Klima-Besorgte wollen Schuldenbremse kippen – und können sich auf Karlsruhe berufen

Nur einen Tag nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zweiten Nachtragshaushalt 2021 haben sich Befürworter einer offensiven Klimapolitik von ihrem Schock erholt. Sie fordern nun ein Ende der Schuldenbremse – und berufen sich auf ein früheres Urteil aus Karlsruhe.
Diesem Ziel hat der Finanzminister viel untergeordnet: 2023 soll die Schuldenbremse wieder stehen.
Diesem Ziel hat der Finanzminister viel untergeordnet: 2023 soll die Schuldenbremse wieder stehen.Foto: Tobias Schwarz/AFP-Pool/dpa
Von 16. November 2023

Das am Mittwoch, 15.11., verkündete Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 könnte schon in Kürze eine erhebliche politische Sprengkraft entfalten. Vordergründig ging es um die Nutzbarmachung einer nicht beanspruchten Kreditermächtigung von 60 Milliarden Euro aus dem Corona-Sonderfonds. Die Mittel sollten zur Finanzierung von Investitionen in ein weiteres Sondervermögen wandern – den „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF). Dies jedoch sei eine unzulässige Umgehung der Schuldenbremse des Grundgesetzes, urteilte nun das BVerfG.

KTF ab sofort auf null gesetzt

Das Höchstgericht in Karlsruhe hat damit den entsprechenden Haushalt für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Zur Begründung hieß es, der Gesetzgeber habe den „notwendigen Veranlassungszusammenhang“ zwischen festgestellter Notsituation und ergriffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen nicht ausreichend dargelegt.

Zudem habe er die Feststellung der Notsituation und den tatsächlichen Einsatz der Kreditermächtigungen in unzulässiger Weise zeitlich entkoppelt. Schließlich habe die rückwirkende Verabschiedung des Gesetzes gegen Artikel 110 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz verstoßen. Diesem zufolge ist ein Haushaltsplan zwingend im Vorfeld des dazugehörigen Rechnungsjahres zu erstellen. Die Konsequenz daraus bringt das Bundesverfassungsgericht am Ende seines Spruchs zum Ausdruck:

Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“

Bundesverfassungsgericht schiebt Umgehung der Schuldenbremse Riegel vor

Das Urteil hat die Schuldenbremse gestärkt, indem es dem Gesetzgeber Schranken bei dem Versuch gesetzt hatte, diese durch Konstrukte außerhalb des regulären Haushalts zu umgehen. Dies war im Laufe der vergangenen Jahre immer häufiger durch die Bildung von Sondervermögen erfolgt. Der Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang reichte auch das nicht aus: Sie brachte im Sommer zusätzlich noch den Einsatz öffentlicher Investitionsgesellschaften ins Spiel.

Im ersten Fall, in dem sich das BVerfG eingehender mit der Schuldenbremse befassen musste, nachdem 197 Unionsabgeordnete geklagt hatten, schob Karlsruhe dieser Praxis einen Riegel vor. Das Gericht verlangt eine strenge Auslegung der Ausnahmeregelung des Artikels 109 GG.

Diese greift in einer „von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung“ oder im Fall von „Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“. Allerdings müssen Kredite, die darob aufgenommen werden, rückführbar sein auf „die konkrete Notsituation und den gesetzgeberischen Willen, diese zu bewältigen“. Dies müsse der Gesetzgeber hinreichend darlegen, was hier nicht geschehen sei.

Polenz warnt vor Jubel über das Urteil

In der Union quittierten viele das Urteil mit Erleichterung. Der Gießener Bundestagsabgeordnete Helge Braun sprach auf X von einem „wichtigen Beitrag zur finanziellen Generationengerechtigkeit“. Es sei deutlich geworden, dass die Politik der Ampel, „durch trickreiche Schattenhaushalte in großem Umfang zusätzliche Schulden in die Vergangenheit zu buchen“, ein Verfassungsbruch sei. Braun fügte hinzu:

Mit diesem Urteil erhält die Schuldenbremse ihren Sinn zurück: Man darf in normalen Jahren nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. So einfach ist das.“

Sein Parteikollege Ruprecht Polenz hingegen zeigt sich von diesem Urteilsspruch weniger angetan. Er befürchtet hauptsächlich, dass das Fehlen von Haushaltsmitteln für die ambitionierte deutsche Klimapolitik zu deren Lasten gehen werde.

Fratzscher hält gestärkte Schuldenbremse für „nicht mehr zeitgemäß“

Die Unionsfraktion will nun sogar noch nachlegen und die Verfassungsmäßigkeit des mit 200 Milliarden Euro bestückten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) prüfen lassen. Dies erklärte Fraktionschef Friedrich Merz im Anschluss an eine Sondersitzung der Fraktion. Der WSF wurde ebenfalls ursprünglich zur Bewältigung der Corona-Folgen ins Leben gerufen – und zuletzt zur Bekämpfung der Energiekrise genutzt. Merz kündigte „das Ende aller Schattenhaushalte“ an.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sprach davon, dass das Bundesverfassungsgericht Versuche zur Umgehung der Schuldenbremse gestoppt habe. Diese gebe es seit etwa 12 Jahren und sie hätten „immer absurdere Züge angenommen“.

Für Fratzscher ist dies jedoch nicht in erster Linie ein Aufruf an die Politik, eine strengere Haushaltspolitik zu betreiben. Vielmehr solle diese „reformiert“ werden. Die Schuldenbremse sei „nicht mehr zeitgemäß, weil sie der Politik notwendigen Spielraum nehme, um Krisen zu bekämpfen und Zukunftsinvestitionen zu tätigen“.

Minister Lindner als „Gefahr für die Demokratie und den Planeten“

Noch radikaler formulieren Befürworter einer Politik des Klimaschutzes um jeden Preis ihre Begehrlichkeiten. Sie sehen in der Stärkung der in der Verfassung verankerten Schuldenbremse durch die Höchstrichter ebenfalls eine Aufforderung, diese infrage zu stellen.

Die Sprecherin der Grünen Jugend erklärt Bundesfinanzminister Christian Lindner ob dessen Festhaltens am Verbot der Neuverschuldung zur „Gefahr für unsere Demokratie, aber auch den ganzen Planeten“.

An Pathos lässt es auch „Fridays for Future“-Sprecherin Luisa Neubauer nicht fehlen. Sie schreibt auf X:

Keine Lebensgrundlagen, aber intakte Schuldenbremse, das wird man zukünftigen Generationen sicherlich gut erklären können.“

In ähnlicher Weise äußerte sich auch der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf.

Hat Karlsruhe 2021 im Voraus ein Klima-Ermächtigungsgesetz autorisiert?

Die Klima-Bewegten können sich ebenfalls auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts stützen. Dieses hatte erst 2021 das Klimaschutzgesetz des Kabinetts Merkel IV in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Den Klägern erschien dieses als nicht weitreichend genug.

Das Höchstgericht trug dem Gesetzgeber auf, auch über das Jahr 2030 hinaus konkrete Vorgaben bezüglich Emissionszielen zu beschließen. Die Begründung klang für viele wie eine Drohung: Das Fehlen der Bestimmungen verletze die „Freiheitsrechte der jüngeren Generation“.

Dies rühre daher, dass der Druck, nach 2030 Treibhausgase zu reduzieren, „so groß sein wird, dass die Menschen in ihren Grundrechten massiv eingeschränkt sein würden“. Kritiker lasen daraus eine Art Generalermächtigung zur Einschränkung selbst elementarer Grundrechte unter dem Banner des Klimaschutzes. So dürften es auch diejenigen verstanden haben, die in der Stärkung der Schuldenbremse durch Karlsruhe nun eine Aufforderung erkennen, diese abzuschaffen.

Habeck will spätestens ab 2025 „Regeln an neue Realitäten anpassen“

Für die Ampel könnte das Urteil vom Mittwoch perspektivisch zum Problem werden. Während sich SPD und Grüne wiederholt dafür ausgesprochen haben, die Schuldenbremse auf den Prüfstand zu stellen, hält die FDP weiter dagegen.

In seinem jüngst veröffentlichten Strategiepapier zum Industriestandort Deutschland hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Finanzverfassung für überholt erklärt. Diese sei „in Zeiten entstanden, die noch von einer marktdominierten Globalisierung und von deutlich weniger geopolitischen Spannungen geprägt war“. Jetzt jedoch sei es an der Zeit, zu diskutieren, „wie diese Regeln spätestens in der nächsten Legislaturperiode an die neuen Realitäten angepasst werden können“.

Minister Lindner hat jedoch bereits angekündigt, einige „Vorhaben auf Eis“ zu legen, die aus dem KTF finanziert werden sollten. Es werde erforderlich sein, einen „neuen Plan für die Energiewende aufzustellen“.



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