Kritik an Oster-Beschlüssen: „Planlos, ratlos, mutlos“ – „Regierung hat versagt“ – „Wir agieren wie eine Karikatur“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am 24. März angekündigt, dass der kürzlich gefasste Beschluss zu zusätzlichen Ruhetagen in der Osterwoche wieder rückgängig gemacht wird.
Bund und Länder hatten in der Nacht zu Dienstag unter anderem einen verschärften Oster-Lockdown vom 1. bis 5. April beschlossen, um das öffentliche, private und wirtschaftliche Leben stärker herunterzufahren.
Der Gründonnerstag und der Karsamstag sollten zu Ruhetagen erklärt werden. Dies wurde aber massiv kritisiert und es gab zudem große Verwirrung um die praktische Umsetzung. Doch was genau wurde kritisiert und von wem?
Kritik aus den eigenen Reihen: „Planlos, ratlos, mutlos“
Laut „Bild“ gab es von der Union und der SPD heftige Kritik nach Bekanntgabe der Beschlüsse am Dienstagmorgen. Der Entwurf für den Oster-Beschluss wurde bereits einige Tage vor dem Bund-Länder-Treffen von Experten und Kanzleramtsminister Helge Braun entwickelt. „Bild“ zufolge wurden die Teilnehmenden über den Entwurf allerdings nicht im Vorfeld informiert, sondern in der Pause des Gipfels.
Der CDU-Abgeordnete Albert Weiler schrieb in einem Brandbrief: „Ihr Beschluss ist eine Kapitulationserklärung!“ Er sei „planlos, ratlos, mutlos“.
CDU-Politikerin Jana Schimke beklagte in der Fraktionssitzung am Dienstag, das Kanzleramt könne keine detaillierten Auskünfte über die zusätzlichen Ruhetage geben. „Ich blicke fassungslos auf die sach- und lebensfremde Beschlusslage“, so Schimke.
Auch andere CDU-Politiker haben sich bei den Fraktionssitzungen negativ über die Beschlüsse geäußert. „Wir stehen im Begriff, unsere Wirtschaft und Kultur zu ruinieren!“, rief Tino Sorge. Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß sagte: „Das geht gar nicht!“
CDU-Abgeordneter Axel Müller sagte, dass diese Regierung versagt hat. „Ich bin nicht mehr bereit, der Regierung mein Vertrauen auszusprechen.“
Rechtsexperte Johannes Fechner (SPD) zeigte sich fassungslos: „Es werden wieder Verbote beschlossen nur anhand von Inzidenzzahlen. Das kann nicht sein!“ Fraktionsvize Dirk Wiese kritisierte hingegen, dass der Kurs des Kanzleramtes „detailversessen“ wirke und „keine Perspektive“ biete.
Opposition: Regierung „hat völlig versagt“
Die Beschlüsse zur Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen bis zum 18. April sind auch in der Opposition auf harsche Kritik gestoßen. „Nach der letzten Nacht und dem gestrigen Nachmittag und allem, was dazwischen war, hat sich erneut gezeigt: Die Ministerpräsidentinnenkonferenz ist nicht der Ort, an dem sinnvoll Entscheidungen getroffen werden können“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt am Dienstag.
Diese Entscheidungen sollten ins Parlament, in den Bundestag und in den Bundesrat. Dort herrsche Transparenz, „dort können Argumente ausgetauscht werden“.
Die Bundesregierung habe „uns“, so die Grünen-Politikerin, „in die Sackgasse geführt“. Es sei zu spät, zu langsam und zu zögerlich gehandelt worden, „und das Resultat haben wir jetzt“, so Göring-Eckardt weiter.
FDP-Parteichef Christian Lindner warnt davor, dass die Menschen immer weniger Akzeptanz für die Corona-Politik der Regierung aufbringen. Die „Verschärfung von Regeln und Freiheitseinschränkungen“ berge die Gefahr in sich, „dass Menschen im Privaten und Geheimen gar keine Vorsicht mehr walten lassen“.
Lindner bemängelt zudem auch die Vorgehensweise der Ministerpräsidenten: „Man kann nicht einfach in nächtlichen Runden zusammenkommen, dann überraschende Beschlüsse fassen, die dann ohne Parlamentsberatung der Öffentlichkeit vorgestellt werden.“
„Ehrlich gesagt, mir fällt inzwischen schwer, irgendwas dazu zu sagen. Ich habe das Gefühl, die Regierung hat allmählich den Verstand verloren“, sagte AfD-Franktionsvorsitzender Alexander Gauland.
„Es fällt mir nicht mehr viel ein zu dieser Regierung. Sie hat völlig versagt“, so Gauland weiter.
Schwesig unzufrieden mit der Kommunikation
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig zeigte sich ebenfalls unzufrieden mit der Vermittlung der Corona-Restriktionen.
„Es reicht nicht, dass wir nur Antworten haben mit Schließungen“, sagte sie am Dienstag in Schwerin. „Deshalb will ich hier ganz klar sagen, dass ich mit der Art und Weise, wie die Beratungen gestern stattgefunden haben, nicht einverstanden bin.“
Die Menschen müssten vor der Ministerpräsidentenkonferenz informiert werden, welche Vorschläge auf dem Tisch stehen. „Man kann nicht erst am Abend um halb neun einen Oster-Lockdown vorschlagen und dann darüber beraten“, so die SPD-Politikerin.
Sie sei dafür, dass die Entscheidungen gut vorbereitet und gut beraten und „dann auch an die Bevölkerung gut vermittelt werden“. Den Frust und das Unverständnis in der Bevölkerung könne sie verstehen.
Für die Entscheidung der Regierung Mallorca nicht mehr als Risikogebiet einzustufen, hat Schwesig kein Verständnis. „Ich habe auch darauf gedrungen mit meinen Kollegen, dass die Mallorca-Reisen eingeschränkt werden. Ich halte es für dringend erforderlich, dass die Bundesregierung ihre Entscheidung zu Mallorca überprüft.“
Es sei „wirklich niemandem mehr zu vermitteln“, dass Lufthansa mit großen Hilfeleistungen unterstützt werde und Reisende ins Ausland befördere, „und die gleiche Bundesregierung nicht unseren Bürgerinnen und Bürgern ein paar Tage Urlaub in der Ferienwohnung ermöglicht“.
Presse: „Wir agieren wie eine Karikatur“
Ulf Poschardt, Chefredakteur der „Welt“, kommentierte die Beschlüsse der Bundesregierung in einem Beitrag am Dienstag: „Deutschland versagt. Und es versagt auf eine Weise, die seit 1945 unbekannt war: Es ist ein Versagen der Institutionen und der Regierungen, aber vor allem besteht dieses Versagen in dem Unvermögen, sich durch die Erschütterung einer Krise zielgerichtet neu zu erfinden.“
Der Chefredakteur bescheinigt der Regierung einen Glauben „an die Heiligkeit des Staatlichen“.
Die Kanzlerin mache nach der Migrantenkrise 2015 den zweiten „kategorialen Fehler“ und riskiere wieder, dass „die wohltemperierte demokratische Schwingung im Land ins Toxische kippt“.
„Während es 2015 unmöglich schien, die Außengrenzen zu schützen, wird jetzt der freiwillige Hausarrest ernsthaft als Mittel der Politik verstanden“, so Poschardt.
Dabei wirke der Hashtag #WirBleibenZuHause „ebenso albern wie die Verheißung von ‚Ruhetagen‘, wo die Menschen nichts mehr wollen als ihr Leben zurück“.
Nach Poschardt könnten „intakte Familien auch nicht mehr: Es fehlt die Perspektive, die Zuversicht, der Glaube an ein Ende“.
Papierkriegsführung und „Verkomplizierung ins Planwirtschaftliche“ verlangsamten die Prozesse. „Die ganze Welt staunt über den mangelnden Pragmatismus der Deutschen.“ Für den Chefredakteur ist klar: „Wir agieren wie eine Karikatur.“
Die Entschuldigung der Kanzlerin und die Rücknahme der Ruhetage findet Poschardt gut und richtig und „verdient Respekt“. „Es zeigt, dass die Politik noch Tentakel in die Wirklichkeit hat, die funktionieren“. Allerdings sei abzuwarten, ob Merkel „noch einmal vernünftig abbiegt und sich neu erfindet“.
(Mit Material von Reuters)
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