Flüchtlingstragödien: EU lässt viele Fragen offen
Mit einer Schweigeminute für die rund 800 Opfer des jüngsten Bootsunglücks im Mittelmeer starteten die Staats- und Regierungschefs am Donnerstag den Sondergipfel zur Flüchtlingspolitik. Schnell, nur vier Tage nach der Katastrophe, kamen sie in Brüssel zusammen. Damit will die EU demonstrieren, dass sie in der Lage ist, rasch zu reagieren.
Es sieht tatsächlich so aus, als ob unter dem Druck der tragischen Ereignisse und der öffentlichen Empörung ein Umdenken bei Europas Politikern einsetzen könnte. Nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa im Oktober 2013 war die EU noch rasch zur Tagesordnung zurückgekehrt und hatte auf altbekannte Wege wie Grenzschutz, Kampf gegen Menschenhändler und Verbesserung der Lebensverhältnisse in afrikanischen Ländern gesetzt. Nichts davon half; die Flüchtlingszahlen stiegen – auch wegen des Bürgerkriegs in Syrien.
Nun aber spürt auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass angesichts der furchtbaren Bilder von den Mittelmeer-Küsten in der Bevölkerung die Stimmung kippt. Angst vor Flüchtlingen und Asylbewerbern tritt zurück und schafft – zumindest für eine Weile – Raum für Mitgefühl und Solidarität. „Es geht hier um die Akzeptanz der Europäischen Union, ihrer Werte“, mahnte Merkel. „Wichtig war, dass wir heute gehandelt haben“, betonte sie nach Ende der Beratungen.
Immerhin beschloss der Gipfel eine Verdreifachung der Mittel für die Seenotrettung – auf neun Millionen Euro im Monat. Zudem sollen Schlepper besser bekämpft, von Schmugglern benutzte Schiffe zerstört und Flüchtlinge gerechter auf die EU-Staaten verteilt werden.
Die Pläne bleiben aber unpräzise. Das Budget von „Triton“, eigentlich eine Grenzschutzoperation, liegt selbst bei einer Verdreifachung lediglich in der Größenordnung, die Italien für sein inzwischen beendetes Seenotrettungsprogramm „Mare Nostrum“ ausgegeben hatte. Zusätzliche Schiffe – zwei davon aus Deutschland – sollen aber die Rettungskapazitäten erhöhen.
Politisch heikel bleibt die Idee, Schlepper von dem Geschäft mit den mörderischen Überfahrten abzuhalten, indem die EU ihre Schiffe aufbringt und zerstört. Um Schiffe vor der Küste Libyens anzugreifen, wäre wohl ein UN-Mandat nötig, für das sich nun Frankreich und Großbritannien einsetzen wollen. Und selbst mit Mandat: Wie kann man sicher sein, keine unschuldigen Personen zu treffen, Fischer etwa?
Ein ebenso heißes Eisen ist die Forderung, Flüchtlinge in Notfällen auf verschiedene EU-Staaten zu verteilen. Viele Länder wollen das nicht. Deshalb soll zunächst ein Pilotprojekt gestartet werden. Wieviele tausend Flüchtlinge in diesem Rahmen nach Europa kommen dürfen, ist aber noch nicht klar. „Mehr als 5000“, kündigt Merkel an.
Kein Wort auch zu dem – etwa von den Vereinten Nationen (UN) geforderten – Ausbau legaler Möglichkeiten, nach Europa zu kommen. Das Thema ist einfach zu heiß: In Frankreich steht die Regierung von François Hollande durch die Rechten bei der Einwanderung unter Druck. In Großbritannien wird im Mai gewählt.
„Niemand hat irgendwelche Illusionen, dass wir das Problem heute lösen können“, dämpfte EU-Gipfelchef Donald Tusk die Erwartungen. Sicher ist nur eins: Die Diskussion dürfte noch lange andauern. Mitte Mai will die EU-Kommission eine Agenda dazu vorlegen, im Juni steht das Thema dann wieder auf der Tagesordnung des Gipfels. „Erst dann wird sich zeigen, wozu die EU wirklich in der Lage ist“, sagt ein EU-Diplomat.
(dpa)
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