IWF gibt Deutschland Mitschuld an Handelskonflikten
Der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), Maurice Obstfeld, weist Deutschland eine Mitverantwortung zu für die Spannungen in der internationalen Handelspolitik. Zudem trage Deutschland dazu bei, dass das Risiko einer neuerlichen Finanzkrise steige.
„Alle Länder, auch Deutschland, stehen in der Verantwortung, die globale Finanzstabilität zu schützen“, schreibt Obstfeld in einem Gastbeitrag für die „Welt“.
Unter dem Titel „Globale Ungleichgewichte schaden dem Freihandel“ verweist der renommierte Ökonomieprofessor auf Deutschlands „unverhältnismäßigen“ Leistungsbilanzüberschuss. Dieser positive Saldo ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass Deutschlands Exporte die Importe bei Weitem übersteigen.
Zwar gehe von den gegenwärtigen Ungleichgewichten noch „keine unmittelbare Gefahr“ aus. Doch die Weichen stünden „auf eine weitere Ausdehnung“ und damit auf eine mittelfristige Bedrohung der globalen Finanzstabilität. Dennoch beobachte man „in Überschussländern wie Deutschland allenfalls zaghafte Maßnahmen, den Überschüssen entgegenzuwirken“, so Obstfeld. „Die Nettoauslandspositionen werden also weiter auseinandergehen. Damit steigt das Risiko von Störungen durch Währungs- und Vermögenspreisanpassungen in verschuldeten Ländern zum Schaden aller. Denn wenn es zu plötzlichen Anpassungen kommt, leiden darunter sowohl Schuldner- als auch Gläubigerländer.“
Obstfeld fordert von der deutschen Politik, den „fiskalischen Spielraum“ auszunutzen, „um durch eine sinnvolle Erhöhung der Staatsausgaben die heimische Nachfrage anzuschieben, etwa durch Investitionen in Infrastruktur oder Digitalisierung“.
Strukturreformen, die Firmen zu Investitionen in der Heimat anreizen, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit und „höhere Lohnabschlüsse“ seien ebenfalls sinnvoll. In Deutschland stoßen Diagnose wie Rezepte des IWF auf ein geteiltes Echo. Hans-Werner Sinn, Ex-Präsident des Ifo-Instituts, sagte der „Welt“: „Dass Amerika große Defizite und Deutschland große Überschüsse hat, liegt daran, dass die USA über ihre Verhältnisse leben und sich im Ausland verschulden, während Deutschland bereit ist, den überzogenen Lebensstandard der USA mitzufinanzieren, indem es auf Konsum und Investitionen verzichtet. Wer sich hier an seine Nase fassen sollte, ist zunächst einmal offen.“
Volker Treier, Vizehauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), weist zudem darauf hin, dass der Leistungsbilanzüberschuss „nicht politisch angeordnet“ sei: „Er entsteht, weil Kunden überall auf der Welt sich für deutsche Qualitätsprodukte entscheiden.“
Der DIHK und auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sind der Auffassung, dass mehr öffentliche Investitionen und bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen geeignete Mittel sind, die bestehenden Überschüsse zu reduzieren. „Die Anreize für private Investitionen müssen in vielen Feldern gestärkt werden“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. „Dazu zählt die Absenkung der steuerlichen Belastung für Unternehmen, die Einführung der steuerlichen Forschungsförderung sowie die energetische Gebäudesanierung.“
Sachverständigenratsmitglied Peter Bofinger hält vor allem die investiven Ausgaben des Staates für zu gering: „Die öffentlichen Bruttoinvestitionen sind nach wie vor geringer als die Abschreibungen, sodass der Staat buchstäblich von der Substanz lebt.“
Auf Gewerkschaftsseite wiederum wird die Notwendigkeit betont, die private Nachfrage zu stärken. Um höhere Importe „zu ermöglichen, müssen die reichlich vorhandenen fiskalpolitischen Spielräume genutzt und das Dogma der schwarzen Null beerdigt werden“, sagte der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Zudem müsse „die Tarifbindung deutlich erhöht“ und der Niedriglohnsektor zurückgedrängt werden. (dts)
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