„Ich fühle mich völlig ungehört“: Prozessauftakt gegen Weimarer Familienrichter
Am Donnerstag, 15. Juni, gegen 9 Uhr begann am Erfurter Landgericht die Verhandlung gegen den Weimarer Familienrichter Christian Dettmar (60). Vor insgesamt rund 30 Zuhörern und Pressevertretern verlas zunächst die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift. Ihre Hauptvorwurf darin ist eine Rechtsbeugung, die sie im Beschluss Dettmars zur Aufhebung der Corona-Maßnahmen an zwei Weimarer Schulen im April 2021 sah.
Dettmar begründete dies, nachdem er damals drei umfassende Gutachten eingeholt hatte, mit einer in seinen Augen vorhandenen Kindeswohlgefährdung.
Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe Dettmar hingegen allein aus persönlichen „sachfremden“ Motiven mit Gutachten eine „unanfechtbare Entscheidung“ herbeigeführt, so der Vorwurf. Um das Wohl der Kinder soll es ihm dabei nicht gegangen sein, warf man dem dreifachen Vater vor.
Laut Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt, soll sich Dettmar „schwerwiegend und in elementarer Weise von Recht und Gesetz entfernt haben“.
„Wir gehen davon aus, dass sich der Angeklagte der Rechtsbeugung hinreichend verdächtig gemacht hat“, so Grünseisen gegenüber Epoch Times.
Der Beschluss Dettmars im April 2021 sah vor, dass die Maskenpflicht, das Abstandsgebot, die Schnelltestpflicht und der Online-Unterricht an der Pestalozzi-Grundschule und an der Pestalozzi-Regelschule in Weimar aufgehoben werden müssen.
„Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr“
Ausgangspunkt war dabei eine Mutter von zwei Jungen (8 und 14), die aufgrund der Corona-Maßnahmen an den beiden benannten Schulen eine Gefährdung für die körperliche, seelische und geistige Gesundheit ihrer Kinder sah. Daraufhin wandte sie sich an das Familiengericht und stellte einen Antrag auf Überprüfung nach § 1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls).
Wird diese durch eine gerichtliche Überprüfung bestätigt, „hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind“, heißt es unter Absatz 1.
Dettmar nutzt nach der Anklageverlesung die Möglichkeit, selbst Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen. Ausführlich und detailliert trägt er rund 45 Minuten lang ablesend seine Stellungnahme vor und geht dabei Punkt für Punkt auf die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Erfurt ein, für die er früher selbst tätig war.
Denn damals war er als Dezernent in der Abteilung der Staatsanwaltschaft Erfurt zuständig für Rechtsbeugungsverfahren gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte der DDR, führt er in seiner Stellungnahme aus.
„Gelegentlich wurden wir Dezernenten wegen unserer Bedenken zur Verfolgung wegen Rechtsbeugung zur Behördenleitung zitiert.“ Schon damals habe er viel über die „Scharnierstellen zwischen Staat und Justiz“ gelernt.
„Heute sitzen wir hier und ich weiß immer noch nicht warum“
„Seit Herbst 1996 bin ich am Amtsgericht Weimar tätig. Neben Betreuungs-, Unterbringungs- und Nachlasssachen habe ich durchgehend vor allem im Familienrecht gearbeitet“, sagt Dettmar.
Vor zwei Jahren habe das Ermittlungsverfahren gegen ihn begonnen. „Heute sitzen wir hier und ich weiß immer noch nicht warum.“
In seinen Auge hätte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsergebnisse seiner Stellungnahme im Zusammenhang wiedergeben und sich damit dezidiert auseinandersetzen müssen. „Doch das tut sie nicht. Ich fühle mich völlig ungehört.“ Und er erhebt weitere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft.
Immer wieder sei er von Familien darauf angesprochen worden, wie diese Maßnahmen sie und ihre Kinder belasteten. „Nicht wenige Kinder litten unter Kopfschmerzen und anderen Beschwerden, reagierten mit Schulunlust oder Schulverweigerung“, so Dettmar.
„Regelmäßig wurde ich auch gefragt, ob das nicht gerichtlich überprüft und zumindest eingeschränkt werden könne. Zugleich machten mir die meisten Familien aber deutlich, dass sie vor einer solchen gerichtlichen Überprüfung Angst hätten, weil sie in der Folge Repressalien für ihre Kinder befürchteten. Der Gedanke an Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB lag für mich als Familienrichter nun in der Luft.“
Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte
In den Wochen vor dem April 2021 fing er an, mit Kollegen vom Netzwerk KRiStA, dem Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte, über solche Fragen zu diskutieren.
Einer habe die Idee gehabt, die anstehenden Fragen über ein Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB zu prüfen. Der § 1666 Absatz 4 BGB hat folgenden Wortlaut: „(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.“
„Wir waren uns schnell einig, dass es vom Wortlaut der Vorschrift des § 1666 Absatz 4 BGB her keine Einschränkungen gibt, auch Lehrer und Schulleiter als Dritte im Sinne dieser Vorschrift zu betrachten, denen familiengerichtliche Weisungen erteilt werden können“, so Dettmar.
Dann habe man die Kommentarliteratur weiter geprüft. Eine obergerichtliche Entscheidung, die dem entgegengestanden hätte, habe man nirgends gefunden.
Amtsgericht Kassel entschied gegen öffentlich-rechtlichen Träger
Ganz im Gegenteil. Das Amtsgericht Kassel hatte 1996 beschlossen, dass ein „Dritter“ im Sinne von § 1666 Absatz 4 BGB auch eine psychiatrische Klinik mit einer geschlossenen Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie – und damit ein öffentlich-rechtlicher Verwaltungsträger – sein kann. Die Staatsanwaltschaft wirft Dettmar hingegen vor, als Familienrichter keine Entscheidungsbefugnis gegenüber einem öffentlichen Träger gehabt zu haben.
Auch habe Dettmar Artikel 3 der seit dem 15.07.2010 im Range eines Bundesgesetzes vorbehaltlos geltenden UN-Kinderkonvention als maßgeblich gesehen. Dort sei in Absatz 1 festgelegt, dass bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen sei, so der Richter. Und laut Absatz 2 müsste die BRD „den Schutz und die Fürsorge gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; und zu diesem Zweck alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen treffen“. Man sei sich einig gewesen, dass aus dieser Verpflichtung folge, Kindern zu ihrem Wohl ein amtswegiges Verfahren zur Verfügung zu stellen.
„Bin als Familienrichter verpflichtet, ein Verfahren einzuleiten“
Für ihn als Familienrichter sei es eine „blanke Selbstverständlichkeit“, dass man unmittelbar Betroffenen oder ihrem Umfeld nahelegen könne, geeignete Fälle von Kindeswohlgefährdung an das Familiengericht heranzutragen.
Und er geht noch weiter: „Als Familienrichter kann ich also von mir aus – und bin dazu sogar verpflichtet – ein solches Verfahren einleiten, wenn mir Umstände bekannt werden, die den Verdacht einer Kindeswohlgefährdung begründen.“
Doch initiiert habe er das Verfahren nicht. „Die Kindesmutter, die die Verfahren angeregt hat, hat die Angelegenheit von sich aus an das Familiengericht herangetragen.“
Auf die Anregung der Kindesmutter hin habe er dann am 15. März 2021 gemäß § 24 FamFG, § 1666 BGB in dieser Angelegenheit das Hauptsacheverfahren (9 F 147/21) und das einstweilige Anordnungsverfahren (9 F 148/21) eingeleitet.
„Qualifikation war für mich ausschlaggebend“
Auch die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, er habe die Gutachter bewusst gewählt, weil sie coronakritisch eingestellt wären, und es ergebe sich aus der Gutachterauswahl eine fehlende Objektivität, weist er zurück.
„Bei allen drei potenziellen Gutachtern war deren Qualifikation für mich das ausschlaggebende Kriterium.“ Alle drei später bestellten Gutachter seien promovierte und habilitierte Professoren an deutschen Universitäten, führt Dettmar aus:
- Frau Prof. Dr. med. Ines Kappstein, Hygienikerin, ist Fachärztin für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie sowie Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin;
- Herr Prof. Dr. Christof Kuhbandner ist Professor für Psychologie, Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie an der Universität Regensburg und Experte im Bereich wissenschaftlicher Methoden und Diagnostik;
- Frau Prof. Dr. rer. biol. hum. Ulrike Kämmerer vertritt am Universitätsklinikum Würzburg, Frauenklinik, insbesondere die Schwerpunkte Humanbiologie, Immunologie und Zellbiologie. Sie hat auf dem Gebiet der Virenerkennung promoviert.
Dass die drei Wissenschaftler Mitglieder des Vereins Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie e. V. (MWGFD) sind „oder zumindest zum damaligen Zeitpunkt gewesen sein sollen“, sei ihm bei seiner Entscheidung nicht bekannt gewesen. „Ich habe in meinem gesamten bisherigen Berufsleben noch nie einen Gutachter nach seinen Vereinsmitgliedschaften befragt. Meines Erachtens zählt allein die wissenschaftliche Qualifikation und die lag hier vor.“ Aus seiner Sicht habe er nur einen Fehler gemacht: Er habe „übersehen“, dass für einen Teil der Kinder an den beiden Schulen, eben nicht er, sondern eine Kollegin am Familiengericht zuständig gewesen sei. Aber „wo wäre hier die schwerwiegende Entfernung vom Recht“, fragt Dettmar.
Verteidiger: Vorwurf völlig abwegig
Für seinen Verteidiger Dr. h. c. Gerhard Strate aus Hamburg ist das Verfahren ein „Produkt einer politisch überhitzten Phase der Pandemiebewältigung“.
Sein Mandant habe sich von Gesetzes wegen um das Wohl der Kinder zu kümmern. Er habe entsprechende Anregungen von Eltern aufgegriffen und zwei Schulleitungen verboten, den Kindern aufzuerlegen, Masken zu tragen. „Das ist jetzt Vorwurf eines Rechtsbeugungsverfahrens gegen unseren Mandanten.“ Strate halte das für völlig abwegig. „Eigentlich müsste man jetzt wieder zur Normalität zurückkehren und die Kirche im Dorf lassen“, so Strate.
Zum Vorwurf der Befangenheit erklärt er: „Das ist natürlich Unsinn. Jeder Staatsanwalt, der eine Anklage erhebt, hat ein bestimmtes Vorurteil in Bezug auf den Angeklagten.“ Jeder Amtsrichter, der ein Verfahren einleitet wegen Kindeswohlgefährdung, habe sich natürlich eine Meinung darüber gebildet, ob die Gefahr tatsächlich bestehe. „Aus dieser Meinungsbildung macht die Staatsanwaltschaft – und das ist wirklich lächerlich – den Vorwurf einer Befangenheit.“
Zuhörerin: „Freispruch für Richter Christian Dettmar!“
Kurz nachdem der Richter den heutigen Verhandlungstag beendet hatte, meldet sich eine Frau aus dem Publikum lautstark zu Wort. Sie fordert einen Freispruch für den Richter Christian Dettmar. „Er gehört zu den wenigen, die zum Wohle des Kindes gehandelt haben“, begründet sie ihren Einwand.
Claudia May (72) hat als Zuhörerin den ersten öffentlichen Verhandlungstag miterlebt. Gegenüber Epoch Times erklärt sie anschließend: „Ich finde es absolut schrecklich, was hier abläuft, dass man einen Richter, der seinem Gewissen nach gehandelt hat, so vor Gericht zerrt.“ Für sie sei das „menschenrechtsverachtend“. Sie bedauere auch, wie man „einem so renommierten Anwalt wie Herrn Dr. Strate […] erklären will“, was Recht sei. „Ich habe das Ganze als Rechtsbeugung des Landgerichts hier verstanden.“
In zwei Wochen findet der nächste Verhandlungstag (29. Juni) statt, bei dem es die ersten Zeugenbefragungen geben soll. Danach sind weitere acht Termine angesetzt.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion