Keine Entmachtung der erfolgreichen Staatsanwältin: NRW-Justizminister wechselt den Kurs bei Cum-Ex-Ermittlungen
Unerwartete Wende bei der Kölner Staatsanwaltschaft: Am vergangenen Donnerstag verkündete NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) im Rechtsausschuss des Landtages, dass die mit den Cum-Ex-Ermittlungen befasste Hauptabteilung um vier weitere Staatsanwälte aufgestockt werden soll.
Diese sollen sich spätestens 2024 um die strafrechtliche Aufarbeitung des Steuerskandals kümmern. Die Hauptabteilung wächst so auf 40 Planstellen an. Alleinige Abteilungschefin bleibt Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker.
Ursprünglich die Entmachtung geplant
Diese Entscheidung des Ministers verwundert vor allem deshalb, weil es bis dahin noch ganz anders klang. Die Hauptabteilung sollte aufgeteilt werden. Neben Brorhilker sollte Ulrich Stein-Visarius als zweiter Chefermittler installiert werden. Die bisherige erfolgreichste Ermittlerin im Cum-Ex-Skandal hätte die Hälfte ihres Personals und ihrer Fälle abgeben müssen. Sie hätte auch die Entscheidungshoheit bei den Ermittlungen verloren.
Kritiker sahen damals in dem geplanten Schritt eine Entmachtung der Oberstaatsanwältin, die seit 2013 erfolgreich ermittelt gegen Banker, Berater und Aktienhändler, die sich Milliarden an Steuern erstatten ließen, welche sie zuvor nicht gezahlt hatten. Die ersten wegweisenden und inzwischen rechtskräftigen Urteile des größten deutschen Steuerskandals beruhen vor allem auf Brorhilkers Anklagen.
Gerade erst brachte die Oberstaatsanwältin auch den Cum-Ex-Skandal der Hamburger Privatbank Warburg vor Gericht. Mit dem ehemaligen Warburg-Chef Christian Olearius sitzt gerade ein Mann auf der Anklagebank, der auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Bedrängnis bringen könnte. Könnte die geplante Entmachtung Brorhilkers ein politischer Schachzug sein? Dieser Vorwurf wurde dem Justizminister zumindest immer wieder von Medien, Oppositionspolitikern und Experten gemacht.
Justizminister gibt Protest nach
Die Lobbyorganisation Finanzwende hatte nach Bekanntwerden der Pläne eine Petition auf der Plattform WeAct gestartet. Mehr als 65.000 Menschen unterschrieben den Aufruf „Cum-Ex-Täter und -Täterinnen nicht davonkommen lassen“.
Zu den Unterstützern gehörten Politiker wie der Ex-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick (Grüne), Limbachs Vorgänger Peter Biesenbach (CDU) und der ehemalige SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans.
Limbach rückt nun von seinen Plänen ab. „Die angehaltene Organisationsentscheidung vom 22. September 2023 wird nicht weiter verfolgt. Wer der Sache verpflichtet ist, hinterfragt Standpunkte, Ideen und auch sich selbst“, sagte der Grünen-Politiker im Rechtsausschuss. Sein Ziel sei es, die Cum-Ex-Strafverfolgung langfristig effektiv und schlagkräftig aufzustellen.
Schon Anfang Oktober hatte Justizminister Limbach in einem Brief den Obleuten des Rechtsausschusses des Landtages mitgeteilt, dass er die geplante Umstrukturierung erst einmal ausgesetzt habe. In dem Brief schrieb Limbach damals, er nehme „die Kritik aus verschiedenen Richtungen“ an der Entscheidung, eine weitere Hauptabteilung einzurichten, „sehr ernst.“
Minister unter Druck: Eingriff in die Besetzung eines Richterpostens?
Justizminister Limbach steht im Moment in einer weiteren Sache unter Druck. Der Grünen-Politiker soll „rechtswidrig“ und „manipulativ“ in die Besetzung eines Richterpostens eingegriffen haben. Das sieht zumindest das Verwaltungsgericht Münster so.
Es geht um die Besetzung des Postens des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster. Kurz nach seiner Amtsübernahme soll der Minister ein unter seinem Vorgänger kurz vor dem Ende gestandenes Bewerbungsverfahren gestoppt haben. Zweieinhalb Monate später bewarb sich dann eine Frau aus dem NRW-Innenministerium, die laut dem Verwaltungsgericht zur Wunschkandidatin des Ministers wurde.
Konkret habe Limbach sogenannte Überbeurteilungen für alle Bewerber verfasst, die neue Bewerberin dabei als „hervorragend geeignet“ beurteilt und vorgeschlagen, ihr das Präsidentenamt anzutragen.
Das Verwaltungsgericht in Münster entschied im September, dass zwei dieser „Überbeurteilungen“ des Justizministers rechtswidrig seien. Er habe dafür gar keine Kompetenz gehabt. Mit den „Überbeurteilungen“ habe Limbach zudem „zielorientiert“ die Auswahlentscheidung gesteuert und dabei teilweise die falschen Kriterien angewendet.
Das Gericht bemängelt außerdem, dass der gezielte Stopp des vorherigen Bewerbungsverfahrens ohne Angabe von Gründen erfolgt sei. Offenbar sei es darum gegangen, die nachträgliche Bewerberin noch berücksichtigen zu können. Diese „manipulative Verfahrensgestaltung“ zugunsten der Bewerberin verletze den Anspruch des Antragstellers. Das ist ein anderer Bewerber des gestoppten Verfahrens. Er hatte geklagt und nun recht bekommen.
Bei der Staatsanwaltschaft in Köln wollte sich Limbach am Ende dann wohl doch nicht dem Vorwurf aussetzen, wiederum manipulativ eingegriffen zu haben.
Widersprüchlich, irreführend und verzerrend
Limbach hatte im September im Rechtsausschuss behauptet, es gebe in Brorhilkers Abteilung Mängel in Verwaltung und Organisation. Die Schwierigkeiten seien so groß, dass dem Ministerium „ein Eckpfeiler seiner Arbeit weggebrochen“ sei. Limbachs Vertrauensmann Stephan Neuheuser hat als neuer Chef der Kölner Staatsanwaltschaft entschieden, Brorhilker einen gleichberechtigten Co-Leiter zur Seite zu stellen.
Die angezählte Oberstaatsanwältin schrieb – entgegen der Gepflogenheit, sich zum Dienstherrn nicht zu äußern – einen Brief an die Personalvertretung der Staatsanwälte in NRW. Dieser Brief wurde nie öffentlich gemacht. Das „Handelsblatt“ bezieht sich aber auf drei Personen, die den Brief Brorhilkers gelesen hätten. „Oberstaatsanwältin Brorhilker beschreibt die Aussagen von Minister Limbach als widersprüchlich, irreführend und verzerrend“, sagt einer der Insider.
Detailliert versucht Brorhilker in dem Schreiben, die Aussagen des Ministers zur Herausgabe der Ermittlungsakten an den hanseatischen Cum-Ex-Untersuchungsausschuss zu widerlegen. Limbach hatte behauptet, die Kölner Behörde hätte die Herausgabe der Ermittlungsakten zu Verfahren in Hamburg an den parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft unnötig verzögert.
Ein Ministerialbeamter soll die Unterlagen im Juli schließlich in Köln durch einen Datenträger bei Brorhilker eingesammelt haben. Nur dadurch habe man eine drohende Klage der Parlamentarier aus Hamburg abwenden können, beteuerte der Minister damals.
Die im Schreiben dargelegte Version der Cum-Ex-Chefanklägerin Brorhilker lautet allerdings anders. Spätestens im Mai seien alle fehlenden Unterlagen an das NRW-Justizministerium geschickt worden, weitere Dokumente schon deutlich früher. Warum man diese nicht zeitnah nach Hamburg geschickt habe, sei ihr ein Rätsel.
Hauptabteilung wird nun verstärkt
Angesichts des sich hier zusammenbrauenden Ärgers lenkte der NRW-Justizminister offenbar am Ende ein. Am Mittwoch fand ein Gespräch mit Oberstaatsanwältin Brorhilker im Ministerium statt.
Für ihren Vorgesetzten, den Leitenden Oberstaatsanwalt Stephan Neuheuser, der Treiber der Aufspaltungspläne war, eine Niederlage. Hatte Limbach sich erst hinter ihn gestellt, ist er nun in dieser Angelegenheit umgekippt.
Im Rechtsausschuss sagte der Minister am Donnerstag, dass es neben den vier neuen Stellen auch vier Beförderungen geben soll. In jeder der vier Abteilungen der Hauptabteilung solle eine Gruppenleitung installiert werden. Außerdem werde der Austausch mit dem Innen- und Finanzminister verstärkt. Polizisten und Finanzbeamte sind ebenfalls an den Ermittlungen beteiligt.
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