Internationale Studie: Jeder vierte Grundschüler hierzulande kann nicht gut lesen
Die jüngsten Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU 2021) zeigt, dass die Lesekompetenz im Vergleich zu 2001 in Deutschland bei Grundschülern deutlich gesunken ist, berichtet der Berliner Bildungssenat auf seiner Website. Die Ergebnisse wurden am 16. Mai veröffentlicht.
Rund ein Viertel der Grundschüler erreicht nach internationalem Standard keine ausreichende Lesekompetenz und muss dementsprechend mit großen Schwierigkeiten im weiteren Verlauf der Schul- und Berufszeit rechnen.
In der Gruppe der 16 Länder und Regionen, die schon seit 2001 dabei sind, ist nur in Schweden und in den Niederlanden die Lesekompetenz noch stärker gesunken.
Die Ergebnisse der IGLU-Studie belegen, dass die mittlere Lesekompetenz der Viertklässler in Deutschland im Vergleich zur ersten Erhebung im Jahr 2001 signifikant zurückgegangen ist. Damit liegt die mittlere Lesefähigkeit der Viertklässler in Deutschland nahe am Durchschnitt der teilnehmenden EU-Länder (527 Punkte).
Länder wie Italien, Bulgarien, Polen, Finnland oder England stehen deutlich besser da. Weltweit haben sich 65 Staaten und Regionen beteiligt. Singapur erreicht mit 587 Punkten den Spitzenwert, gefolgt von Hongkong und der Russischen Föderation.
Nur 141 Minuten wird im Unterricht gelesen – pro Woche
IGLU testet die Lesekompetenz, erfasst die Einstellung zum Lesen und die Lesegewohnheiten von Schülern in der vierten Klasse im internationalen Vergleich in einem 5-Jahres-Zyklus. Die Ergebnisse der 2021er-Erhebung zeigen auch, dass der Anteil der guten bis sehr guten Leser zurückgegangen ist. Im Jahr 2021 betrug dieser 39 Prozent, während es im Jahr 2001 noch 47 Prozent waren.
Der Anteil der Schüler, die nicht die mittlere Kompetenzstufe III erreichen, hat zugenommen: 2021 war es jeder Vierte (25 von 100 Schülern), 2001 waren es 17 von 100 Schülern.
In Deutschland gibt es weiterhin große Unterschiede zwischen den lesestärksten und -schwächsten Schülern. Die Leistungen weichen bis zu 77 Punkten voneinander ab. Damit sind die Leistungsunterschiede deutlich gestiegen – denn 2001 waren es 67 Punkte.
Besonders deutlich ist der Leistungsrückgang in den Jahren zwischen 2016 und 2021. Ab 2015 setzte eine Massenmigration in die EU und besonders nach Deutschland ein. Der negative Trend wurde allerdings schon 2006 sichtbar.
Soziale und migrationsbedingte Unterschiede bei den Lesekompetenzen haben sich seit 2001 kaum verändert und fallen im internationalen Vergleich besonders hoch aus. Kinder, die zu Hause manchmal oder nie Deutsch sprechen, erreichen deutlich schlechtere Leseleistungen als Kinder, die zu Hause Deutsch sprechen.
Die Lesezeit im Unterricht ist bei den Viertklässlern mit durchschnittlich 141 Minuten pro Woche vergleichsweise gering. In den OECD-Staaten insgesamt liegt der Mittelwert bei 205 Minuten.
„Pandemie und Migration nur teilweise für Leistungsabfall verantwortlich“
Nele McElvany, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund und wissenschaftliche Leitung der IGLU-Studie 2021 sagte, dass die pandemiebedingten Beeinträchtigungen und die sich verändernde Schülerschaft nur teilweise für den Leistungsabfall verantwortlich seien.
Die ergriffenen Maßnahmen in den letzten 20 Jahren hätten „kaum Wirkung im Hinblick darauf gezeigt, den Bildungserfolg sowie Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland zu verbessern“, erklärte sie zur Vorstellung der Ergebnisse.
Während es in Deutschland weiterhin eine starke Verknüpfung von familiärer Herkunft und schulischem Erfolg gäbe, zeigten die Befunde anderer Teilnehmerstaaten, dass soziale Disparitäten und migrationsbezogene Unterschiede „keinen unausweichlichen Automatismus darstellen müssen“.
„Die Ergebnisse der IGLU-Studie sind ernüchternd“
„Die Ergebnisse der IGLU-Studie sind ernüchternd“, kommentierte auch Katharina Günther-Wünsch, Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Berliner Senatorin für Bildung, Jugend und Familie. Die Ergebnisse der Studie zeigten, wie wichtig weitere intensive Maßnahmen sind. „Wir Länder müssen gemeinsam nach schnellen, wirksamen und nachhaltigen Lösungen suchen. Die Unterstützung durch den Bund ist hierbei außerordentlich wichtig.“
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sagte, dass eine bildungspolitische Trendwende dringend nötig sei. „Gut lesen zu können, ist eine der wichtigsten Grundkompetenzen und das Fundament für Bildungserfolg.“
Dr. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, sagte, dass diese Abwärtsspirale dringend gestoppt werden müsse. „Wir müssen erreichen, dass für jedes Kind Vorlesen fester Bestandteil von frühester Kindheit ist. Wir wissen, dass Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wurde, später ihren Kindern eben auch regelmäßig vorlesen. Ein paar Minuten am Tag machen bereits einen Unterschied.“
Das Autorenteam der IGLU-Studie empfiehlt für Deutschland folgende Maßnahmen:
- Prioritätensetzung auf eine verbesserte Lesekompetenz und Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtszeit für Leseaktivitäten
- Qualitätsvoller Leseunterricht für alle, sowie differenzierte Förderung in homogenen Kleingruppen für Kinder mit Unterstützungsbedarf
- Individuelle Unterstützung für Kinder mit besonderem Förderbedarf
- Systematische individuelle Diagnostik
- Aus- und Weiterbildung der Grundschullehrkräfte im Bereich der Lese- und Sprachförderung
- Frühe und systematische Sprachförderung im Bildungssystem von der Kita an
Die Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung ist eine Schulleistungsstudie zur Feststellung der Lesekompetenz von Schülern der 4. Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Dabei stehen nicht die individuellen Leistungen der einzelnen Schüler im Mittelpunkt, sondern die Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen im internationalen Vergleich. IGLU ist Teil der Gesamtstrategie der Kultusministerkonferenz zum Bildungsmonitoring. (er)
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