EU plant weitreichende Eingriffe in nationale Strafverfolgung

Die EU-Kommission plant einen weitreichenden Eingriff in die nationale Strafverfolgung. Die „Freien Wähler“ im Bayerischen Landtag sehen darin eine Missachtung der deutschen Rechtstraditionen, die zudem nicht mit deutschem Recht und den Europäischen Verträgen zur Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten vereinbar ist.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, setzt sich für eine klimaneutrale Industrie ein.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission (Symbolbild).Foto: Virginia Mayo/AP
Von 4. Juni 2023

Die EU-Kommission möchte ins nationale Strafrecht der EU-Mitgliedstaaten eingreifen, um eine Mehrfachverfolgung und Doppelbestrafung von Straftätern oder Straflosigkeit mit europäischem Haftbefehl in grenzüberschreitenden Kriminalitätsfeldern zu verhindern. Dazu will sie bei bestimmten Straftaten beeinflussen, wo, wer und ob überhaupt jemand strafrechtlich verfolgt wird.

In diesem EU-Plan zur Übertragung von nationalen Strafsachen sieht die Fraktion der „Freien Wähler“ im Bayerischen Landtag jedoch ein ernstes Problem mit der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeit. Sie sieht darin eine Missachtung der deutschen Rechtstraditionen, die zudem nicht mit deutschem Recht und den Europäischen Verträgen zur Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten vereinbar ist.

Das Prinzip der Subsidiarität bezeichnet in diesem Fall, dass EU Maßnahmen nur dann auf EU-Ebene zu treffen sind, wenn sie wirksamer als Maßnahmen einzelner EU-Länder auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene sind.

„Vorschlag verstößt gegen Legalitätsprinzip“

Für die „Freien Wähler“ würde der Vorschlag der EU-Kommission in seiner jetzigen Form zudem gegen das Legalitätsprinzip in Deutschland verstoßen, also die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bei dem Anfangsverdacht einer Straftat ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen.

„Denn im EU-Kommissions-Vorschlag sind europarechtliche Einstellungs- und Aussetzungsregelungen verankert.“ Sie verstoßen in den Augen der „Freien Wähler“ gegen grundsätzliche Regelungen der Zusammenarbeit zwischen Brüssel und den EU-Mitgliedstaaten. So schreibe Art. 82 Abs. 2 der Regelungen zur Arbeitsweise der Europäischen Union vor, dass die Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten respektiert werden müssten, kritisieren die „Freien Wähler“.

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist neben dem Vertrag über die Europäische Union einer der Gründungsverträge der Europäischen Union. Zusammen bilden sie die primärrechtliche Grundlage des politischen Systems der EU.

„Der EU-Kommission stehen keine Kompetenzen zu“

Darüber hinaus sieht der Verordnungsvorschlag der EU-Kommission Einstellungs- oder Aussetzungsmöglichkeiten für Strafverfahren vor, wenn ein Ersuchen um Übertragung eines Strafverfahrens gestellt werden soll. Zudem enthalte der Verordnungsvorschlag neue Regelungen zur Verjährungsunterbrechung und zur Verwertbarkeit von Beweismitteln für den Fall der Übernahme des Strafverfahrens durch den von der EU ausgewählten Staat. „Solche tiefen Eingriffe in nationale Regelungen des Strafverfolgungsrechts sind in den EU-Regelungen zur Zusammenarbeit nicht vorgesehen“, heißt es im Antrag der „Freien Wähler“ weiter.

Im Übrigen böten die EU-Regelungen zur Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten keine Grundlage für den Erlass einer Verordnung. „Denn eine weitgehende Harmonisierung des Strafanwendungs- und des Strafverfahrensrechts darf nicht erzwungen werden, so wie es der Vorschlag der EU-Kommission jedoch bezweckt.“ Erlaubt wäre lediglich die Erlassung von Mindestvorschriften, soweit diese zur Erleichterung der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen mit grenzüberschreitender Dimension erforderlich wären, prangert die Fraktion an. „Daher stehen in diesem Bereich der Europäischen Kommission keine Kompetenzen zu.“

„Schleuserkriminalität, Menschenhandel, Umweltkriminalität“

Hintergrund: Mit der Zunahme der grenzüberschreitenden Kriminalität begründet die EU-Kommission tiefgehende Eingriffe in die nationale Strafordnung, denn „immer häufiger“ sehe sich die Strafjustiz in der EU mit Situationen konfrontiert, in denen mehrere Mitgliedstaaten für die Verfolgung ein und desselben Falls zuständig seien.

Dies gelte insbesondere für Straftaten, die von organisierten kriminellen Gruppen begangen würden, begründet die EU-Kommission. Als Beispiele werden Drogenhandel, Schleuserkriminalität, Menschenhandel, Umweltkriminalität, Cyberkriminalität oder Geldwäsche aufgezählt.

„Ihre mehrfache Verfolgung stellt nicht nur eine Herausforderung für die Koordinierung und Wirksamkeit der Strafverfolgung dar, sondern kann auch den Rechten und Interessen des Einzelnen abträglich sein (Einschränkung der Freizügigkeit für den Betroffenen) und zu Doppelarbeit führen“, heißt es weiter.

Die EU-Kommission will solche nachteiligen Auswirkungen vermeiden und dafür sorgen, dass das Strafverfahren in dem Mitgliedstaat durchgeführt wird, der dafür am besten geeignet ist. Dabei kann es eine Rolle spielen, in welchem Staat die meisten Opfer der Straftat leben, ob im Hoheitsgebiet des ersuchten Staates die Straftat begangen wurde, oder in welchem Staat der Großteil der Auswirkungen oder des verursachten Schadens eingetreten ist.

Auch welche Staatsangehörigkeit die verdächtige oder beschuldigte Person oder wo sie ihren Wohnsitz hat, kann dabei eine Rolle spielen. Und schließlich kann als weiteres Kriterium auch herangezogen werden, ob die verdächtige oder beschuldigte Person sich im ersuchten Staat aufhält, und dieser Staat die Übergabe dieser Person verweigert. Die neuen Regelungen sollen helfen, Konflikte zu umgehen, zum Beispiel mit den EU-Rahmenbeschlüssen, dem Vertrag über die Europäische Union sowie den in der EU-Charta verankerten einschlägigen Grundrechten der Bürger in den EU-Mitgliedstaaten.

„EU schafft sich eigene gerichtliche Zuständigkeiten“

Die geplanten Regelungen der EU-Kommission zur Schaffung eines gemeinsamen Rechtsrahmens und eines angeglichenen Strafrechtssystems in den EU-Mitgliedstaaten, die Unterschiede in den nationalen Strafrechtssystemen der Mitgliedstaaten auflösen will, gehen den „Freien Wählern“ zu weit.

„Die geplante Regelungen zur gerichtlichen Zuständigkeit und zum Strafanwendungsrecht greifen in die nationalen Rechtsordnungen ein und schaffen an den nationalen Gesetzgebern vorbei eigene gerichtliche Zuständigkeiten“, kritisieren sie.

Die „Freien Wähler“ fordern daher, dass der bayerische Landtag die bayerische Staatsregierung (an der sie zusammen mit der CSU beteiligt ist) auffordert, bei den Beratungen des Bundesrates auf die Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken hinzuweisen. Und darauf hinzuwirken, dass diese Bedenken Eingang in den Beschluss des Bundesrates finden.

Die EU-Kommission will laut ihres Antrags auch Einfluss nehmen „insbesondere in Bezug auf die Frage, ob die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaates die Möglichkeit haben, von einer Strafverfolgung abzusehen, oder ob sie verpflichtet sind, jede in ihre Zuständigkeit fallende Straftat zu verfolgen“. Sie beklagt eine Ineffizienz der Strafverfolgung, den sie mit der geplanten Regelung ausgleichen will. Denn eine Übertragung von Strafverfahren würde „nicht immer erfolgen, wenn dies im Interesse der Gerechtigkeit wäre“, argumentiert sie.

Der Vorschlag der EU-Kommission geht nun zur Abstimmung in das EU-Parlament und den EU-Rat.



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