Ernährung aller Menschen ohne Pestizide möglich
Der Oberbegriff „Pflanzenschutzmittel“ klingt harmlos und gewisse Mengen an Pestiziden auf Nahrungsmitteln werden behördlich tatsächlich als „unbedenklich“ eingestuft. Aber auf das Konto von Pestiziden gehen Bienensterben, Rückgang der Vogelpopulation auf dem Land von bis zu 88 Prozent und nach neuen Erkenntnissen mehr belastete Gewässer, als bisher angenommen. Gesundheitliche Schäden beim Menschen wie Allergien und Störungen der Immunabwehr, Krebs, Entwicklungsstörungen und Einwirkungen auf hormonelle Vorgänge, die den gesamten Körper aus dem Gleichgewicht bringen können, werden Pestiziden zugeschrieben. Geht es nicht ohne Gift (und ohne Gen-Veränderung) auf Feldern und im Essen? Es geht doch ohne. Bio-Landwirte machen es täglich vor. The Epoch Times fragte den Bioland-Sprecher Gerald Wehde, ob und wie eine Ernährung aller Menschen ohne Anwendung von Pestiziden möglich ist.
Epoch Times: Wie schaffen es Biobauern, ohne Pestizide auszukommen?
Gerald Wehde: Wir wenden im Biolandbau eine vielfältigere Fruchtfolge1) an. Im konventionellen Landbau gibt es ja eine sehr enge Fruchtfolge: Weizen, Raps. Dadurch haben sie einen viel höheren Schädlingsdruck. Eine erweiterte Fruchtfolge wirkt dagegen präventiv.
Was das Unkraut angeht, arbeiten wir mit mechanischen Methoden. Statt Herbizide einzusetzen, die Unkräuter – oder man sagt auch Beikräuter – dann abtöten, fahren wir mit dem Hackstriegel 2) durchs Getreide und halten so die Konkurrenz fürs Getreide im Zaum. Dadurch wächst natürlich viel mehr Vielfalt auf dem Acker. Gerade, weil da nicht nur die Kultur steht, sondern auch Beikräuter, gibt es eine größere Nahrungsgrundlage für Insekten und Vögel.
Vielfalt auf dem Acker bringt Nützlinge
Epoch Times: Bioland betont ja sogar, dass im Biolandbau neunmal mehr Beikraut-Arten leben. Ist das nicht das, was die anderen Bauern gezielt mit Pestiziden bekämpfen? Warum ist im Biolandbau erwünscht, was im konventionellen Anbau bekämpft wird?
Wehde: Weil es Teil des Systems ist. Ich will ja auf dem Acker ein biologisches Gleichgewicht haben. An der Vielfalt, auch der Beikräuter, hängen ja bestimmte Nützlinge. Um Nützlinge zu fördern, die mir die Schädlinge eindämmen, ist es gut, Vielfalt auf dem Acker zu haben. Auch wenn ich Strukturen wie Hecken anlege, wo die Nützlinge einwandern und sich halten können. Wenn ein Schädling sich dann ausbreitet, reguliert sich das in dem System von selbst. Wenn ich aber Monokultur habe und Insektizide einsetze, die alle Insekten abtöten, dann habe ich auch keine Nützlinge, die mir Probleme vom Leib halten. Das Grundprinzip ist, mit der Natur zu arbeiten, statt alles platt zu machen und gegen sie zu arbeiten.
Epoch Times: Wäre eine Ernährung aller Menschen ohne Einsatz von Pestiziden möglich?
Wehde: Es ist weltweit möglich. Es gibt eine Studie von 400 Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema Welternährung intensiv auseinandergesetzt haben. Und die haben gesagt, dass der biologische Landbau und die regional angepassten ökologischer Systeme der Weg sind, um die Welt zu ernähren.
Wenn wir von Deutschland reden, dann müssen wir ganz ehrlich sagen, dass wir im Biolandbau nur 80 Prozent des konventionellen Niveaus produzieren. Aber wir haben in den Industrieländern ja einen sehr hohen Fleischkonsum und darin steckt sehr viel Energie: Man braucht sieben Kalorien, um eine Kalorie Fleisch zu machen. Wenn wir das runterfahren und uns so ernähren würden, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, nämlich nur noch halb so viel Fleisch, könnten wir die Fläche für den Biolandbau komplett umstellen und hätten sogar noch Fläche übrig für Naturschutz und andere Dinge. Das ist möglich, wäre aber mit einer Änderung des Konsummusters verknüpft.
Gesunde Ernährung wäre günstiger
Epoch Times: Wäre eine durchweg Pestizid-freie Ernährung, beziehungsweise eine Ernähung mit Biolandbau auch für die Ärmsten bezahlbar?
Wehde: Das ist immer bezahlbar. Denn wenn man die ganzen Folgekosten, wie für den Gewässerschutz, auf den Produktpreis umlegen würde, dann wäre der Biolandbau günstiger.
Die Frage ist auch, wie ich mich ernähre. Es ist so, dass gerade die, die wenig Geld haben, sich überproportional schlechter ernähren: Viel Fastfood – was auch viel Geld kostet – und viel Fleisch. Das ist belegt durch nationale Verzehrstudien. Auch dass jene, die häufig „Bio“ kaufen, sich auch gesünder ernähren: also mehr Obst und Gemüse essen und weniger Fleisch. Dadurch wird die Ernährung ja wieder billiger. Das ist gut für die Umwelt, gut für sich selbst und gut für die Tiere.
Epoch Times: Nun sehen die Regelsätze für die Ernährung der Ärmsten keine Bio-Waren vor, weshalb ein grundlegender Wandel zur Pestizid-freien Ernährung kaum „von unten“ ausgehen kann. Wie könnte man eine Pestizid-freie Ernährung Schritt für Schritt „von oben“ umsetzen?
Lenkungsmöglichkeiten in der Politik
Wehde: Es gibt Politikinstrumente. Da gibt es den großen Block der Agrarsubventionen. Gerade geht es bezüglich der Agrarreform 2014 in die heiße Phase. Dort geht es um 60 Milliarden Euro pro Jahr an europäische Landwirte. Wenn man sagen würde: das kriegen nur die Bauern, die ohne Pestizide wirtschaften – das ist unrealistisch, aber hypothetisch gesprochen – hätte das eine enorme Lenkungsfunktion.
Außerdem plädieren wir sowohl bei Pestiziden als auch bei Stickstoff- und Mineraldünger für Abgaben. Dadurch werden diese Mittel teurer, das ist der Lenkungseffekt, und durch das eingenommene Geld hat der Staat Mittel für sinnvolle Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung.
Als weiteres Instrument hat die Politik die Zulassung. Die besonders gefährlichen Wirkstoffgruppen (Neonikotinoide) – die auch in anderen Ländern nach und nach verboten werden – müsste man auch in Deutschland verbieten. Genauso das Problem mit den Totalherbiziden. Glyphosat wurde im Urin der Bevölkerung nachgewiesen. Die Leute wollen keine Pestizide essen und sie wollen sie auch nicht im Körper haben.
Epoch Times: Wenn durch die Klimaerwärmung manche Schädlinge besser überleben, kommen wir dennoch ohne Pestizide aus?
Wehde: Natürlich. Es stimmt zwar, dass sich mit der Klimaerwärmung biologische Gleichgewichte verschieben und dass dann vielleicht auch irgendwelche Schädlinge einwandern. Vielleicht verschwinden dadurch auch andere. Die Natur verändert sich ständig. Wenn ich in einem biologischen System arbeite mit Nützlingen und Schädlingen und das ganze nicht mit Monokultur überspanne, dann bekomme ich das auch mit Einwanderern in den Griff. Ich glaube, es liegt daran, welches Naturverständnis man hat und wie wir Lebensmittel in genau dieser Natur produzieren.
Leguminosen: Futter, Dünger, Unkrautunterdrücker in einem
Epoch Times: Womit wird im Biolandbau das Vieh gefüttert?
Wehde: Für die Viehfütterung setzen wir auf Kleegras, Luzerne … die eben angesprochnen Leguminosen, die ich auch mehrjährig anbaue und mit denen ich eine gute Unkrautunterdrückung habe. Die holen mir den Stickstoff (Dünger) und ich habe ein super Futter für Kühe und Schafe.
EEG lenkt die Landwirtschaft
Epoch Times: Das klingt sehr vernünftig. Warum machen andere Landwirte nicht so einen intelligente Fruchtfolge, sondern bauen – wenn man sie lässt – nur Mais an?
Wehde: Das ist eine rein ökonomische Frage. Ich sage Ihnen mal eine Zahl: wenn ich Mais für Biogas anbaue, bekomme ich über das Energie Einspeisegesetzt (EEG) 2.000 Euro Förderung pro Hektar. Die Ökoprämie, die wir Ökolandbauern in Deutschland im Durchschnitt bekommen für Wasserschutz, Klimaschutz, Biodiversität und so weiter, liegt bei 160 Euro pro Hektar. Wenn Sie diese Zahlen angucken, dann wissen Sie, warum es einen gewissen Boom für Maisanbau gibt. Und die Planungssicherheit für Biogas ist sicherer als für Biolandbau: ich habe 20 Jahre Sicherheit durch EEG für Biogas. Wenn ich heute als Biobauer in einen Stall investiere, der artgerechten Kriterien entspricht, ist das sehr teuer und ich habe ein höheres Risiko. Die Marktpreise für Bio-Lebensmittel kann mir keiner vorhersagen, auch die Förderung der Länder ist da eher ein Rein-Raus. Das EEG ist derzeit das Gesetz mit der größten Lenkungswirkung in der Landwirtschaft.
Epoch Times: Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Heike Soleinsky.
1) Fruchtfolge: Wechsel der angebauten Nutzpflanzenarten; im Gegensatz zu Monokultur, wo immer wieder nur eine Art angebaut wird.
2) Hackstriegel: der Egge ähnliches Gerät
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