Gegen Einfluss der AfD: Wöchentlich eine Viertelstunde Verfassungstreue-Unterricht

Ministerpräsident Söder will mit den Freien Wählern so dem Einfluss der AfD auf Schüler entgegenwirken. Lehrergewerkschaften kritisieren die Idee und fordern unter anderem generell mehr politische Bildung an Schulen.
Nein, Markus Söder muss nicht noch mal in die Schule. Aber als Ministerpräsident von Bayern lässt es sich der CSU-Politiker nicht nehmen, in München vor einer Grundschule Schultüten zu verteilen.
Bayerns Schüler sollten sich nach dem Willen von Ministerpräsident Markus Söder und den Freien Wählern künftig einmal pro Woche für 15 Minuten der Verfassung widmen.Foto: Sven Hoppe/dpa
Von 31. Oktober 2023

An Bayerns Schulen soll es künftig allwöchentlich eine sogenannte Verfassungsviertelstunde geben. Dies sei ein Ergebnis der Koalitionsverhandlungen mit den Freien Wählern, wie CSU-Chef Markus Söder laut Nachrichtenagentur AFP verkündet hat. Der Plan sei, dass künftig einmal pro Woche an allen Schulen über die Verfassung gesprochen werden solle.

Junge Menschen nicht nur über das Internet erreichen

Söder sagte, die Idee sei auch eine Reaktion auf die Stärke der AfD bei jungen Menschen. Als Konsequenz daraus wolle die CSU ihre digitale Präsenz weiter ausbauen – dort gilt die AfD als besonders stark. Ihm sei aber auch wichtig, dass die Informationen für junge Menschen über Politik nicht nur durch die Algorithmen von sozialen Netzwerken wie TikTok gesteuert würden.

Die bayerischen Schüler sollen den Plänen zufolge jede Woche eine Textstelle der Verfassung herausnehmen und sie im Unterricht besprechen. Die Schulen hätten laut Söder dabei die „maximale pädagogische Freiheit“ bei der Umsetzung. Es solle einfach eine Einladung zur Diskussion werden, so der Ministerpräsident. Ziel sei es, die Schulen als „Ort der Demokratie- und Wertevermittlung“ zu stärken, schreibt das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) mit Verweis auf den Koalitionsvertrag.

Die Umsetzung dieses Ziels stößt bei Lehrergewerkschaften nicht auf Gegenliebe: Martina Borgendale, Landesvorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Bayern, findet zwar, dass politische Bildung in Bayern zu kurz kommt, die „Verfassungsviertelstunde“ ist ihrer Meinung nach aber der falsche Ansatz.

Verfassungsviertelstunde hat nur Symbolcharakter

Laut dem Ranking Politische Bildung 2022 ist Bayern laut Borgendale bei der politischen Bildung in Deutschland Schlusslicht. „Eine Verfassungsviertelstunde hat höchstens Symbolcharakter und dient als Feigenblatt.“ Sie spricht sich daher für grundsätzlichere Ansätze aus: „Wir brauchen dringend mehr politische Bildung in Bayern. In allen Schularten, fest verankert in den Stundentafeln und unterrichtet von voll ausgebildeten Sozialkundelehrkräften.“

Der Deutsche Lehrerverband interpretiert den Vorschlag als unausgeglichene Mehrarbeit für ohnehin schon überlastete Lehrkräfte. „Die Absicht, die mit der sogenannten Verfassungsviertelstunde verfolgt wird, ist absolut nachvollziehbar“, sagt Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. „Aber wieder soll Schule richten, wo Politik und Gesellschaft versagen, wo gewählte Politikerinnen und Politiker ein zweifelhaftes Demokratieverständnis zeigen.“

Lehrerverband will Mehraufwand ausgeglichen wissen

Seiner Ansicht nach bleiben zu viele Fragen unbeantwortet: „Hat man sich überlegt, wie man vermeidet, dass es eine bloße Pflichtübung wird? Was ist, wenn man alle Grundgesetz- und Verfassungsartikel ‚durch‘ hat?“ Schule und Lehrkräfte müssten Inhalte selbst entwickeln. Zudem sei es unklar, wie die Mehrarbeit ausgeglichen werden könne. „Das steht im Gegensatz zu der von der Koalition versprochenen Entlastung. Arbeit zum Wohle unserer Demokratie, ja, ohne ernsthafte Entlastung, nein“, positioniert sich Düll eindeutig.

Für unnötig hält der Verband Bildung und Erziehung (VBE) die Einführung einer Verfassungsviertelstunde. „Es liegt doch auf der Hand, dass wir Lehrkräfte die großen gesellschaftlichen Spaltungen, die Radikalisierung und den Antisemitismus in die Mitte des Unterrichts stellen. Das tun wir so oder so – egal, ob mit Verfassungsviertelstunde oder nicht“, sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende Simone Fleischmann. „Wenn man an die Schule von morgen denkt, kann man das nicht in einem Begriff beantworten.“

Hingegen fehlen dem Verband die „großen Ziele der Schule von morgen“. Wenn politische Ränder zunähmen, brauche es eine ganz andere politische Bildung, betont Fleischmann. „Neben den Basiskompetenzen – lesen, rechnen, schreiben – brauchen wir Zukunftskompetenzen. Für mich sind das: Agilität, Resilienz, Umgang mit Krisen, Kreativität und Kommunikationsfähigkeit.“

Auch Erwachsene gefordert, sich an die Verfassung zu erinnern

Auch vom Bayerischen Philologenverband (bpv) kam Kritik an der Idee von CSU und Freien Wählern, schreibt der „Evangelische Pressedienst“ (epd). Der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl fragte, wie das mit der dringend nötigen Entlastung an den Schulen zusammenpasse. „Das Anliegen hinter der Verfassungsviertelstunde ist absolut berechtigt und kommt in der Präambel des Koalitionsvertrages klar zum Ausdruck“, sagte Schwägerl. Es sei aber zu kurz gegriffen, diesen Auftrag nur an den Schulen bei den Kindern und Jugendlichen zu sehen. Mit Blick auf die Wahlergebnisse seien vor allem Erwachsene gefordert, sich an die Verfassung zu erinnern.

Der Landesverein für Heimatpflege teilt nicht die Meinung des Lehrerverbandes. „Es leuchtet mir nicht ein, wie man eine Verfassungsviertelstunde pro Woche ablehnen kann, wenn man diese großartigen Texte selbst gelesen und verinnerlicht hat – und wenn man sich gleichzeitig die Ergebnisse von Jugendwahlen vor Augen führt“, sagte Geschäftsführer Rudolf Neumaier.

Diese Viertelstunde koste nichts und bedürfe „für die hervorragenden bayerischen Pädagoginnen und Pädagogen auch gewiss keiner großen Vorbereitung“. Das sei ihm auch von Lehrkräften gespiegelt worden, als die Heimatpfleger im September den Vorschlag zu einer Verfassungszeit machten. Den Lehrermangel als Argument dagegen anzuführen, bezeichnet Neumaier als befremdlich.

Verfassungstexte statt Gebete

Der Heimatpflegeverein kam mit seiner Anregung zum Schulstart. Statt des allmorgendlichen Gebets sollen Texte aus der Verfassung des Freistaats oder aus dem Grundgesetz vorgetragen werden, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“. Die Kirche verliere an Bedeutung, es brauche daher säkulare Konzepte, um den Menschen die grundlegenden Vorgaben für ein friedliches Zusammenleben in Freiheit zu vermitteln, befand Neumaier. „Gerade die Bayerische Verfassung liest sich wie eine Bergpredigt der Staatskunst.“

Es folgte umgehend ein Grummeln der Kirchen sowie der Einwand, dass an staatlichen Schulen ohnehin meist nicht gebetet werde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



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