Industrieproduktion in Deutschland auf niedrigstem Stand seit Corona-Krise

Nachfrageflaute, Lieferschwierigkeiten, rückläufige Produktion und eine Inflationsrate wie zuletzt zur Ölkrise im Winter 1973/1974 lassen die Industrie ernüchtert in die Zukunft blicken. Der anfängliche Aufschwung der Industrieproduktion hat sich inzwischen aufgelöst.
Der Ukraine-Krieg belastet weite Teile der deutschen Wirtschaft. Das macht sich nun auch in den Prognosen der führenden Insitute bemerkbar.
Der Ukraine-Krieg belastet weite Teile der deutschen Wirtschaft. Das macht sich nun auch in den Prognosen der führenden Insitute bemerkbar.Foto: Jens Büttner/ZB/dpa
Von 6. Juli 2022

Der Konjunktur-Frühindikator für die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland (EMI) verzeichnet einen Rückgang der Industrieproduktion von 54,8 Punkten im Mai auf aktuell 52,0 und bestätigt damit ein verschlechtertes Ende des zweiten Quartals. Das ist der niedrigste Wert für die größte Volkswirtschaft Europas seit fast zwei Jahren.

„Die anhaltenden geopolitischen Spannungen und die damit verbundene Unsicherheit an den internationalen Märkten beeinträchtigen die Geschäftsabläufe vieler Unternehmen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich der EMI im Juni nur noch knapp über der Referenzlinie von 50 Punkten gehalten hat“, betonte Gundula Ullah, Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), am Montag in Eschborn.

Seit Januar hat sich der EMI-Teilindex Jahresausblick kontinuierlich verschlechtert. Somit dürfte die Lage in der deutschen Industrie nach Einschätzung von Ullah auch in den nächsten Monaten schwierig bleiben.

Abwärtsrisiken setzen Industrieproduktion zu

„Der jüngste EMI weist auf weitere Abwärtsrisiken hin. Nicht nur, dass die Angebotsseite weiterhin durch Lieferschwierigkeiten eingeschränkt wird. Jetzt lässt auch noch die Nachfrage nach“, kommentierte Dr. Gertrud R. Traud, Chefvolkswirtin der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, am Montag auf BME-Anfrage die aktuellen EMI-Daten. Die Kausalität bei Preisen gehe in beide Richtungen: Eine große Nachfrage treibt die Preise, aber nur bis zu einem gewissen Punkt.

„Ab dann können sich viele [Menschen] Güter und Dienstleistungen nicht mehr leisten. Dieser Punkt scheint bei Inflationsraten um die acht Prozent erreicht“, fügte die Bankdirektorin hinzu. Weiter sagte sie: „Die wirtschaftliche Entwicklung wird sich wohl weiter abschwächen. Sollten vonseiten der Lieferketten und des Ukraine-Krieges keine weiteren Preissteigerungen mehr kommen, ist davon auszugehen, dass auch der Gipfel bei den Inflationsraten erreicht ist. Bis es zu deutlich niedrigen Raten kommt, wird es aber wohl noch eine ganze Weile dauern. Die Stagflation zeigt alle ihre Facetten.“

„Die gefährdete Energieversorgung […] entwickelt sich immer mehr zum Rezessionsauslöser in vielen Volkswirtschaften Europas“, sagte Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, am Montag dem BME.

Zur jüngsten Entwicklung der Einkaufspreise gab Dr. Heinz-Jürgen Büchner von der Deutschen Industriebank AG am Montag folgende Einschätzung: „Der Preisrückgang bei den börsennotierten Rohstoffen setzte sich im Juni weiter fort. Hauptgrund ist die Sorge, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine länger dauert und eine Rezession in Europa zur Folge hat.“

Gleichzeitig sinken die Börsenbestände und seien bei Aluminium auf den niedrigsten Stand seit über 15 Jahren gefallen. „Sollte es nach dem Sommer zu einer Belebung der Nachfrage kommen, dürften starke Preisauftriebe die Folge sein.“ Am meisten befürchte die deutsche Industrie aber einen möglichen kompletten Lieferstopp von russischem Erdgas schon im Juli.

Inflationsrate wie zuletzt im Winter 1973/1974

Im Juni 2022 stiegen die Verbraucherpreise in Deutschland gegenüber dem Vorjahresmonat um 7,6 Prozent.

„Die Inflationsrate erreichte damit im dritten Monat in Folge einen neuen Höchststand im vereinigten Deutschland. Hauptursache für die hohe Inflation sind nach wie vor Preiserhöhungen bei den Energieprodukten. Aber wir beobachten auch Preisanstiege bei vielen anderen Gütern, besonders bei den Nahrungsmitteln“, sagt Dr. Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes (Destatis).

„Eine ähnlich hohe Inflationsrate gab es zuletzt im Winter 1973/1974 im früheren Bundesgebiet, als infolge der ersten Ölkrise die Mineralölpreise stark gestiegen waren“, so Thiel weiter.

Die Entwicklung der Industrieproduktion im Überblick

Das rückläufige Produktionsniveau sorgte dafür, dass das zweite Quartal das schlechteste seit zwei Jahren ist. Während einige Hersteller über Lieferengpässe klagten, fuhren andere ihre Fertigung angesichts der sinkenden Nachfrage, sowohl im Inland als auch vom Ausland, gezielt herunter.

Der Rückgang der Neuaufträge hat sich mit Beginn des Sommers weiter beschleunigt. Er fiel damit auf den niedrigsten Stand seit Mai 2020. So verbuchten etwa 30 Prozent der Umfrageteilnehmer ein Minus beim Auftragseingang. Ursache sehen die Unternehmer in hohen Preisen, der zunehmenden Unsicherheit an den Märkten, dem schleppenden Exportgeschäft oder der Sättigung der Nachfrage nach Ende des Lockdowns.

Die Neuaufträge aus dem Ausland schrumpften den vierten Monat in Folge. Viele Befragte machten für die anhaltend rückläufige Nachfrage aus China die dortigen lokalen Lockdowns verantwortlich. Erhebliche Geschäftsverluste sei auch die Folge des Krieges in der Ukraine.

Ernüchternder Jahresausblick

Deutschlands Hersteller schätzten ihre Geschäftsaussichten binnen Jahresfrist so schlecht ein wie zuletzt im Mai 2020, als weitreichende Corona-Maßnahmen Wirtschaft und Gesellschaft großflächig einschränkten. Große Sorgen bereiten den Befragten dabei insbesondere die rückläufige Nachfrage, die hohe Inflation und die anhaltenden Lieferprobleme.

(Mit Material des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME))



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