Jiang Zemin wollte ‚Tiananmen’ gegenüber dem Ausland herunterspielen

Günter Schabowski im Gespräch mit Epoch Times: "Investoren sind überhaupt keine Demokratie, sondern sie helfen nur, das System besser zu finanzieren."
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"Herunterspielen" wollten die KP-Machthaber das Ereignis Tiananmen nur zu gern - bis heute. (64memo.com)
Epoch Times3. Juni 2009

Berlin – Epoch Times befragte Günter Schabowski über die damalige Beurteilung und Reaktion in der SED der ehemaligen DDR auf das Tiananmen-Massaker.

Günter Schabowski war zur Zeit des 4. Juni 1989 SED-Funktionär und Mitglied des Politbüros des ZK der SED in der ehemaligen DDR. Berühmt wurde er, als er am Abend des 9. November 1989 auf einer internationalen Pressekonferenz, die live im DDR-Fernsehen übertragen wurde, die Nachricht über eine neue Reiseregelung verlas. Das führte zum Fall der Berliner Mauer.

Epoch Times: Sie haben China besucht kurz nach dem Tiananmen-Massaker. Sie waren dort mit Egon Krenz. Haben Sie dort Jiang Zemin getroffen und mit ihm gesprochen?

Günter Schabowski: Ich habe mit Jiang Zemin gesprochen, ja. Ich bin nach China gefahren mit der Zustimmung von Erich Honecker, auf Einladung der Chinesischen Kommunistischen Partei in Peking. Als ich ihm sagte, dass ich nach China fahren würde, hatte er Bedenken. Die Tiananmen-Geschichte war ihm nicht so sympathisch. Er sagte mir: Bitte, versuche zu ermitteln, wie sich die chinesische Führung dazu verhält. Und Jiang Zemin war auch sofort bereit, eine Begegnung stattfinden zu lassen.

Jiang Zemin erläuterte dann in einem versöhnlich gehaltenen Stil, dass es provoziert wurde, dass aber die Führung keinerlei Interesse daran habe, die Situation zu verschärfen. Das sollte Honecker mitgeteilt werden. Das war die Auskunft, die wir bekommen hatten, also eher der Versuch einer Distanzierung von den Vorgängen.

Natürlich, einerseits, man sei durch die Situation dazu gezwungen worden, aber es sei keine Position, ‚die wir besonders bekräftigen wollen oder die wir als besonders positiv empfinden‘ – sondern es war eher mit einem Anflug von Peinlichkeit, mit dem er darüber sprach. Offen zwar, aber sinngemäß: ‚Wir möchten das nicht als die prinzipielle Haltung der chinesischen Führung in Bezug auf solche Stimmung verstanden wissen. Sie ist letztlich rechtfertigend provoziert worden durch die Studenten.‘

Epoch Times: Waren Sie der Erste aus der DDR, der nach dem Tiananmen-Massaker China besucht hat?

Schabowski: Zur selben Zeit war Modrow da. Ich hatte noch versucht, ihn mitzunehmen, im Flugzeug zurück, aber er wollte nicht. Er ist ein paar Tage später zurück gefahren. Was er in Peking gemacht hat, weiß ich nicht. Modrow war Bezirkssekretär von Dresden, ich war als Bezirkssekretär von Berlin dort.

Epoch Times: Wie haben Sie vom Tiananmen-Massaker erfahren, und was war Ihre Reaktion? Können Sie sich noch daran erinnern?

Schabowski: Erfahren haben wir es durch die Medien – es ist nun so lange her, dass ich es gar nicht mehr so genau weiß. Im Grunde haben die westlichen Medien als erste darüber berichtet. Und wenn die DDR davon berichtete, dann relativ vorsichtig: was bedeutet das? Aber auch keine Verärgerung mit der chinesischen Führung. Denn die chinesische Führung hatte schon versucht, sich als reformerisch darzustellen. Und es war ja ein schwerer Strich durch die Rechnung, dass es zum Tiananmen-Ereignis kam. Wir haben natürlich beobachtet, was bedeutet das – aber ich kann mich nicht erinnern, dass es eine erstrangige Bedeutung hatte. Es hatte schon eine große Bedeutung, sonst hätte Honecker nicht gesagt, du kannst da hinfahren auf Einladung des Pekinger Parteisekretärs, aber bitte sich darüber informieren, was da war und wie es zustande kam.

Epoch Times: Die Armeen wurden hingeschickt und es gab militärische Signale, die man erkennen konnte. Waren Sie überrascht, dass Panzer eingesetzt wurden?

Schabowski: In gewisser Hinsicht waren wir schon überrascht, wenn ich mich erinnere. Jiang Zemin stand doch in dem Ruf, in Shanghai eher kapitalistische Entwicklungen oder Tendenzen zu ermöglichen. Er hat schon ein Jahr nach dem Ereignis die Amerikaner eingeladen nach Shanghai, zu investieren. Das war es doch, was sich kurz nach dem Tiananmen-Ereignis bemerkbar machte: man muss Investoren herholen.

Das war dann immer der Ausweis zur Demokratie. Was natürlich Blödsinn war, denn Investoren sind überhaupt keine Demokratie, sondern sie helfen nur, das System besser zu finanzieren.

Epoch Times: Und die SED? Wie war damals die Reaktion, hat man gedacht, in China ist es so weit gekommen – können wir daraus eine Lektion lernen?

Ein Aufmarsch von Militär, der zum Massaker führte.  (64memo.com) 
Ein Aufmarsch von Militär, der zum Massaker führte. (64memo.com)

Schabowski: Nein – ich kann nicht für Honecker urteilen, was er daraus an Schlussfolgerungen gezogen hat, ich kann mir nicht vorstellen, dass er in dieser Situation besonders an China gedacht hat. Aber falsch ist, dass Egon Krenz, der, als sich die Situation in der DDR zuspitzte, als er zum 1. Oktober, zum Nationalfeiertag, nach China geschickt wurde, etwa zurückkam – das ist ja das, was ihm immer angehängt wird – ich habe wirklich keine Neigung, Herrn Krenz als großen Freiheitsmenschen herauszustellen, aber ich werde mich immer dagegen wenden, dass Krenz mit der Maßgabe nach China gefahren sei, festzustellen, wie man einen Aufstand niederschlägt.

Als er nach China geschickt wurde, war ja längst die Konspiration gegen Honecker im Gange. Wir waren uns darüber im Klaren, Honecker muss weg, wir brauchen eine Grenzregelung. Es war klar, nach der Flucht musste eine Grenzöffnung, eine Reiseregelung her. Die würde mit Honecker nicht zu machen sein, deshalb würde Honecker weg müssen.

Und diese Führung, die sich da zusammenfand, diese konspirative Gruppe, die wusste, sie ist angewiesen auf Finanzen durch die Bundesrepublik. Also wenn etwas in der Art von Tiananmen passiert in der DDR, dann kann sich diese Führung völlig verabschieden. Weil die Bundesrepublik nicht einen Finger krumm machen würde, um solche Leute, die ein Blutbad organisieren, zu unterstützen.

Und Krenz kam mit der ausgeprägten Tendenz zurück, dass Tiananmen für die Führung offiziell, also gegenüber dem Ausland, keine besonders zu betonende Rolle spielen sollte, sie wollten es herunterspielen.

Das Gespräch führte Lea Zhou

 

 



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