Essen: Meldeformular für Corona-Verstöße erhitzt Gemüter – Kubicki kritisiert „Denunziationsportal“

Hohe Wellen schlägt ein Formular der Stadt Essen, das Bürgern die Möglichkeit gibt, online Hinweise auf mutmaßliche Verstöße gegen die Corona-Regeln einzureichen. FDP-Politiker Wolfgang Kubicki spricht von „chinesischen Verhältnissen“ und fordert die Löschung.
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Wolfgang Kubicki.Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP/Getty Images
Von 16. Oktober 2020

Ein Online-Formular des Ordnungsamtes der Stadt Essen hat heftige Debatten ausgelöst, im Zuge derer sich der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Kubicki, zu Wort gemeldet hat. Im Detail geht es um ein Formular, das nach wie vor auf dem offiziellen Portal der Stadt zu finden ist und das die Überschrift „Melden eines Verstoßes gegen die Coronaschutz-Verordnung (Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2)“ trägt.

Das mit einem Datenschutzhinweis zugunsten des jeweiligen Anzeigenerstatters versehene Formular ermöglicht es diesem, Ort des Verstoßes, Datum und Uhrzeit der Feststellung und die Art des Verstoßes zu übermitteln. Zudem haben Nutzer des Formulars die Möglichkeit, bei Bedarf eine nähere Beschreibung des gemeldeten Verstoßes vorzunehmen und fotografische Beweismittel hochzuladen. Optional ist es dem Anzeiger möglich, seine Kontaktdaten zu hinterlassen.

Kubicki kritisiert „Denunziationsportal“

Kubicki schrieb auf Facebook von „chinesischen Verhältnissen“ und einem „Denunziationsportal“, das „mit Sicherheit rechtswidrig“ sei und „sofort gelöscht“ werden sollte.

In dem mit seinem Kürzel unterzeichneten Beitrag heißt es: „Die Tatsache, dass Bürgerinnen und Bürger jetzt im amtlichen Auftrag zu Denunzianten gemacht werden und Fotos aus dem öffentlichen Raum hochladen sollen, erinnert an schlimmste Zeiten. Damit schiebt man Angst und Misstrauen in unsere Gesellschaft. Fehlt nur noch, dass die Abschnittsbevollmächtigten prozentual am Bußgeld beteiligt werden.“

Formular wird im Schnitt fünf Mal pro Tag genutzt

Wie die „Zeit“ berichtet, soll es das Portal bereits seit Mai geben. Eine Sprecherin der Stadt führt aus, dass etwa fünf Mal am Tag Bürger die Online-Möglichkeit nutzen, um Hinweise bei der Behörde zu deponieren. Dazu komme eine in etwa ähnlich hohe Anzahl an Meldungen via Mail, Telefon oder Post. Man habe das Formular zwar zu keiner Zeit proaktiv beworben, dennoch habe man eine solche Möglichkeit bieten wollen, um ein „größeres Infektionsgeschehen“ zu vermeiden.

Das Formular dient, so heißt es gegenüber n-tv, der „Kanalisierung von Informationen, die das Ordnungsamt sonst telefonisch oder per E-Mail erhält“. Die meisten Hinweise bezögen sich auf „fehlende Markierungen für Warteschlangen oder andere nicht eingehaltene Regeln im Umgang mit dem Coronavirus“.

Essens Stadtdirektor kritisiert Kubicki-Post

Der Stadtdirektor von Essen, Peter Renzel, antwortet in einem längeren Beitrag auf Facebook und weist darin den Vorwurf zurück, Bürger zur Denunziation animieren zu wollen.

„Die Diskussion wegen unserer Arbeitshilfe, die die Meldungen der Bürger kanalisieren sollte, erfüllt mich mit großer Sorge“, schreibt er. „Uns wird der Aufruf zum Denunziantentum unterstellt. Und viele stimmen mit ein. Und das in einer Art und Weise, die mich nachdenklich, aber auch wütend macht.“

Der Vorwurf „chinesischer Verhältnisse“ von seiten Kubickis sei „völlig unter der Gürtellinie“ und „seinem Amt […] wahrlich nicht angemessen“. An die Adresse des FDP-Politikers schreibt Renzel: „Ich finde Ihren Post mehr als daneben. Sie sollten ihn löschen und sich entschuldigen. Oder vielleicht mal den Dialog mit den Repräsentanten der Stadt Essen suchen.“

Ein Ansinnen, das Kubicki der „Zeit“ zufolge am Mittwoch zurückwies. Er warf der Behörde vor, es mit Recht und Gesetz nicht ausreichend genau zu nehmen. Insbesondere die Option zum Hochladen von Fotos sei „evident rechtswidrig“.

Meldung von Corona-Verstößen kann „hilfreich sein, um Frust abzubauen“

In derselben Publikation wurde ein Streitgespräch zwischen den Redakteuren Hannes Leitlein und Christian Vooren abgedruckt, das die Online-Meldemöglichkeit mutmaßlicher Corona-Verstöße zum Gegenstand hatte.

Leitlein bekannte sich gleich eingangs dazu, selbst bei Bedarf Ordnungsamt oder Polizei über Falschparker zu informieren. Zweifel am Rechtsstaat seien nicht angebracht, dieser würde angemessen mit den Informationen umgehen.

„So ein Formular kann hilfreich sein, um den Frust derer abzubauen, die vergeblich versucht haben, Leute an die Regeln zu erinnern“, erläutert Leitlein weiter. Zudem würde ein solches Formular Eskalationen vorbeugen können:

„Wie oft fahre ich mit der S-Bahn, bitte Leute, ihre Maske über die Nase zu ziehen, und werde dafür nur blöd angemacht. Immerhin kann ich diese Wut dann via Formular in rechtsstaatliche Bahnen lenken. Ich denke, das könnte in den kommenden Monaten noch die ein oder andere Schlägerei verhindern.“

Bayern im März: „Kinder auf Spielplätzen gemeldet“

Vooren hingegen nennt das Formular einen „Ansporn, meinen Nachbarn oder den Nebenmann in der Bahn heimlich zu fotografieren und anzukreiden, wenn ich will, sogar anonym“. Auf diese Weise werde „ein gesellschaftliches Miteinander geschaffen, das mir Angst macht“.

Dass es für Portale dieser Art eine Nachfrage gibt, bestätigte nicht nur die von der „Zeit“ im Zusammenhang mit dem Formular in Essen befragte Sprecherin. Bereits im März berichtete BR24, dass die Bürger Münchens in der damaligen Zeit des Lockdowns „eifrig Verstöße gegen Corona-Regeln“ gemeldet hätten. Die damals eingegangenen Meldungen, von denen „ein Großteil […] zu Anzeigen“ geführt hätte, betrafen vor allem, „Grüppchen-Bildung, Kinder auf Spielplätzen oder Feiern“.




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