wenn Pellworms Speicherproblem in Miniatur zeigt, wie es im Großen wohl auch aussehen könnte, ginge man den einseitigen Weg der erneuerbaren Energien in Deutschland weiter?

Wind und Sonne – für alle unkontrollierbar

Hinzu kämen aber noch die Probleme der Unzuverlässigkeit von Wind und Sonne, wie Shellenberger es anmerkte. Denn das ist die andere Seite der Unabhängigkeit von russischem Gas und Öl. Wenn Putin die Energie aus Wind und Sonne nicht abschalten kann, dann können auch Deutschlands Grüne sie nicht auf Knopfdruck anschalten – Probleme, die nicht erst seit dem Ukrainekrieg bekannt sind.

Was hilft also Robert Habecks Solar-Offensive, wenn es im Winter zu wenig und nachts keinen Strom aus dieser Quelle gibt, dafür aber im Sommer Unmengen an eingespeistem Solarstrom die Stromnetze überlasten?

Heimspeicher zur Rettung der Energiewende?

Schon im Januar hatte der Berliner Professor für Regenerative Energiesysteme, Volker Quaschning, erklärt, dass das unkontrollierte Einspeisen aus den Kleinanlagen mittelfristig „weder der Allgemeinheit, also dem Klimaschutz und den Betreibern der Stromnetze, noch dem Geldbeutel der Hausbesitzer“ helfe. Quaschnings Tipp an Robert Habeck ginge daher eher in Richtung Förderung der Heimspeicher, schrieb die „Wirtschaftswoche“.

Das würde laut Quaschning nicht nur Anreize für die Menschen setzen, den erzeugten Strom selbst zu verbrauchen, sondern auch die Netze entlasten und die Netzausbaukosten für die Energiewende dämpfen.

Subventionierte Speicher und schlechte Netzinfrastruktur erinnern an Pellworms Energiewende. – Und Solaranlagen zu installieren, reicht nicht aus, um Strom zu sparen. Erfahrungwerte der Vergangenheit zeigen, dass dadurch im Regelfall der Stromverbrauch sogar steigt.

„Vision der Energiefülle“ gegen „Putins Würgegriff“

Von der anderen Seite des großen Teiches her hatte Shellenberger einen noch viel weitreichenderen Vorschlag zu machen, wie sich der Westen gegen „Putins Würgegriff“ bei Öl und Gas erwehren könne, der schon den ganzen Weltmarkt betreffe: „Die Vereinigten Staaten sind in der einzigartigen Lage, unseren asiatischen und europäischen Verbündeten Öl und Gas zu liefern, Öl und Gas zu exportieren. Wir sollten das viel mehr tun.“

Amerika sollte laut Shellenberger seine Kernenergie ausbauen, um das Gas für die Stromerzeugung zu ersetzen und einen Großteil des Gases nach Europa und Asien exportieren. – Damit die Länder dort überleben könnten. Shellenberger nannte dies eine „Vision der Energiefülle“ und darin sei auch eine Lösung zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu sehen. Eine Lösung?



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