Experte fordert: Patienten sollen künftig die ersten 800 Euro für Arztbesuche selbst tragen

Die gesetzlichen Krankenkassen erwarten ein Milliarden-Defizit im kommenden Jahr. Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen schlägt daher vor, dass Kassenpatienten die ersten 800 Euro für Arztbesuche selbst bezahlen. Er erwartet ansonsten Beitragssätze, die es in sich haben.
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Prof. Raffelhüschen fordert eine größere Selbstbeteiligung der Krankenversicherten.Foto: Screenshot/Youtube
Von 21. Juni 2023


Die gesetzlichen Krankenkassen erwarten für das kommende Jahr schon jetzt ein Defizit in Milliardenhöhe. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stimmte die Versicherten daher gerade erst darauf ein, dass sie mit leichten Beitragserhöhungen rechnen müssen. Leistungskürzungen lehnt der Minister aber ab.

Gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) sagte Lauterbach, dass es Finanzminister Christian Lindner (FDP) abgelehnt habe, die Steuerzuschüsse an die gesetzlichen Krankenkassen zu erhöhen. „Mit mir wird es keine Leistungskürzungen geben. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung wird daher im nächsten Jahr erneut leicht steigen müssen.“

Kassenpatienten sollen erste 800 Euro selbst zahlen

Einen sehr viel radikaleren Vorschlag hat nun der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen gemacht. Gegenüber „Bild“  sagte er: „Kassenpatienten sollen künftig die ersten 800 Euro für Arztbesuche (ausgenommen stationäre OPs) selbst tragen – und so die Kosten-Explosion dämpfen.“ Ob sich diese angedachte Selbstbeteiligung auf das Quartal oder das Gesamtjahr bezieht, wird in dem Beitrag von „Bild“ nicht deutlich.

Neu sind solche Vorschläge des Professors an der Universität Freiburg nicht. Schon im Februar forderte Raffelhüschen laut „Bild“, dass die Versicherten pro Jahr gestaffelt bis zu 2.000 Euro als Selbstbeteiligung zahlen sollen. „Patienten müssen künftig mehr aus eigener Tasche dazu bezahlen“, begründete der Professor, der auch Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge in Freiburg ist, seinen Vorstoß. Weiter forderte er einen Sozialausgleich. „Die Zuschüsse zum Beispiel für Geringverdiener müssen aus dem Bundeshaushalt kommen.“

Weiter sprach sich Raffelhüschen dafür aus, dass Versicherte Verletzungen nach selbst gewähltem Risiko – wie beispielsweise Skifahren – komplett selbst bezahlen sollten. „Auch Raucher müssen sich an den Folgekosten von Behandlungen stärker selbst beteiligen“, verlangte er. Ohne ein Gegensteuern werde ansonsten der Beitragssatz bis 2035 auf bis zu 22 Prozent vom Bruttolohn steigen, warnte der Ökonom. Zurzeit liegt er – inklusive Zusatzbeitrag – im Schnitt bei knapp 16 Prozent, je nach Krankenkasse.

„Wir können uns das System nicht mehr leisten“

Seinen Standpunkt hat er mit seiner Forderung nun noch einmal wiederholt. Der Finanzwissenschaftler macht deutlich: „Wir können uns das System nicht mehr leisten“. Man steuere stattdessen auf 35 Prozent Beitragssatz zu, wenn sich nichts ändere. Damit scheint er seine Prognose des Anstiegs des Beitragssatzes nun seit Februar noch einmal von 22 auf 35 Prozent angehoben zu haben. Tatsächlich steigen die Gebühren um zehn bis 20 Milliarden Euro pro Jahr.

Defizit bis zu sieben Milliarden Euro

Dass es auf dem Gebiet der gesetzlichen Krankenkassen einen Änderungsbedarf gibt, kann nicht bestritten werden. Wie das „Handelsblatt“ berichtet, seien in diesem Jahr die Finanzen laut dem Spitzenverband gesichert. Im kommenden Jahr erwartet man aber eine Lücke von 3,5 bis sieben Milliarden Euro. Ohne Maßnahmen zum Gegensteuern würde daraus rechnerisch ein Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten resultieren.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach rechnet laut RND nicht mit einem Defizit von sieben Milliarden Euro. Dass es ein Defizit geben wird, bestreitet er allerdings nicht.

Ursprünglich hatte man schon in diesem Jahr mit einem Rekordminus von 17 Milliarden Euro gerechnet. Die Bundesregierung hatte aber im vergangenen Jahr mit einem Finanzpaket mittels verschiedener Maßnahmen gegengesteuert. Der offiziell erwartete durchschnittliche Zusatzbeitragssatz war von 1,3 auf 1,6 Prozent angehoben worden.

Die Zusatzbeiträge werden zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent des Einkommens erhoben, der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam getragen wird. Jede Krankenkasse kann letztlich den Zusatzbeitrag gemäß ihrer finanziellen Lage individuell festlegen. Im Vorjahr verzeichneten die 96 Krankenkassen einen Überschuss von etwa 451 Millionen Euro. Dennoch waren die Ausgaben bereits um 4,4 Prozent gestiegen.



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