Gesetzesentwurf: Geschlecht soll ab 14. Geburtstag „selbstbestimmt“ wählbar werden

Die Autorin Birgit Kelle ist in den Besitz eines Koalitionsentwurfes für ein „Geschlechtseintragungsänderungsgesetz“ gekommen und analysierte für den „Focus“ dessen Inhalte. Sie sieht darin die „Dekonstruktion des Menschenbilds der letzten 3.000 Jahre“.
Von 9. Februar 2021

Der Entwurf für ein „Gesetz über die Änderung des Geschlechtseintrages und der Vornamen“ oder Geschlechtseintragungsänderungsgesetz (GeschlEintrÄndG) ist noch erst im Stadium einer Vorlage vonseiten der damit betrauten Referenten.

In Anbetracht der Ungewissheit über den Fortbestand der Großen Koalition nach der Bundestagswahl ist jedoch davon auszugehen, dass dieses gemeinsame Vorhaben des Bundesinnenministeriums unter Horst Seehofer und des Bundesjustizministeriums unter Christine Lambrecht noch vor dem Herbst den Bundestag erreichen wird.

Entwurf geht – noch – von „binärer Geschlechterordnung“ aus

Die Autorin Birgit Kelle ist in den Besitz des Referentenentwurfs gelangt und analysiert in einem ausführlichen Beitrag für den „Focus“ die Kernpunkte, die sich bereits jetzt abzeichnen.

Im Kern, so Kelle, würde ein Gesetz, das mit dem derzeitigen Entwurf identisch wäre, dazu führen, dass das Geschlecht eines Menschen künftig „völlig unabhängig von körperlichen Merkmalen“ definiert werden wird – und das für alle Personen ab 14 Jahren.

Das derzeitige Vorhaben bleibe zwar noch im „binären“ Rahmen von männlich und weiblich, sodass von der „Genderforschung“ beschriebene „queere“ Geschlechtsformen nicht zum Tragen kämen. Doch werden im Entwurf Transsexualität und Intersexualität zu einem Themenkomplex zusammengefasst. Dies könne als erster Schritt hin zu einer weiteren rechtlichen Anerkennung einer „Vielfalt der Geschlechter“ betrachtet werden, so die Autorin.

Die Stoßrichtung des Entwurfs, so Kelle, in welchem die Eigendefinition über dem biologischen Geschlecht stehe, lasse jedenfalls Argumenten keinen Raum mehr, die einer künftigen Erweiterung im Wege stünden.

Am Ende laufe die Entwicklung hinaus auf „die Dekonstruktion des Menschenbildes […], das uns kulturell die letzten 3000 Jahre getragen hat“.

Transgender-Verbände bezeichnen Sachgutachten als „entwürdigend“

Im Unterschied zur Bundesregierung und den Grünen, deren eigene Forderungen nach einem „Selbstbestimmungsgesetz“ aus dem Jahr 2017 in vielen Bereichen Eingang in den Referentenentwurf gefunden hat, sieht Kelle an der derzeitigen Regelung gar keinen Änderungsbedarf.

Bereits seit 1981 ist das Transsexuellengesetz (TSG) in Kraft, das die „Änderung des Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ zum Gegenstand hat.

Die nunmehr ins Auge gefasste Regelung würde die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit nicht mehr an besondere Fälle knüpfen. Vor allem würde eine Verpflichtung zur Einholung eines medizinischen Gutachtens entfallen, wie es bis dato im Vorfeld einer vom Gericht autorisierten Geschlechtsänderung vorgesehen ist.

Transgender-Lobbyverbände hatten die verpflichtende Begutachtung als „entwürdigend“ und „formalistisch“ bezeichnet.

Geschlecht künftig jederzeit ohne ärztliches Gutachten änderbar?

Künftig soll die Selbstauskunft der antragstellenden Person ab 14 Jahren ausreichen, um einen offiziellen Geschlechterwechsel zu vollziehen.

Das von SPD-Ministerinnen bezeichnete „Zwangsgutachten“ über die medizinische Notwendigkeit und Angemessenheit des Vorgehens würde ersetzt durch einen Auftrag an das Gericht, ein Gutachten über die bloße Ernsthaftigkeit des Wunsches einzuholen.

Dieses Gutachten müsste nicht mehr ein Arzt vornehmen, sondern eine „Person, die aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Erfahrung mit den Besonderheiten der Transgeschlechtlichkeit ausreichend vertraut ist“. Im Kern würde dies darauf hinauslaufen, dass auch ein Verbandsfunktionär diesen Formalakt vornehmen könnte.

Kelle sieht gerade in diesem Zusammenhang eine unsachliche Benachteiligung der – zahlenmäßig sehr wenigen – tatsächlichen Intersexuellen, die faktisch primäre und/oder sekundäre Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter aufweisen. Diese müssten im Fall einer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit nach wie vor ein ärztliches Gutachten vorweisen.

Erstes Einfallstor für „Kinderrechte“?

Kelle befürchtet, dass mit dem geplanten Gesetz dem jederzeitigen beliebigen Wechsel der Geschlechtszugehörigkeit Tür und Tor geöffnet würde – mit der gerichtlichen Bewilligung als bloßer Farce.

Im Gegenzug würde ein Netz an „Beratern“ entstehen, die an die Stelle der bisherigen ärztlichen Gutachter träten. Dabei dürften diese, selbst wenn sie dies wollten, niemandem von dem Eingriff abraten. Denn seit dem ab 12. Juni 2020 geltenden „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlung“ wurden Interventionen für sozial unerwünscht erklärt, die „auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind“.

Im Zusammenhang mit der vor allem von der SPD betriebenen Verankerung der „Kinderrechte“ im Grundgesetz bestünde zudem die Gefahr, dass die Elternrechte gegenüber ihren minderjährigen in diesem Bereich beseitigt werden könnten.



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