Innenminister uneinig über Beobachtung von „Querdenken“ durch Verfassungsschutz

Baden-Württemberg hat bekanntgegeben, dass der Verfassungsschutz des Landes die „Querdenken“-Bewegung beobachten wird, die sich gegen die Corona-Maßnahmen der Politik in Bund und Ländern richtet. Die Initiatoren wittern einen „Spaltungsversuch“ der Protestbewegung.
Titelbild
Die Querdenken-Demo-Teilnehmer bilden während der gewaltsamen Auflösung durch die Polizei eine Menschenkette um ihr Versammlungsrecht zu erhalten.Foto: Epoch Times
Von 11. Dezember 2020

Die Initiatoren der Bewegung „Querdenken 711“ sehen sich zu Unrecht ins Visier des Verfassungsschutzes genommen. Nachdem das Land Baden-Württemberg am Mittwoch (9.12.) offiziell bekannt gegeben hat, die Führungsetage der Bewegung „Querdenken“ künftig vom Landesamt für Verfassungsschutz mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, denken nun auch weitere Länder über einen solchen Schritt nach.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der thüringische Innenminister Georg Maier, geht davon aus, dass etwa ein Drittel der Teilnehmer an den Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen der „rechtsextremen Szene“ zuzuordnen sei. Die Voraussetzungen für eine Beobachtung noch nicht erfüllt sieht hingegen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

„Aktuell größte Demokratiebewegung Deutschlands aus der Mitte der Gesellschaft“

In einer Presseerklärung von „Querdenken 711“ weist man die Darstellungen zurück. Man sei, so heißt es in der Mitteilung, vielmehr „aktuell die größte Demokratiebewegung Deutschlands aus der Mitte der Gesellschaft“.

In den Reihen der Initiative sieht man die angekündigte Beobachtung als „extremistische Bewegung“ durch den Verfassungsschutz als einen „weiteren Versuch der Regierung an, friedliche Demonstranten einzuschüchtern und über diese Nachricht zu spalten – nachdem bisher alle klassischen Spaltungsversuche durch üble Nachrede gescheitert sind“.

Aus einer Pressemitteilung, in der Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl und die Chefin des Landesamtes für Verfassungsschutz, Beate Bube, die Beobachtung von „Querdenken“ begründeten, so deren Pressestelle, „gehen nur allgemeine, völlig substanzlose Gerüchte und Anschuldigungen hervor“ und keine tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Dies erinnere an „bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung“, heißt es in der Erklärung weiter.

„Hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung“

In der angesprochenen Presseerklärung hieß es jedoch, es lägen „hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung vor“, weshalb der Verfassungsschutz „schnell und entschlossen gehandelt“ habe, sobald die Voraussetzungen für eine Beobachtung vorgelegen hätten.

Diese bestreiten die Organisatoren von „Querdenken“. In diesem Zusammenhang berufen sie sich insbesondere auf Ergebnisse von Studien wie jüngst jener des Forscherteams um den Soziologen Oliver Nachtwey von der Universität Basel. Dieser zufolge sympathisiere ein erheblicher Teil der Kundgebungsteilnehmer von „Querdenken“ mit Parteien wie den Grünen und der Linkspartei. Zudem fehle der Zuspruch zu klassischen rechtsextremistischen Agitationsthemen wie Fremden- oder Islamfeindlichkeit.

Die Studie spreche eindeutig gegen die Belastbarkeit von Vorwürfen gegen die Bewegung:

Wir warten auf die vollständige Veröffentlichung der Studie und gehen davon aus, dass die ‚verdeckten antisemitischen Stereotype‘ in der Querdenken-Bewegung ebenfalls geringer ausgeprägt sind als in der Gesamtbevölkerung.“

Verfassungsschutz beanstandet NS-Vergleiche und „QAnon“-Anleihen

Strobl und Bube betonen selbst, die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der „Querdenken“-Demonstrationen seien keine Extremisten. „Kritik an staatlichem Handeln und Demonstrieren sind Teil unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, versichert der Innenminister in seiner Erklärung.

Dennoch wittern Innenministerium und Verfassungsschutz im Ländle verfassungsfeindliche Tendenzen bei „Querdenken“ vor allem in der Ebene des „Führungspersonals“.

Die Initiatoren von „Querdenken“ betonen, es gehe der Bewegung lediglich um das „Einfordern der Wiederherstellung aller Grundrechte, das Insistieren auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit und die Wahrnehmung konstitutiver Grundrechte“.

Extremistische oder gewaltaffine Elemente, die in „unliebsamen politischen Bewegungen“ auftauchten, seien „erfahrungsgemäß“, so deutet „Querdenken 711“ an, häufig „V-Leute“, die als sogenannte „Agents Provocateurs“ eingeschleust würden und Gewalttaten provozieren sollen.

In diesem Zusammenhang forderte man die Verfassungsschutzbehörden dazu auf, „öffentlich zu erklären, dass in die Querdenken-Demonstrationen und Querdenken-Organisation keine V-Leute eingeschleust worden sind“.

Schwierige juristische Gratwanderung

Was die Möglichkeiten von „Querdenken 711“ anbelangt, rechtlich gegen die Beobachtung vorzugehen, werden Anwälte der Bewegung voraussichtlich schon bald nach Möglichkeiten Ausschau halten, sich auf der Grundlage bisheriger Judikatur zur Wehr zu setzen.

Dabei urteilten oberste Gerichte bislang zum Beispiel, dass aus der Teilnahme von Extremisten nicht pauschal auf den Gesamtcharakter einer Veranstaltung oder auf die Motivation der Beteiligten rückgeschlossen werden dürfe und eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich sei.

In einer weiteren Entscheidung bezüglich der Beobachtung einer Publikation durch den Verfassungsschutz hieß es vonseiten des Bundesverfassungsgerichts, die „bloße Kritik an Verfassungswerten“ reiche „nicht als Anlass aus, um eine verfassungsfeindliche Bestrebung […] zu bejahen oder allein deshalb die negative Sanktion einer Veröffentlichung in den Verfassungsschutzberichten zu ergreifen“.

Da eine Erwähnung als verfassungsfeindliche Bestrebung etwa im Verfassungsschutzbericht nach gefestigter Rechtsprechung den Charakter einer Warnung vor einer Vereinigung, einer Person oder einem Projekt aufweist, ist jedenfalls von einer mittelbaren Wirkung der Verfassungsschutzberichte auf die Grundrechte der Akteure hinter „Querdenken 711“ auszugehen.

In diesem Fall wäre, nimmt man die bisherige Argumentationslinie der Rechtsprechung zum Maßstab, davon auszugehen, dass die Beobachtung durch den Verfassungsschutz den Zweck verfolgen soll, Normalbürger ohne extremistische Anliegen von der Teilnahme an Demonstrationen abzuschrecken.

(Mit Material von afp)



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