Gehört Deutschland auf die Couch? Hans-Olaf Henkel stellt die Diagnose

Nachdenkenswertes, das man lesen sollte, bevor „Deutschland auf die Couch muss“, steht in dem neuen Buch von Hans-Olaf Henkel, ehemals BDI-Vorsitzender (Bundesverband der Deutschen Industrie), und Joachim Starbatty, emeritierter Ökonomie-Professor.
Titelbild
Foto: Cover Europa Verlag
Von 16. September 2016

Sie sind es gewohnt, für ihre Meinungen oder veröffentlichten Beobachtungen in alle möglichen Ecken gestellt zu werden, aber sie ducken sich nicht weg, sondern stellen sich offensiv erneuten Debatten. Hans-Olaf Henkel, ehemals BDI-Vorsitzender, und Joachim Starbatty, emeritierter Ökonomie-Professor, erfolgreich und mehrfach ausgezeichnet in ihrem Leben, trafen sich im Europäischen Parlament, zunächst als Abgeordnete für die AfD, nach ihrem Austritt inzwischen als Mitglieder der neugegründeten Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA).

Ihre Redezeit und öffentliche Wirksamkeit im Europäischen Parlament erschien ihnen nicht ausreichend angesichts des von ihnen diagnostizierten politischen Zustands in Deutschland. Also haben sie gemeinsam ein Buch geschrieben: „Deutschland gehört auf die Couch“.

Bemerkenswerterweise fangen die Autoren nicht mit einem Merkel-Bashing an, sondern Henkel schildert mit Anerkennung, wie er aus der Nähe seines damaligen Amtes als BDI-Präsident und Mitglied von Amnesty International Merkels unerschrockenen Einsatz als Bundeskanzlerin für die Menschenrechte erleben konnte. Wobei vieles nicht als Vorgang, aber im Ergebnis wahrnehmbar wurde, ob es sich um die Freilassung des Deutschen Murat Kurnaz aus Guantánamo handelte oder um Menschenrechtsverletzungen in Russland unter Putin und noch zahlreichere in China. So ist es auch kein Zufall, dass der chinesische Künstler Ai Weiwei nach längerem „Verschwindenlassen“ in China wiederauftauchte und mittlerweile in Berlin leben kann.

„Merkel-Deutschland“

Trotzdem halten sie im weiteren Ablauf des Buches nicht zurück mit ihrer Kritik an Merkels „U-Turns“ und „Wie Angela Merkel die Welt rettet“, aber sie sprechen auch über „Merkel-Deutschland“. Und nach ihrer Ansicht gehört dieses Deutschland auf die Couch eines Psychotherapeuten, um sich von Angst und Schuld-Angst zu befreien, einem späten Erbe der Kriegskinder und -enkel. Denn die Kehrseite der Angst, moralisch zu versagen, sei die moralische Besserwisserei und das Helfersyndrom mit seiner Selbstüberschätzung und seinen verdrängten Folgen, nämlich der Selbstschädigung.

Zum Thema Selbstschädigung geht es konkret und lesenswert von Kapitel zu Kapitel, so in „Wie Deutschland die Welt rettet“, das im übersteigerten Hilfsfimmel landet mit „Deutsche retten italienische Eidechsen“. Es folgen zwei Kapitel über finanzpolitische Ziele unserer Nachbarn oder Verbündeten, die auch für Laien verständlich sind, auch wenn Thilo Sarrazin meint: „Die breiten Schichten der Bevölkerung halten Wirtschafts- und Währungsfragen in eine Expertenangelegenheit, in die sie sich nicht einmischen, aber alle fühlen sich vom Thema Einwanderung angesprochen.“

Vom „deutschen Rudeljournalismus“

Sarrazin (SPD) war übrigens bei der Buchvorstellung in einer Pressekonferenz am Montag der Dritte im Bunde der Herren über 70, deren teils launige Stimmung in einigen Medien zum Anlass für ein Autoren-Bashing genommen wurde. Aber Adenauer hatte seine beste Zeit bekanntlich mit über 80 Jahren und unlängst wurde Helmut Schmidt mit über 90 Jahren auch von Journalisten noch gern um seine Meinung befragt. Oder war das die Antwort auf das auch im Buch angesprochene Thema vom „deutschen Rudeljournalismus“ und der Schere im Kopf der Journalisten? Henkel wurde davon bekanntlich schon öfter getroffen.

Doch zurück zum Buch mit seinem zentralen Kapitel 7 über „Das Flüchtlingsproblem: Die eigentliche Aufgabe steht uns noch bevor“. Wenn man Patentlösungen erwartet, wird man enttäuscht sein, wenn es aber darum geht, verschiedene Modelle durchzuspielen oder überhaupt mal zu durchdenken, auch praktische Erfahrungen kennenzulernen, dann gilt für das ganze Buch: Lesenswert.

Lösungsorientiertes Coaching statt Couch

Wie schon Thilo Sarrazin in seinem im April erschienenen Buch „Wunschdenken“ eigentlich zum Nachdenken und öffentlichen Diskurs anregen wollte, sollte auch dieses Buch gesehen werden. Nur eine klare Unterscheidung zwischen emotionaler Gesinnungsethik und rationaler Verantwortungsethik öffnet den Weg zu balancierten politisch-gesellschaftlichen Entscheidungen. Henkel und Sabatty plädieren eindeutig zu einem Wechsel von emotionaler Gesinnungsethik zu rationaler Verantwortungsethik. Eine vielleicht „bittere Medizin“, wie sie feststellen, aber not-wendig, eben um die Not zu wenden.

Ob das den „Grexit oder Dexit“ betrifft oder „Die Entfremdung zwischen Europäischen Parlament und seinen Wählern“, oder: „Wer hat in Europa das Sagen?“, es mündet in Kapitel 12 beim Thema „Warum lassen wir uns das gefallen?“ Die Überlegungen dazu sollte man sich zu Gemüte führen und persönlich überprüfen.

„Nicht nur die Flüchtlingskrise legt Zeugnis davon ab, was ein vom Helfersyndrom befallenes Volk alles an Gutem leisten kann, sie zeigt aber auch, welche katastrophalen Nebenwirkungen ‚das Gute‘ haben kann, wenn es nur der Maxime der Gesinnungsethik folgt.“

Das stellen Henkel und Sabatty am Schluss fest. Ihr Mut, sich erneut einer öffentlichen Debatte zu stellen, ist in der aufgeheizten öffentlichen Stimmung lobenswert, besonders angesichts der nicht mehr vorhandenen respektvollen Debattenkultur. Gemeinsam Nachdenken statt gegeneinander zu kämpfen könnte wohl helfen. Was sie bieten, ist lösungsorientiertes Coaching statt Couch.

Fazit: Selbst, wenn wir nicht auf der Couch liegen wollen, ist „Deutschland gehört auf die Couch“ mit einer Fülle von Material, geteilten Erfahrungen, und des Nachdenkens werten Überlegungen und Vorschlägen einige Lesestunden wert.

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Joachim Starbatty

Deutschland gehört auf die Couch

Warum Angela Merkel die Welt rettet

und unser Land ruiniert

256 Seiten

Europa Verlag; Auflage: 1 (5. 9. 2016)

ISBN-10: 3958900615

€ 19,90



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