Insider: Gestandene Eisenbahner fürchten ein zweites „Eschede“

„Technikzoo“, Fachkräftemangel, Schwarze Materiallager: Die Deutsche Bahn hat es nicht leicht. Ein Insider berichtet.
Titelbild
Mitarbeiter der Deutschen Bahn am 13. April 2012 neben einem verunglückten Zug in Mühlheim am Main, Westdeutschland. Drei Menschen starben und sechs weitere wurden verletzt, einer davon schwer, als am frühen Freitag ein Regionalzug mit einer Werkslokomotive zusammenstieß.Foto: DANIEL ROLAND/AFP via Getty Images
Von 12. Januar 2022
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Loyalität, Verantwortung und Wahrheit sind Werte, die in der heutigen Zeit immer mehr ins Abseits geraten. Und doch gibt es jene mutigen Menschen, die für die Sache einstehen. Einer von ihnen ist Anatol Jung, Qualitäts- und Sicherheitsprüfer bei der Deutschen Bahn. Er deckte die systematische Manipulation von Sicherheitsberichten auf.

2018 übernahm Jung die Aufgabe, Schwachstellen in der Instandhaltung für Leit- und Sicherungstechnik (LST) zu identifizieren und zu analysieren. Dazu gehört alles, was Züge leitet und sichert, also Stellwerke, Signale, Weichen, die Anlagen für die Sicherung der Bahnübergänge, Gleisfreimeldungen. Ähnlich wie beim TÜV für Autos müssen all diese Dinge wegen ihrer Sicherheitsrelevanz regelmäßig überprüft und inspiziert werden. Dazu gehört auch ein Bericht für das Eisenbahn-Bundesamt als Aufsichtsbehörde.

Allerdings stellte er fest, dass diese Berichte systematisch frisiert wurden. Jung fiel auf, dass die Fristen der Überprüfungen massenhaft nicht eingehalten wurden. Was auch oft fehlte, waren Angaben zu Ursachen, möglichen Gegenmaßnahmen oder Ersatzvorschlägen, die üblicherweise zur Berichterstattung gehörten. Von Personalmangel, Geldnot oder dem Alter der Anlagen, alles Gründe für Fehlerquellen, war nicht die Rede.

Wie konnte man die Sicherheit der Bahnreisenden gewährleisten, wenn Weichen nicht regelmäßig überprüft wurden? Er – und nicht nur er, wie sich später zeigte – wandte sich immer wieder an die internen Aufsichtsstellen des Unternehmens, fand dort jedoch keinerlei Gehör.

Wie konnten Strecken freigegeben werden, wenn eigentlich „Langsamfahren“ angesagt war, weil an den Gleisen etwas nicht stimmte? Wenn notwendige Teile aus den Nachbargleisen ausgebaut und diese dann stillgelegt werden mussten? Und wie groß war überhaupt das Problem? Mit all diesen Fragen sah sich Jung konfrontiert.

Ein entgleister S-Bahn-Zug am 21. August 2012 in Berlin. Der Zug entgleiste, nachdem eine Weiche nicht richtig funktioniert hatte. Der vordere Teil des Zuges geriet auf ein Gleis und der hintere Teil des Zuges auf ein anderes. Fünf Fahrgäste wurden leicht verletzt. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Ganz im Sinne eines Auditors und in Abstimmung mit seiner Vorgesetzten ging er den Dingen weiter nach. Fast 70 gestandene Bahner aus allen Regionen und in allen Funktionen meldeten sich, um mit ihm zu sprechen – jedoch nur unter einer Bedingung. Nach schlechten Erfahrungen forderten sie Verschwiegenheit hinsichtlich ihrer Namen und Standorte. Sie hofften auf den kurzen Dienstweg unter Umgehung der „Lehmschicht“ im Mittelbau des Unternehmens. 

Jung war einverstanden. Nach einer mehrmonatigen bundesweiten Recherche fasste er seine Ergebnisse in einem über 200-seitigen Bericht zusammen. Bei der Deutschen Bahn sorgt der Bericht seither für mehr als Unbehagen und wird mit spitzen Fingern angefasst. Doch er kreist bei den Verantwortlichen, auch im Bundestag.

Sachlich-fachlich wagt niemand, an der Arbeit des Sicherheitsprüfers zu rühren oder eine Änderung oder gar Rücknahme des Berichts zu fordern. Eine direkte Leugnung der beschriebenen Missstände könnte bei künftigen Unfällen oder gefährlichen Ereignissen leicht zur Mithaftung und strafrechtlichen Maßnahmen gegen die Verantwortlichen führen. Doch das Unternehmen reagierte hart. Zwei Jahre andauerndes Mobbing und eine rekordverdächtige sechsfache Kündigung waren die Folge. Im Januar 2022 steht für Jung die nächste Gerichtsverhandlung in seinem Kündigungsschutzverfahren an. Dabei stehen nicht nur Betriebsräte und Gewerkschafter an der Seite des Prüfers.

Was steht in diesem Bericht? Hier sollen nur einige wenige Punkte näher angeschaut werden.

Ein kaum beherrschbarer „Technikzoo“

Eigentlich notierte und sortierte er nur unzählige Probleme, von denen jeder erfahrene Mitarbeiter im Unternehmen weiß oder ahnt.

Die Sicherungstechnik im stark befahrenen Schienennetz reicht bis in die Kaiserzeit zurück. Gleise, Signalanlagen, Stellwerke. Mit jeder technologischen Neuentwicklung wurden neue Anlagen hinzugefügt, die später wieder veralteten. Mechanische Stellwerke gibt es ebenso wie hochdigitalisierte. Gestandene Eisenbahner sagen dazu, es sei ein „Technikzoo“. Und sie warnen, dass die Altanlagen für junge Mitarbeiter nicht mehr voll handhabbar sind.

Instandhalter sagten Jung: „Wir sind die letzte Generation, die das hier noch einigermaßen im Griff hat.“

Zudem, und auch das ist bekannt, gehen in naher Zukunft genau diejenigen, die noch richtig damit umzugehen wissen, scharenweise in den Ruhestand. An der Basis wird allgemein beklagt, dass bei jeder sich bietenden Gelegenheit Sparmaßnahmen ergriffen wurden, während „oben“ großzügig Mittel flossen. Sie nennen es: „Die DB Netz rüstet administrativ auf und operativ ab.“ Die Jüngeren seien im Schnelldurchlauf ausgebildet worden, müssten erst noch Erfahrungen sammeln und bräuchten eine intensive Begleitung, bis sie eigenverantwortlich mit den Signalen umgehen könnten. Ob das noch schaffbar ist, bis die gestandenen Fachleute im Ruhestand sind, sei dahingestellt.

In einigen Regionen gibt es die Anweisung, dass Störungen im Bahnverkehr nicht mit dem hohen Alter und ungenügender Wartung der betroffenen Anlagen begründet werden dürfen. Das erklärt die Lücken in den Überwachungsberichten ans Eisenbahn-Bundesamt.

Die Folgen kennt jeder, der (noch) mit der Bahn fährt: Verspätungen, Zugausfälle, Umleitungen, Langsamfahrten, Streckensperrungen. Schienenersatzverkehr.

Zerstörte Waggons am 23. Januar 2007 bei einem Güterzugunglück in der Nähe von Elmshorn. Nach Angaben der Polizei enthielten drei der 19 entgleisten Waggons Gefahrgut, giftige Chemikalien wurden freigesetzt. Foto: Martin Rose/Getty Images

Eisenbahner: „Wer die Wahrheit sagt, stellt sich gegen das System“

Die gestandenen Fachleute, mit denen Anatol Jung sprach, haben den Eindruck, dass die schrumpfende Zahl an technischem Personal immer mehr leisten muss und gleichzeitig dabei von einem immer größeren Verwaltungsheer überwacht wird. An der Spitze stünden Kaufleute; echte Eisenbahner mit tiefem Verständnis für die technisch-betrieblichen Zusammenhänge seien „da oben“ zur Rarität geworden. Sie sagten: „Aus der Pleitebahn der Beamten ist die Chaosbahn der Kaufleute geworden.“

Jung analysierte und stellte fest: Je gründlicher eine Effizienz-, Einspar- oder bürokratische Maßnahme versagt und je mehr sie die Produktivität und Handlungsfähigkeit an der Basis vermindert, desto mehr wird oftmals vom Gleichen verabreicht. Anders gesagt, die zugeführte Giftdosis wird in der irrsinnigen Annahme erhöht, der sterbenskranke Organismus werde dadurch geheilt.

Eisenbahner an der Basis sagten ihm auch: „Sie reden nicht mit uns, sondern stellen Leute ein, die mit uns reden.“

Mit „sie“ ist bei den LST-Instandhaltern die Zentrale der DB Netz gemeint. Es gebe Gerüchte statt klaren Ankündigungen, Mails und Rundbriefe statt direkten Gesprächen. Gemischt mit englischen Wortschöpfungen, die an der Basis, bei den Leuten mit dem Schraubenschlüssel in der Hand, schlecht ankommen. In das, was ihren Arbeitsalltag stark beeinflusse, würden die Bahner nicht frühzeitig eingebunden. Kurz, die Kommunikation zwischen Zentrale und Basis sei sehr schlecht und gestört. Die Bahner nennen es „Führung durch Einschüchterung“ und erklären: „Kritik an der Sache wird von Führungskräften oft als Angriff auf die eigene Kompetenz und Person aufgefasst. Sachliche Diskussionen sind so nicht möglich.“

Den Kampf gegen diese Windmühlen haben die meisten Mitarbeiter aufgegeben, stellte Jung fest. Die Appelle der Experten dringen nicht zu den höchsten Entscheidern durch, es werde Selbstzensur und die Manipulation von Kennzahlen erwartet. Oder in den Worten der Eisenbahner: „Unten sagt fast niemand die Wahrheit, weil sie oben fast niemand hören möchte.“

Dokumentation im Minutentakt

Besonders bitter stößt den Instandhaltern auf, dass sie kleinteilig in Minuten- statt Tages- oder Wochenintervallen ihre Arbeit dokumentieren müssen. Noch während der Auftragsabarbeitung sollen sie zügige Rückmeldungen geben.

Bei Lichte betrachtet sei es nahezu unmöglich, im „Technikzoo“ der Bahn Unvorhersehbares und Unplanbares, Störungen und Entstörungen durchzuplanen. Das im Alltag eingesetzte digitale Planungssystem nennen sie zu genau, zu kompliziert und zu fehleranfällig. Es sei wohl von der Autoindustrie „importiert“, wo genau getaktete Arbeitsschritte am Band in klimatisierten Fabriken stattfinden. Draußen, vor Ort, an der Bahn, bei Wind und Wetter, gebe es ganz andere Schwierigkeiten.

Das Prinzip „Keine Arbeit ohne Auftrag“ wird ebenfalls bemängelt, es führe zu Dienst nach Vorschrift und einer Subkultur des Wegschauens. Die Instandhalter seien es leid, nicht mehr wie früher eigenverantwortlich arbeiten zu dürfen und stattdessen oft von schnell angelernten, fachfremden Disponenten dirigiert und kontrolliert zu werden. Sie formulieren es deftiger: „Wir brauchen keine wissensbefreite Anleitung durch Bäcker und Friseure.“

Zentrale Planwirtschaft? Schwarze Lagerhaltung!

Der Ersatzteilvorrat, auf den Instandhalter bei ihren Reparaturen zurückgreifen, passt nicht mehr zum Bedarf, bekam der Sicherheitsprüfer zu hören. Das hängt mit einer Anordnung zusammen, die beim Übergang der Bahn zu einer Aktiengesellschaft ausgegeben wurde.

Örtliche Lager wurden aus bilanztechnischen Erwägungen aufgelöst oder gekappt. Das bedeutet, dass Weichenverschlüsse, Relaisgruppen, Gleismagnete und ähnliches oft benötigtes Material nur noch gelagert werden darf, wenn der Gesamtwert eine niedrige finanzielle Grenze nicht überschreitet (die bei den teureren digitalen Anlagen schnell erreicht ist). Selbst kleine und billige Materialien wie Signalschilder müssen seither über umständliche, viel Zeit in Anspruch nehmende und teure Bestellvorgänge beantragt werden.

Die Fachleute vergleichen den Zustand mit einer „Großküche ohne Vorratskammer“ oder eines „Krankenhauses ohne Medikamentenbestand“.

Es erinnert an sozialistische DDR-Zeiten. Denn was passierte? Spontan entstanden bundesweit Schwarze Lager, inklusive verdecktem, interregionalem Tauschhandel. In den Schwarzen Lagern wird mehr oder weniger heimlich wichtiges Entstör- und Ersatzmaterial verwahrt, damit es im Bedarfsfall garantiert und schnell zur Verfügung steht.

Instandhalter erklären: „Ohne Schwarze Lager würde sich im Land kein Eisenbahnrad mehr drehen.“

Die zentrale Bahn-Planwirtschaft führte also dazu, dass ein Schwarzmarkt für Eisenbahntechnik entstand. An der Basis wird dessen Wert auf einen zwei- oder dreistelligen Millionen-Euro-Betrag geschätzt.

Eine Alternative wäre, das Material dann zu bestellen, wenn es benötigt wird, und dann tage-, wochen- oder monatelang darauf warten zu müssen. Beispielsweise bis das Signalwerk der DB Netz oft benötigte, aber herstellerseitig nicht zügig lieferbare Gleismagneten alter Bauart aufarbeitet und zur Verfügung stellt.

Eine gängige Ersatzlösung ist der Ausbau von Magneten aus Parallelgleisen, die dafür gesperrt werden. Auch alte, stillgelegte Stellwerke oder zurückgebaute Anlagen sind gute Fundgruben für die geübten Jäger und Sammler in gegenseitiger Nachbarschaftshilfe. Begehrt sind auch veraltete und nicht mehr lieferbare Relaisgruppen und Weichenverschlüsse.

Es geht den Reparaturtrupps nicht um das Horten überflüssiger Teile, es geht um den Kern ihrer Arbeit, die essenzielle Entstörfähigkeit. Besonders wichtige und anfällige Teile sollten immer vor Ort vorhanden sein. Und dabei meinen sie Qualitätsware, wie sie zu Zeiten der Deutschen Bundesbahn angeschafft wurden: qualitätsgeprüfte und bewährte Bauteile mit langer Lebensdauer. Keine Billigteile aus Fernost.

Was halten gestandene Eisenbahner von den künftigen Plänen der Bahnführung?

Die Antwort ist einfach und wurde auch von Anatol Jung aufgeschrieben: „Es wird versucht, auf dem Fundament eines Fachwerkhauses einen Wolkenkratzer zu errichten“, sagte ihm jemand unter dem Siegel der Anonymität.

Netz und Anlagen seien am Limit, ohne Runderneuerung blieben die Vorhaben der Politik und der Bahnführung eine Illusion. Schon jetzt schaukelten sich Verspätungen und Störeffekte auf den großen Schienenknoten von Städten und Ballungsgebieten schnell gegenseitig auf. Die Verbindungen sind verstopft oder zugestaut, es gibt Kapazitätsgrenzen. Würde sich der Schienenverkehr verdoppeln, dann könnten sich in manchen Gemeinden die Schranken an Bahnübergängen überhaupt nicht mehr öffnen.

Real betrachtet seien jahrelange Um- und Ausbauten nötig. Großinvestitionen im Milliarden-Euro-Bereich, so die Experten vor Ort. In Infrastruktur und Personal.

Der Gesellschaft solle klar gesagt werden, dass Güter- und Passagierverkehr getrennte Gleise benötigen, ebenso braucht man eigene Hochgeschwindigkeitstrassen. Nur dann könnten mehr Züge auf die Schiene gebracht und mehr Passagiere – oder Güter – befördert werden. Dafür fehlen Baukapazitäten, Grundstücke, Anlagen, ausgebildete Mitarbeiter und vieles mehr.

Ein punktuelles Ausbessern oder Aktionismus auf Nebenschauplätzen brächte keine Verbesserung der Lage. Mit kosmetischen Reparaturen sei es nicht mehr getan, eine Systemkonservierung widersinnig. Die Politisierung sei auf Kosten der Professionalität der Bahn gegangen, die Bahn habe massiv abgewirtschaftet.

Soweit zu einigen Inhalten des Berichts.

Hexenjagd auf Informanten

Nach der Herausgabe des Berichts im 3. Quartal 2018, entwickelten sich seine Arbeitsergebnisse zu einem Politikum ungeahnten Ausmaßes, quer durch den ganzen DB-Konzern. Gesucht wurden seine Gesprächspartner. Die Gewerkschaft spricht von „einer Art Hexenjagd, welche jegliches Maß und Ziel lange aus den Augen verloren hat“.

Die mehr als einhundert authentischen Befunde und Verbesserungsvorschläge in seinem Bericht, gesammelt bundesweit und vor Ort, scheinen die Unternehmensführung weniger zu interessieren als die Identität der Informanten an der Basis, die der Unternehmenspolitik ein verheerendes Zeugnis ausstellten.

Diejenigen, die davor warnten, dass es an die Substanz des Netzes und damit an die Sicherheit gehe, sollen gefunden werden. Der Prüfer hielt dem riesigen Druck stand, die Originalaufzeichnungen hatte er wie versprochen vernichtet. Keine Namen gingen raus.

Auch dass die Sendung „Report Mainz“ am 6. Oktober 2020 das Problem aufgriff, wurde ihm angekreidet. Bei YouTube ist der TV-Bericht zu sehen unter dem Titel: „Vertuscht die Deutsche Bahn Sicherheitsrisiken im Schienennetz?“ Externe Fachleute, die die ARD befragte, halten seinen Bericht für glaubwürdig und plausibel und werten ihn als Warnsignal – während die Unternehmensführung mauert und abwiegelt.

Bei jedem anderen Prüfer mit gründlicher und unabhängiger Arbeitsweise wäre das gleiche Ergebnis herausgekommen, meint Jung. Die teilweise sicherheitsrelevanten Sachverhalte seien allen Beteiligten im Grundsatz oder im Detail bekannt und ließen sich nicht übersehen, sofern man nicht bewusst die Augen davor verschließe.

Furcht vor Aufklärung: „Bestrafe einen, erziehe Hunderte!“

Er sei in einen Zielkonflikt hineingelaufen und im Grunde mit einer Himmelfahrtsaktion beauftragt worden, sagt Anatol Jung im Rückblick. Die eine Seite ist zur Aufklärung entschlossen, die andere fürchtet genau das und versucht es zu verhindern. Die Omertà, das Schweigegebot gegenüber Außenstehenden, wurde durchbrochen. Was sei wichtiger: die Sicherheit der Eisenbahn oder die Posten der Verantwortlichen?

Hochrangigere Funktionäre im Konzern warnten Jung sogar persönlich: Die „Lehmschicht“ habe ihn auf dem Kieker und sei entschlossen, ihn aus seiner Position zu entfernen. Frei nach dem Motto „Bestrafe einen, erziehe Hunderte!“

Einige von Jungs Gesprächspartnern fühlen sich an einen echten Wirtschaftskrimi erinnert. Denn der Bund steckt alljährlich Riesenbeträge in Erhalt und Ausbau des Schienennetzes. Hat das Unternehmen mit offenkundiger Duldung oder Förderung von Missständen und Machenschaften seine Treuepflicht bei der Verwaltung und Erhaltung öffentlichen Vermögens verletzt? Selbst der Bundesrechnungshof sprach im November 2021 von „Pflichtverletzung“ und „schwerwiegendem Missmanagement“ bei der Bahn.

Die Affäre hat sehr viel Staub aufgewirbelt, obwohl sie von den Vorgesetzten des Auditors immer noch wie eine Verschlusssache behandelt wird. Eingeweihte Eisenbahner beobachten ihre Führung nun sehr genau und sprechen von einer „Bewusstseinserweiterung“. Manche nennen die Verhaltensweisen der Führung Realitäts-, Kommunikations- und Hilfsverweigerung. Sie sagen: „Wenn sie darauf nicht reagieren, worauf dann überhaupt?“ Ob die volle Aufklärung erwünscht ist, ist zweifelhaft – angesichts der gigantischen Konsequenzen, die zu ziehen wären.

Und Jung? Er ist überzeugt, als Prüfer seine Pflicht erfüllt zu haben – nach den Grundsätzen und Maßstäben, auf die er jahrelang ausgebildet und verpflichtet wurde. Dass die Bahn wieder in Ordnung kommt, das Reisen so sicher wie früher, die Eisenbahner ihre Arbeit bestmöglich machen können, das ist ihm und seinen Gesprächspartnern weiterhin wichtig. Damit es kein „zweites Eschede“ gibt. In Eschede kam es 1998 zum bisher schwersten Zugunglück Deutschlands mit 101 Toten.

Was sagt das Unternehmen dazu?

„Die Darstellung des DB-Mitarbeiters ist deutlich über zwei Jahre alt. Wir haben diese Anfang des vorletzten Jahres mit einer Ad hoc-Revision geprüft“, teilte ein Bahnsprecher auf Anfrage mit. „Die Darstellung verzerrt an vielen Stellen komplexe Themen unzuverlässig und bildet die subjektive Meinung des Autors ab. Für die wenigen berechtigten Kritikpunkte haben wir Gegensteuerungsmaßnahmen erarbeitet. Die Sicherheit unseres Systems war und ist zu jeder Zeit gewährleistet.“ Mehr wollte die Bahn auf unsere Fragen nicht antworten.



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