Impfstoff-Patente: Bundesregierung von Pharmaindustrie auf Kurs gebracht

Jetzt kamen Dokumente und Lobbyschreiben ans Licht, die einen Einfluss der Pharmaindustrie auf die Bundesregierung bei der Freigabe von Impfstoffpatenten nahelegen.
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Über die begrenzte Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe wurde monatelang debattiert. (Symbolbild)Foto: iStock
Von 11. September 2022

Deutsche Spitzenpolitiker sollen im Vorfeld des WTO-Kompromisses zu den Patentrechten für Corona-Impfstoffe und weiteren Präparaten gegen COVID-19 zu den Bremsern gehört und ihr Handeln eng mit den Herstellern und deren Lobbyisten abgestimmt haben. Dies berichtet das Portal „abgeordnetenwatch.de“ auf der Grundlage erfolgreich eingeklagter Unterlagen nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG).

Nach Gesprächen mit Herstellerunternehmen und Pharmalobbyisten sollen demnach sowohl Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel als auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck eine Kehrtwende gegenüber ihren ursprünglichen Positionen vollzogen haben.

„Ärzte ohne Grenzen“ kritisierte Einkaufspolitik reicher Länder

Im Juni war in Genf eine vorerst auf fünf Jahre beschränkte Kompromissregelung über den gewerblichen Rechtsschutz für Impfstoffe, Tests und Heilpräparate im Zusammenhang mit COVID-19 beschlossen worden. Zuvor war zwei Jahre lang auf internationaler Ebene um eine Lösung gerungen worden, die auch Entwicklungsländern einen besseren Zugang sichern sollte.

Schon zu Beginn der weltweiten Impfkampagnen gegen COVID-19 hatten sich Deutschland und andere reiche Staaten 80 Prozent der verfügbaren Impfstoffe gesichert, kritisierten damals Nichtregierungsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“. Frühstarter wie die USA oder Israel hätten sich von Beginn an sogar schon Vorräte für eine mögliche zweite oder dritte Impfung angelegt.

Demgegenüber hätten die ärmsten Länder, wie Elisabeth Massute, eine Sprecherin der Organisation, im April 2021 gegenüber dem „Deutschlandfunk“ kritisierte, lediglich 0,3 Prozent der weltweit zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Vakzine abbekommen. Die USA, Großbritannien oder die EU hätten auf dem Wege bilateraler Abkommen mit den Herstellern „den Markt leergekauft“.

Temporäre Aufhebung des Patentschutzes

Die weltweite Impfinitiative „COVAX“ hatte deshalb schon zu einem frühen Zeitpunkt die Forderung nach einem gleichmäßigeren Verteilungsmechanismus erhoben. Ihre Unterstützer sprachen sich für einen Impftechnologie-Transfer, Patentaussetzungen und einen Aufbau von weltweiten zusätzlichen Produktionskapazitäten aus. Nur so könne die Pandemie im globalen Maßstab effektiv bekämpft werden.

Gegner einer solchen Lösung gaben zu bedenken, dass der Patentschutz zum einen die Innovationsfähigkeit der Entwicklerunternehmen schütze, deren Anfangsinvestitionen hoch und risikoreich gewesen seien, und zum anderen garantiere, dass keine Nachahmerpräparate von minderer Qualität unter dem jeweiligen Markennamen in Umlauf gerieten.

Dem hielten Befürworter einer Aufhebung des Patentschutzes entgegen, dass ein erheblicher Teil der Anfangsinvestitionen aufseiten von Herstellerunternehmen wie BioNTech, Moderna oder Johnson & Johnson durch Subventionen der öffentlichen Hand aufgefangen worden seien – die erforderlich gewesen wären, um eine schnelle und breite Reaktion auf das Virus zu ermöglichen.

Zudem schaffe die Pandemie eine Ausnahmesituation, in der es von entscheidender Bedeutung wäre, die Impfstoffe möglichst allen Bedürftigen weltweit zukommen zu lassen. Den Herstellern, denen Milliarden durch die Verträge mit den reichen Staaten zugeflossen seien, wären dementsprechend kleinere Gewinneinbußen zuzumuten.

Nun sieht der Kompromiss so aus, dass dem WTO-Beschluss zufolge für die Dauer von fünf Jahren Unternehmen aus bestimmten Entwicklungsländern diejenigen Patente nutzen dürfen, die für die Herstellung und Lieferung von COVID-19-Impfstoffen erforderlich sind – ohne die Zustimmung der Inhaber wie BioNTech, Pfizer oder Moderna einholen zu müssen.

De facto müssen diese nun für diesen Zeitraum auf ihre Patente verzichten, um auch in armen Regionen wie Afrika eine Massenproduktion zu ermöglichen und die globale Kluft zwischen dem Norden und Süden auf diesem Gebiet zu überbrücken.

Die Patentinhaber hatten bis zum Schluss betont, die Produktion der Präparate sei viel zu kompliziert. Außerdem habe man alle infrage kommenden Partner bereits von sich aus eingebunden und mittlerweile werden ohnehin schon ausreichend Impfstoffe hergestellt.

Kehrtwende bei Merkel und Habeck

Sowohl in der alten als auch in der seit Ende des Vorjahres amtierenden Bundesregierung hatten sich Spitzenvertreter zu Beginn der Impfkampagne mehr oder minder deutlich dafür ausgesprochen, den Patentschutz für die Präparate infrage zu stellen. So erklärte die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel noch im April 2020, also zu einem Zeitpunkt, da ein solcher noch Zukunftsmusik war, ein zu entwickelnder Impfstoff gegen Corona müsse als „globales öffentliches Gut“ betrachtet werden.

Als Angela Merkel (CDU) zu Beginn der Corona-Pandemie im April 2020 einen künftigen Impfstoff als „globales öffentliches Gut“ bezeichnete, muss die deutsche Pharmaindustrie alarmiert gewesen sein. Einige Konzerne wie BioNTech forschten längst an einem COVID-19-Impfstoff, der gigantische Gewinne versprach. Würden die Impfstoffhersteller ihre angemeldeten Patente in Zukunft freigeben müssen, entgingen ihnen Einnahmen in Milliardenhöhe.

In einem Interview mit dem „Spiegel“ erklärte wiederum im Mai 2021, als bereits mehrere Impfstoffe auf dem Markt waren, der spätere Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit Blick auf die Patentdebatte: „Deutschland und die EU sollten sich den USA anschließen und sich bei der Welthandelsorganisation für eine Ausnahmeregelung einsetzen.“

Bereits am 24. Juni 2021 klang es bei der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel schon ganz anders. Nun hieß es: „Eine politisch erwirkte Freigabe der Patente halte ich für den falschen Weg“ – und die künftige Entwicklung von Impfstoffen sei nur dann gewährleistet, wenn „der Schutz des geistigen Eigentums nicht außer Kraft gesetzt wird“.

Robert Habeck wiederum äußerte am 26. Januar 2022 als dann schon Bundeswirtschaftsminister über die Patentfreigabe: „Nachdem ich nochmal intensiv mit den Unternehmen gesprochen habe, bin ich der Meinung, dass uns das nicht helfen würde.“

Wie abgeordnetenwatch.de in Erfahrung bringen konnte, hatte es bereits am ersten Tag Habecks im Amt, dem 8. Dezember 2021, ein Telefongespräch mit „zwei Führungskräften der obersten Leitungsebene“ von BioNTech gegeben – in dem es um die „Verfügbarkeit von COVID-Impfstoffen in Deutschland“ gegangen sei. Nähere Angaben oder Aufzeichnungen über den Inhalt seien nicht verfügbar.

Pfizer wurde schon früh bei Altmaier vorstellig

Reichhaltiger war die Ausbeute hingegen bezüglich der Interventionen und Kommunikation, die es vonseiten der Pharmaunternehmen und der Branchenverbände bei Mitgliedern der früheren Bundesregierung gegeben hatte. Zum Ende des Jahres 2020 sollen auch der designierte US-Präsident Joe Biden, dessen französischer Kollege Emmanuel Macron und Regierungschefs von mehr als 100 Mitgliedstaaten eine Patentfreigabe befürwortet haben.

Den Erkenntnissen von „Abgeordnetenwatch“ zufolge soll im Februar 2021 ein Vertreter des US-Konzerns Pfizer Habecks Vorgänger Peter Altmaier angeschrieben und in seiner Nachricht unterstrichen haben, dass geistiges Eigentum „ein entscheidender Bestandteil für das Entstehen von Innovationen“ sei.

Im darauffolgenden Mai warb auch der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in einem Schreiben an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht für den Patentschutz. Dieser sei „der Motor für Wachstum und Innovation“. Auch die Bundeskanzlerin erhielt demnach ein gleichlautendes Schreiben. Das Unternehmen Merck lobte im gleichen Monat den damals offenbar bereits eingetretenen Sinneswandel der Bundeskanzlerin, ihr Nein zur Patentfreigabe würde „eine der wichtigsten Säulen des europäischen Innovations-Ökosystems sichern“.

Massives Mail-Bombing im Vorfeld der WTO-Konferenz

Auch BioNTech-Mitgründer Uğur Şahin soll sich persönlich in einem Telefongespräch mit Merkel dafür eingesetzt haben, dass diese dem Vorhaben einer Patentfreigabe auf WTO-Ebene Widerstand entgegenbringt. Am 6. Mai 2021 soll er dazu mit der Kanzlerin telefoniert haben, schreibt der „Spiegel“.

Um sein Anliegen zu flankieren, übermittelte Şahin der Kanzlerin sogar noch per E-Mail – neben Dank für die Unterstützung – einen Text als Argumentationsgrundlage, um zu begründen, „warum eine Freigabe von Patenten nicht sinnvoll ist“.

Demgegenüber schrieben Wissenschaftler der Charité, der Leibniz-Institute und weiterer Forschungseinrichtungen an die Kanzlerin und Mitglieder der Regierung, der Patentschutz solle zumindest zeitweilig ausgesetzt werden, andernfalls wirke dieser sich „negativ auf die Bemühungen aus, die Weltbevölkerung zu impfen”.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wiederum richtete im Vorfeld der geplanten Beschlussfassung auf WTO-Ebene noch einmal ein dringliches Schreiben an mehrere Mitglieder der Bundesregierung, sich der Freigabe zu widersetzen, ähnliche Interventionen kamen von Verbänden von Arzneimittelherstellern, der Biotechnologie und der chemischen Industrie – einer der Briefe kam sogar von Boehringer, einem Unternehmen, das gar keine eigenen Impfstoffe gegen Corona herstellt.

Mittlerweile mehr als 300 Impfstoffe gegen Corona in der Entwicklung

Insgesamt sei der zustande gekommene Kompromiss, der am Ende erzielt wurde, ohnehin „unausgegoren“, erklärte der indische WTO-Vertreter und Textilminister Piyush Goyal. Zudem hätten Impfstoffe mittlerweile ohnehin an Bedeutung verloren. Die Nachfrage sei deutlich geringer als das Angebot.

Der internationale Branchenverband IFPMA bestätigt, dass mittlerweile ein Vielfaches dessen weltweit an Corona-Impfstoffen im laufenden Jahr hergestellt werden könnte, was tatsächlich an Bedarf vorhanden sei.

Mit Stand vom 15. Oktober 2021 verzeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 300 verschiedene Impfstoffkandidaten gegen COVID-19. Über 100 davon werden bereits in klinischen Studien an Menschen erprobt. Fast 200 Kandidaten befinden sich noch in der sogenannten vorklinischen Phase, in der die Substanzen zunächst an Zellkulturen und später auch in Tierversuchen getestet werden. Unter den Ländern, die eigene Präparate entwickeln, sind mittlerweile auch Ägypten, Usbekistan oder der Iran.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 61, vom 10. September 2022.



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