Immer mehr Ausbildungsplätze unbesetzt – Verbände klagen über Akademisierung

Die meisten Ausbildungsverträge beginnen im September. In diesem Jahr blieben 182.000 davon unbesetzt. Verbände wittern auch falschen Ehrgeiz bei Eltern.
Im September 2022 blieben 182.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.
Deutschland sucht Handwerker.Foto: iStock
Von 24. September 2022

Die meisten Ausbildungsverträge in Deutschland beginnen am 1. September. Dies liegt an der inneren Logik des dualen Ausbildungssystems, in dem die Berufsschulzeiten an den übrigen Schulbetrieb angepasst sind. Schon jetzt schlagen Verbände Alarm: Deutschlandweit bleiben in dieser Saison 182.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, weil sich keine Bewerber gefunden hätten.

Verbände wollen Umdenken erreichen

In der „Welt am Sonntag“ spricht Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), von einer drohenden Gefahr für die deutsche Volkswirtschaft. Selbst den von Akademikern geprägten politischen Entscheidungsetagen des Landes drohe ein Scheitern ihrer Prestigeprojekte: „Ohne das Handwerk werden wir auch die digitale und ökologische Transformation nicht auf den Weg bringen können“, erläuterte der Arbeitgeberpräsident.

Gegenüber dem Vorjahresvergleichsmonat sei die Zahl der nicht besetzten Lehrstellen sogar noch um weitere 20 Prozent angewachsen. Eine der Branchen, die mit 19,6 Prozent im Trend liegt, ist beispielsweise das Bäckerhandwerk.

Daniel Schneider, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, spricht von einer Krise der dualen Ausbildung und beklagt einen „Abitur- und Akademisierungswahn“. Die Gleichwertigkeit von Studium und Ausbildung müsse klarer herausgearbeitet und gegenüber Jugendlichen und Eltern kommuniziert werden.

Es sei ein Umdenken erforderlich mit Blick auf den gesellschaftlichen Stellenwert von regionaler Wertschöpfung und Handwerk. Offenbar sehen die Verbände in Eltern, die ihre Kinder zu einer akademischen Laufbahn drängen, einen wesentlichen Teil des Problems.

Zahl der Auszubildenden sank stark

Bereits Ende 2021 hatten sich, wie der „Spiegel“ berichtete, drei Prozent weniger Menschen in einer dualen Berufsausbildung befunden als im ersten Coronajahr 2020 – das entspricht insgesamt 1,26 Millionen Menschen. Im Laufe der 2010er-Jahre ist die Zahl der Auszubildenden um 14 Prozent gesunken. Dagegen ist im gleichen Zeitraum die Zahl der Menschen im typischen Ausbildungsalter zwischen 15 und 24 Jahren insgesamt nur um sechs Prozent zurückgegangen.

Dabei zieht sich der Trend nicht durch alle Berufe. Ausbildungen in Bereichen wie Einzelhandel, Büro, Kfz, Fachinformatik oder E-Commerce sind deutlich im Aufwind, dort ist die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen hoch. Auch in der Systemgastronomie gab es ein Plus von 18 Prozent. Demgegenüber waren Kochlehren weiter rückläufig. In der Tourismusbranche brach die Zahl der Neuverträge nach dem Absturz um 26 Prozent ein –  dabei ist die Nachfrage bereits 2020 um 61 Prozent zurückgegangen.

Besonders große Nachwuchsprobleme hat in Deutschland das Handwerk. Einer im Vorjahr durchgeführten Umfrage von 3M und Ipsos zufolge werden hier die Gehaltsaussichten in diesem Bereich als deutlich schlechter eingeschätzt als in weiteren ausgewerteten Ländern wie den USA, Großbritannien, Brasilien, Indien, Frankreich oder Mexiko.

In Deutschland gaben 72 Prozent der Befragten an, nicht im Handwerk tätig zu sein und auch noch nie darüber nachgedacht zu haben – im Vergleich zu etwa 56 Prozent in Frankreich. In Deutschland glauben zudem nur 49 Prozent der Befragten, mit einem Handwerksberuf ähnlich gute Gehälter erzielen zu können wie mit einer akademischen Ausbildung. Dabei sind sich 87 Prozent der deutschen Befragten durchaus im Klaren darüber, dass das Handwerk vielseitige Möglichkeiten bietet. 53 Prozent verfolgten jedoch andere berufliche Interessen.

Bereits zu dieser Gelegenheit warnte Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer vor einer „Überakademisierung“ in Deutschland und forderte in Anbetracht einer Viertelmillion fehlender Arbeitskräfte eine „Bildungswende“.

Bessere Ausbildung kann mehr Chancen im Handwerk eröffnen

Potenzial in diesem Bereich sieht die „Bertelsmann Stiftung“ unter anderem in Einwanderer-Communitys. Dort sei die Bereitschaft, ein Risiko als Existenzgründer einzugehen, deutlich höher als unter Bevölkerungsteilen ohne sogenannten Migrationshintergrund.

So sei die Zahl der Unternehmer mit Migrationshintergrund in Deutschland zwischen 2005 und 2018 um 36 Prozent auf 773.000 Selbstständige gestiegen – wobei die Gründungsbereitschaft bei Frauen mit einem Plus von 57 Prozent sogar überdurchschnittlich war. Demgegenüber ist die Zahl der Selbstständigen ohne Migrationshintergrund im gleichen Zeitraum um 275.000 gesunken.

Das Profil der Unternehmer mit Migrationshintergrund verändere sich ebenfalls. So sei mehr als die Hälfte der Selbstständigen mit Zuwanderungsgeschichte (55 Prozent) mittlerweile im Dienstleistungsbereich außerhalb von Handel und Gastronomie tätig.

Im Zuge der dualen Ausbildung und mit einer Steigerung der Zahl der Fachabschlüsse könnte sich auch für das Handwerk in dieser Bevölkerungsgruppe ein wachsendes Potenzial auftun.

Lindner ruft Klimaaktivisten zum Handwerk auf

Die Nachwuchsprobleme sieht auch Finanzminister Christian Lindner. „Man kann nicht nur für Klimaschutz demonstrieren, man muss auch Klimaschutz montieren und installieren“, erklärte Lindner (FDP) am 17. September. Am Tag des Handwerks war er bei der Meisterfeier der Handwerkskammer Dresden zu Besuch.

Es werde zwar viel über Klimaschutz und Energiewende gesprochen, „wenn es aber um das Machen geht, fehlen uns diejenigen, die Macherinnen und Macher werden wollen.“ Junge Klimaschützer sollten doch darüber nachdenken, ins Handwerk zu gehen. Es gebe gute Wachstumschancen hinsichtlich Solar, Wärmepumpen und hocheffizienten Gebäuden. „Das Handwerk verkörpert die besten Tugenden unserer sozialen Marktwirtschaft“, lobte Lindner, der selbst aus einer Handwerkerfamilie stammt: „Ich bin groß geworden in einer Backstube.“

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 63, vom 24. September 2022.



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