Görlitz: CDU-Ergebnis könnte sich als Pyrrhussieg erweisen – Tolerierungsmodell mit AfD als Ausweg?
„Der Untergang der Demokratie konnte durch die Nationale Front des demokratischen Deutschland verhindert werden“, ätzte die Parodieseite „Zusammen gegen Intoleranz“ (ZGI) als Reaktion auf das Ergebnis der Stichwahl um das Amt des Oberbürgermeisters von Görlitz am gestrigen Sonntag auf Facebook. „Viele Kulturschaffende sprachen sich im Vorfeld klar für den Sieger aus. Zeit für einen Zusammenschluss aller Blockparteien.“
Mit vereinten Kräften, Handreichungen, die sogar aus Hollywood kamen, und einem Last-Minute-Appell des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer selbst gelang es den übrigen Parteien, den Sieg des AfD-Kandidaten Sebastian Wippel zu verhindern. CDU-Kandidat Octavian Ursu behielt am Ende mit 55,2 Prozent die Oberhand.
Die CDU ist mit Blick auf die bereits im September anstehenden Landtagswahlen sichtlich bemüht, den Erfolg des „AfD-Verhinderungskandidaten“ Ursu als ihren eigenen Sieg darzustellen. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer schrieb auf Twitter, die CDU sei „die bürgerliche Kraft gegen die AfD“ – erst nach Protesten bedankte sie sich beim „breiten Bündnis“, das zustande gekommen sei, um dieses Ergebnis zu ermöglichen. Die Kandidatinnen der Grünen und der Linken, die im ersten Wahlgang die Plätze drei und vier belegt hatten, hatten auf eine Aufrechterhaltung ihrer Kandidatur verzichtet und so die Wahl des CDU-Kandidaten ermöglicht.
Wippel als Direktkandidat für Görlitz 2 wahrscheinlich
CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak erklärte: „Es ist auch ein großer Erfolg und Rückenwind für die sächsische Union unter Ministerpräsident Michael Kretschmer.“
Ob dem tatsächlich so ist, wird sich bereits im September zeigen. Noch in dieser Woche wird die AfD Sachsen entscheiden, ob sie Sebastian Wippel nun als Direktkandidaten für den Stimmkreis Görlitz 2 nominiert. Nach dem ersten Platz im ersten Wahlgang und dem Achtungserfolg am gestrigen Sonntag wird allgemein mit diesem Schritt gerechnet.
Tritt Wippel an, stünde er in direkter Konkurrenz zu Kretschmer, der sich in diesem Fall auf keine „Nationale-Front-Lösung“ wie Ursu in Görlitz verlassen könnte. Dass der Ministerpräsident in seinem Heimatwahlkreis nicht unschlagbar ist, hatte bereits 2017 der AfD-Kandidat Tino Chrupalla gezeigt, als er Kretschmer – damals noch Bundestagsabgeordneter – dessen Direktmandat abnahm.
„Sebastian Wippel hat mit fast 45 Prozent ein tolles Ergebnis erzielt“, meint AfD-Landeschef Jörg Urban. „Das wird ihm bei der Landtagswahl für das Direktmandat erheblichen Rückenwind geben. Ministerpräsident Kretschmer wird sich als Mitbewerber warm anziehen müssen.“ Nach der letzten Kommunalwahl sei man „als Volkspartei fest im Freistaat verankert“.
Landeschef Urban rechnet auch damit, dass sich die Bürger auf ihre Weise für die „undemokratische und anmaßende Politik“ erkenntlich zeigen werden, der es bei der OB-Wahl in Görlitz
nicht mehr um einen fairen, demokratischen Wettbewerb der besten politischen Konzepte ging, sondern dass alle etablierten Parteien die AfD um jeden Preis bekämpfen wollten“.
Vielen Menschen stoße das besonders in Ostdeutschland übel auf, die hier vor Jahren für mehr Meinungsfreiheit und gegen Gesinnungsdiktatur auf die Straße gegangen seien.
Mehrparteienbündnis würde auf Kosten der Substanz der CDU gehen
Die Wahlbeteiligung am Sonntag lag bei 56 Prozent und damit um 2,7 Prozent niedriger als im ersten Wahlgang. Inwieweit mit Blick auf die Landtagswahl hier noch Mobilisierungspotenzial besteht und vor allem zu wessen Gunsten, bleibt offen.
Umfragen zufolge könnten sich CDU und AfD im September ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz 1 liefern. Bereits jetzt gibt es wilde Spekulationen über mögliche Regierungskonstellation nach den Wahlen. Die Rede ist von Drei- oder Vierparteienkoalitionen, um die AfD in Schach zu halten.
In der CDU stößt diese Aussicht auf alles andere als Begeisterung – zumal die Optik verheerend wäre: Die einstmals stolze Freistaatspartei, die in Sachsen auf absolute Mehrheiten abonniert war und zum Teil sogar noch höhere Wahlergebnisse verbuchen konnte als die CSU in Bayern, müsste ein labiles Bündnis mit SPD, FDP und Grünen zimmern und zu Gunsten jeder einzelnen dieser Parteien Positionen räumen, die zu behaupten hunderttausende Sachsen die Union gewählt hätten.
Die einzige Alternative dazu wäre ein Schritt, den 1994 SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt gegangen waren: nämlich, eine bis dahin als „unberührbar“ geltende Partei, die in PDS umbenannte alte DDR-Staatspartei SED, in einen Tolerierungspakt einzubinden. Heute gilt Rot-Rot-Grün sogar im Westen als vollwertige Koalitionsoption.
Jörg Urban (AfD) will grüne Regierungsbeteiligung in Sachsen verhindern
Die Tolerierung einer CDU-Alleinregierung oder eines schwarz-gelben Bündnisses durch die AfD in Sachsen würde der Union Gestaltungsräume schaffen, die sie im Verbund mit linken Bündnispartnern nicht hätte. Für die AfD wäre ein solches Modell der erste Schritt hin zur Normalisierung als Teil des politischen Spektrums – und hin zu einer möglichen späteren Regierungsbeteiligung.
Auch der sächsische Landesvorsitzende der AfD, Jörg Urban, kann einer solchen Option grundsätzlich etwas abgewinnen. Gegenüber der Epoch Times äußert er:
Wir wollen nicht wieder in die Opposition, sondern als stärkste Partei regieren. Falls es dafür nicht reicht, wäre eine Tolerierung durch die AfD eine mögliche Variante für Sachsen. Wenn die CDU in ein Dreier- oder Viererbündnis mit den Grünen geht, nur um die AfD zu verhindern, dann wäre das deutlich schädlicher für den Freistaat.“
Die „grüne Verbotspartei“ würde „mit ihrer Klimahysterie die sächsische Wirtschaft und den Wohlstand der Bürger schädigen“. Zudem stünden die Grünen für „unbegrenzte Einwanderung aus bildungsfernen Kulturen und dem damit verbundenen Ausbluten der deutschen Sozialsysteme“.
Befreiungsschlag aus dem Osten?
Dass zuletzt sogar Altbundespräsident Joachim Gauck offen gegen einen Diskurs auftrat, der nach links keine Grenzen der Toleranz mehr kennt, aber andererseits bereits konservative Positionen, die noch vor wenigen Jahren offizielle CDU-Politik darstellten, unter Rechtsextremismus-Verdacht stellt, könnte manchen an der CDU-Basis Mut fassen lassen.
Gauck, der ein System kennt, das eine offene Debatte nur unter einseitigen und engen ideologischen Prämissen zulässt, scheint als politischer Ruheständler begriffen zu haben, dass eine stetige weitere Verschiebung des „Overton-Fensters“ und damit des Diskurses der „Mitte“ nach links das Ende einer pluralen Demokratie bedeuten würde.
Ein von der AfD toleriertes CDU-Kabinett im Freistaat würde ohne Zweifel die gesamte Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Eine solche würde der CDU im Fall weiterer verheerender Wahlniederlagen aber auch ohne einen solchen Schritt drohen. Die Zeiten, in denen die Union damit Wahlen gewann, dass sie sich als die Kraft der Stabilität und der Vernunft gegen linksideologische Experimente inszenierte, scheinen vorüber zu sein. Ein Befreiungsschlag aus dem Osten wäre da zumindest eine Chance, sich strategische Handlungsoptionen zurückzuerobern.
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